Er war einer der ersten in der West-Berliner Alternativen Liste, viel später saß er dann 10 Jahre für B90/Die Grünen in der BVV. Jetzt wurde Günter Schumacher, den alle nur unter dem Namen Schooccy kennen, achtzig.
Im zarten Alter von fünf Jahren traf Shooccy ein Bombensplitter. Geboren am 8.12.1939 in Siegburg bei Bonn war er ein Kind des Kriegs. Wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam er in die Schule. Da seine Eltern in den Jahren 1944 und 1946 starben, wuchs er bei Angehörigen der Familie seiner Mutter im katholischen Westfalen auf. Seine Mutter hatte schon vor ihrem Tod ihre Schwester, die bereits fünf Kinder versorgte, gebeten „den Jungen mal mitzunehmen“. Gesagt, getan, und ein Jesuitenpater unterstützte die damals arme Familie.
Ein Kaufmannsgehilfe on the road
Mit 14 ging Shooccy auf eine Handelsschule, jetzt galt es, die „Ärmel aufzukrempeln“. Der Motorradhandel war sein Jugendtraum, aber daraus wurde nichts. Nach einer weiteren Lehre bestand er die Kaufmannsgehilfenprüfung mit 19, fand einen Job bei „Schmincke“, einem Produzenten für Künstlerfarben und Leinwände und wohnte weiter in einem „Lehrlingsheim“. Es war die Zeit des Rock’n’Roll und auch der „Halbstarkenkrawalle“, welche die biedere Bundesrepublik schockierten. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ war der deutsche Titel des tonangebenden Films „Rebel without a cause“ mit James Dean, der Shooccy sofort beeindruckte und er auch die anderen Filme mit James Dean sehen musste. So sehr die „Krawalle“ als Protest gegen autoritäre Eltern und LehrerInnen, gegen den bleiernen Konformismus und die nach wie vor bestehende Untertanenmentalität zu interpretieren waren – eine Politisierung war mit diesen Rebellionen noch nicht verbunden.
Shooccy trat erst mal in die Fußstapfen der Beat Generation und reiste 1959 als Tramper in Lastwagen und Autos, die ihn nach Gibraltar und von dort nach Marokko bis Tanger brachten. Für das, was er dort und später auch in Südfrankreich und Spanien tat, hatte man inzwischen ein neues Wort erfunden: Er war nun ein „Gammler“, weil er seine Freiheit auslebte, und die war on the road. „Konsumterror“ passte nicht zu ihm. Und er las viel und querbeet: Sartre, Lyrik des Expressionismus, Jack Kerouac, Paul Celan, das Kommunistische Manifest, Camus, Dostojewski, Fanons „Verdammte dieser Erde“.
Wie wird ein Mensch politisch?
Als er 1962 nach München zog, wurde er dort von den „Schwabinger Krawallen“ überrascht: Eine Gruppe von Straßenmusikern hatte nach 22:30 Uhr in der Leopoldstraße ihre Lieder gespielt, die Polizei kam und der Konflikt eskalierte. An den folgenden vier Tagen kam es zu Demonstrationen mit bis zu 40.000 nicht nur jugendlichen Protestierenden, denn die Methoden der Polizei entsetzten auch viele „unbescholtene“ BürgerInnen. Berittene Polizei war im Einsatz, es gab fast 400 Festnahmen. Shooccy war einer der Festgenommenen: 3 Monate und drei Wochen wegen Landfriedensbruchs. Nur eine Viertelstunde Hofgang pro Tag, keine Besuche außer von Verwandten. Es war eine Erfahrung, die ihn lebenslang dazu motiviert hat, immer wieder Gefängnisinsassen zu besuchen, mit ihnen zu sprechen und ihren Lebensweg kennen zu lernen.
Inzwischen war der Herausgeber des SPIEGEL Rudolf Augstein unter dem Vorwurf des Landesverrats verhaftet worden; er hatte geschrieben, die Bundeswehr sei nur „bedingt abwehrtauglich“ und Adenauer tobte. Debatten über einen neuen autoritären Staat begannen und damit auch die Politisierung Shooccys. Er wohnte bei Freunden, verdiente sein Geld als Bauhilfsarbeiter oder verkaufte Batiken, Kupferreifen und Schmuck in Schwabinger Kneipen und verstand sich als Aussteiger. 1963 lernte er Dieter Kunzelmann und die situationistische „Gruppe Spur“ kennen, die Protestaktionen mit skurrilen Texten verknüpfte. „Ich stehe im Regen und warte auf mich, ich weiß nicht weswegen …, jetzt müsste ich kommen, und ohne mich zu bewegen schau ich im Regen mir selber entgegen und siehe: ich bin es nicht.“ Solche kalauernde Poesie – in diesem Fall von Peter P. Althaus – gefiel Shooccy zeitlebens. Sie war neben dem Witz auch Ausdruck einer Identitätssuche.
