Audioweg Barnimstraße (Foto: Katharina Buri)

Audioweg Barnimstraße (Foto: Katharina Buri)

In der Friedrichshainer Barnimstraße stand bis 1974 mehr als hundert Jahre lang das zentrale Berliner Frauengefängnis. Über vierzig Jahre später wird dieser geschichtsträchtige Ort endlich entsprechend gewürdigt: Seit kurzem eröffnet ein Audioweg über das ehemalige Gefängnisgelände, auf dem sich heute die Jugendverkehrsschule Friedrichshain befindet, künstlerische Einblicke in die Lebenswelten inhaftierter Frauen. Ende Oktober haben wir, eine Gruppe interessierter Grüner Frauen aus Xhain, das Projekt besucht.

Da berichtet beispielsweise eine junge Frau, die zur Kaiserzeit ihr uneheliches Kind abgetrieben hat und dafür inhaftiert wurde, von ihrem Leben im Gefängnis in der Barnimstraße. Oder eine Frau, die zu DDR-Zeiten wegen Republikflucht einsaß. Eine NS-Widerstandskämpferin kommt ebenso zu Wort wie eine Ärztin, die während des Nationalsozialismus für die massenhafte Ermordung von Kindern verantwortlich war. Mit Rosa Luxemburg wird auch die wohl prominenteste Insassin porträtiert. Teilweise in O-Tönen, teilweise von hochkarätigen Schauspielerinnen wie Margarita Broich gesprochen, berichten die Frauen von ihrem Leben hinter Gittern.

Anderthalb Stunden lang spaziert man als Zuhörer*in, geführt von einem Audio-Guide, alleine oder zu zweit über das Gelände der Jugendverkehrsschule. Zwischen den Berichten der Frauen werden Richtungshinweise gegeben – mal lässt man sich auf eine Bank nieder, mal hört man eine Beschreibung der früheren Bebauung. Anfangs mag das langsame Tempo irritieren, aber nach und nach werden erst die Schritte, dann die Gedanken langsamer, bis man sich schließlich ganz auf die Frauen und ihre Geschichten einlässt. „Wir wollten hier bewusst keinen klassischen Erinnerungsort schaffen, sondern das Thema künstlerisch angehen“, sagt Christoph Mayer, der den Audioweg inszeniert hat und uns im Anschluss Rede und Antwort steht – nachdem er uns während des Spaziergangs bei kaltem Herbstwetter äußerst aufmerksam mit heißem Tee „to go“ und Wärmflaschen versorgt hat. So seien ganz bewusst Details zum jeweiligen zeitlichen Rahmen weggelassen worden. Das Experiment ist geglückt: Man taucht ganz in die Wahrnehmungswelt der Frauen ein und sieht durch ihre Augen, auch wenn das aus heutiger Sicht unverständlich und mitunter schockierend sein kann.

Der Audioweg ist das Ergebnis eines Kunstwettbewerbs des Landes Berlin, den auch das FHXB (Friedrichshain-Kreuzberg Museum) und der Bezirk unterstützt haben. Wir waren begeistert von dem spannenden Projekt und empfehlen jeder und jedem, dort auf Entdeckungstour zu gehen!

Wer jetzt Lust bekommen hat: der Audioweg befindet sich in der Barnimstraße 10, die Geräte können jeweils Mo-Sa von 10-18 Uhr ausgeliehen werden (letzte Ausgabe um 16 Uhr). Der Eintritt ist frei. In den kalten Monaten, von Dezember bis Februar, bleibt der Weg geschlossen, in dieser Zeit Begehungen auf Anfrage.

 

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Diskussion im Anschluss (Foto: Katharina Buri)

Diskussion im Anschluss (Foto: Katharina Buri)