Schließlich verabschiedete er sich vom Dasein als Beatnik, seine Freundin war schwanger, sie heirateten im Januar 1966, zogen in die Nähe von Köln, wo im August sein erster Sohn zur Welt kam. Aus dem Kaufmannsgehilfen Shooccy wurde ein festangestellter Chemielaborant, der – learning by doing – zum Laborfachwerker in einem PVC-Betrieb aufstieg. Tja, das war noch im „goldenen Zeitalter des Kapitalismus“! Erstmals verdiente er gutes Geld, aber seinem spontanen zivilen Ungehorsam und seinen Knastbesuchen blieb er treu. So hat er seinen Jugendfreund und späteren Schriftsteller Peter Paul Zahl, der Anfang der 70er Jahre zwei Polizisten angeschossen hatte und wegen zweifach versuchtem Mord zu 5 Jahren und 4 Monaten verurteilt worden war, mindestens zehnmal im Gefängnis Ossendorf besucht. Ganz trocken sagt er heute: „Dem hat der Knast nicht geschadet, er hat ja Bücher geschrieben“. Dem Aufbau einer maoistischen oder DDR-hörigen Partei konnte er dagegen nichts abgewinnen. Jene Zeit, die heute die Chiffre ´68 trägt, war voller Zerrissenheit: Eine neue Kultur radikaler Proteste und „Mehr Demokratie wagen“ einerseits, andererseits vergeudete Energien durch Sektengründungen und Dogmatismus bis etwa zur Zeit des legendären Tunix-Kongresses 1978. In eben diesem Jahr zog es Shooccy nach Berlin, er wurde in der HausbesetzerInnen-Szene aktiv und trat in die gerade gegründete Alternative Liste ein.
„… aber nie an vorderster Front.“
1985 begann er erneut eine Ausbildung, diesmal als Altenpfleger und war bis 1999 täglich im Areal von der Alte-Jakob-Str. bis zur Zeughofstr. in diesem Beruf unterwegs. Daneben besuchte Shooccy seit 1989 regelmäßig die grüne Bezirksgruppe, spezielle Themenschwerpunkte in der politischen Arbeit hatte er noch nicht. „Ich war überall dabei, aber nie an vorderster Front.“ Er gehörte übrigens zu den wenigen, die im Jahr des Mauerfalls sich mit dem Jubeln zurückhielten und angesichts der Kohlschen Vereinigungspolitik eher Sorgenfalten bekamen. Ein Kriminalbeamter, der in der DDR gegen Nazi-Subkulturen ermittelte, sagte zu ihm: „Ihr müsst euch auf was gefasst machen. Da kommt was auf euch zu.“
Im Laufe der Zeit kristallisieren sich Shooccys Interessen vor allem für Umweltschutz sowie Verkehrs- und Drogenpolitik heraus. Erst 2006 kam er in die BVV und blieb bis 2016. Speziell an der Rettung von Bäumen am Landwehrkanal, die wegen der absackenden Uferbefestigungen zur Fällung freigegeben waren, hat er aktiv mitgewirkt. Auch die Proteste gegen die Privatisierung des Bethanien unterstützte er. Mit Franz Schulz als grünem Bezirksbürgermeister wurde schließlich das Wohnrecht der Besetzer legalisiert wurde.
Sanften Drogen nicht abgeneigt, setzte Shooccy sich für eine Prüfstelle zum Drogenchecking ein, um die Fixer, die sich damals vor allem im Parkhaus am Kotti aufhielten, vor verunreinigten Stoffen zu schützen. Das ließ sich nicht durchsetzen. Ein anderes Thema war, endlich eine direkte Straßenbahnverbindung zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, wenn möglich bis zum Hermannplatz zu schaffen. Sollte die Bahn dann auch durch den Görlitzer Park führen? Shooccy konnte recht laut werden, insbesondere bei seinen – oft lustigen, und nicht immer beliebten – Zwischenrufen: „Das geht doch gar nicht anders! Die muss da durch!“ rief er, „Nur über meine Leiche“ antwortete Franz Schulz. Bis heute ist die Frage offen.
Bis heute ist Shooccy ein emsiger Plakatekleber, Wahlkämpfer, Stachel-Verteiler und Zwischenrufer geblieben. Politik als Beruf wollte er nie machen, er blieb lieber ein wacher politischer Mensch, der sich gerne einmischt. Und er hat noch viel mehr zu erzählen….
Wolfgang Lenk, Bezirksverordneter, für den Stachel 04/2020