Was für eine Aufregung so ein kleiner Antrag auslösen kann. Von der B.Z., der Berliner Woche über Berliner Zeitung, taz und Tagesspiegel bis hin zu überregionalen Zeitungen wie der Zeit, der Welt oder der FAZ rauschte die Hiobsbotschaft durch den deutschen Blätterwald: die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg wollen die preußischen Generäle von ihren Straßenschildern schubsen!
Dabei fordern wir unserem Antrag mit dem Titel „Entmilitarisierung des öffentlichen Raums“ (DS/1154/V) eigentlich nicht mehr, als einen öffentlichen Diskurs- und Beteiligungsprozess zu initiieren, der sich mit der Frage befasst, ob Straßen und Plätze unseres Bezirks, die nach Generälen, sonstigen Militärs und Schlachten benannt wurden noch zeitgemäß und gewollt sind oder eine Umbenennung anzustreben ist. Und nicht „Wichtigtuerei“, „totalitärer Irrglaube“, oder „wahrhaft teutonischer grüner Säuberungsfuror“ (Götz Aly in der Berliner Zeitung) treibt uns „im Namen der politischen Korrektheit“ (Werner von Bebber im Tagesspiegel) dazu, „historischen Straßennamen aus dem Gedächtnis der Menschen zu streichen“ (Gunnar Schupelius in der B.Z.). Auslöser sind in Wahrheit zwei Bürger*innenanträge an die bezirkliche Gedenktafelkommission.
Konservativer Gegenrevolutionär und ein ganzer Kiez
In dem einen wird gefordert, „die nach einem General benannte Wrangelstr. als Ausdruck einer patriarchalen Kriegskultur umzubenennen“. Und wenn mensch genauer hinschaut, wer eigentlich dieser Friedrich Heinrich Ernst Freiherr von Wrangel (1784-1877) war, nach dem bereits 1849 die heutige Wrangelstraße benannt wurde, dann ist es schon ein wenig abstrus, dass ein Kiez, der heute für lebendigen Widerstand gegen Gentrifizierung und für zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt steht, immer noch den Namens dieses preußischen Generalfeldmarschalls trägt. Er war nicht nur ein Vertreter „patriarchaler Kriegskultur“, sondern maßgeblich an der Niederschlagung der Revolution von 1848 beteiligt, führte im November 1848 als Oberbefehlshaber die Truppen gegen das revolutionäre Berlin, verhängte das Kriegsrecht über die preußische Hauptstadt und wurde zum Gouverneur von Berlin ernannt.
Patriotischer Siegesboulevard im multikulturellen Bezirk
In dem anderen geht es darum, den nach dem „General und damit Bellizisten Blücher“ benannten „Blücherplatz an der AGB“ umzuwidmen. Denn: „das passt überhaupt nicht mehr in das heutige Kreuzberg.“, so die Antragsteller*in. Benannt sind Blücherplatz und auch Blücherstraße nach Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt (1742-1819). Beide gehören zum sogenannten Generalszug, der sich zwar nicht nur durch unseren Bezirk zieht, zu dem aber allein im heutigen Kreuzberg 12 Straßen und Plätze gehören. Er wurde zum 50. Jahrestag der „Befreiung“ Preußens von der teilweisen Besetzung durch napoleonische Truppen per Kabinettsorder vom 9. Juli 1864 nach Orten „glorreich“ gewonnener Schlachten gegen die Franzosen und den „Helden“ der sogenannten „Befreiungskriege“ benannt, welche nicht nur einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Berlins und Preußens darstellen, sondern letztlich die Wurzel eines neuen nationalen oder nationalistischen Denkens sind, das in dieser Benennung seinen propagandistischen Ausdruck fand.
Alte Geschichte oder neue Geschichten ?
Andererseits: wenn mensch sich heute etwa an die Ecke Mehringdamm/Yorckstraße stellt und Passant*innen fragt, woher der Name Yorckstraße denn eigentlich komme, herrscht meist Ratlosigkeit. Dass es der preußische Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg ist, von dem die Straße ihren Namen hat, wissen die wenigsten. Es stellt sich die Frage, ob sich nicht in den nunmehr mehr als 150 Jahren, die die Straßen und Plätze nun Namen wie etwa Gneisenaustraße, Hornstraße, Yorckstraße oder Blücherplatz tragen, die eigentlichen Namensgeber und deren Geschichte nicht längst von anderen Geschichten, Ereignissen, dem Leben in diesen Straßen überlagert wurden und zu etwas Eigenem geworden sind, zum Teil der zivilen, teilweise auch aufständischen Kreuzberger Geschichte. So verbindet sich etwa mit dem Namen Yorck inzwischen die Besetzung der Yorckstraße 59. Oder Institutionen wie das „Yorckschlößchen“ oder die YorckKinos. Oder mit dem Namen Hornstraße, benannt nach Heinrich Wilhelm von Horn, der etwa an der Belagerung Warschaus im Feldzug gegen Polen 1794/95 teilnahm, heute doch weitaus eher die seit nunmehr 20 Jahren existierende Kiez-Zeitung „Kreuzberger Horn“.
BVV-Kabinetts-Order?
Es geht also keineswegs darum, von oben herab quasi herrschaftlich eine Umbenennung per BVV-Beschluss zu veranlassen. Ganz abgesehen davon, dass dies heute in unserem Bezirk wohl auch kaum möglich wäre, sich ein Teil der 18.152 Anwohner*innen und hunderte Gewerbetreibende* allein des Generalzugs zu Recht dagegen wehren würden, ungefragt plötzlich eine andere Adresse zu haben. Vielmehr möchten wir diese beiden Vorschläge zum Anlass nehmen, darüber zu diskutieren, ob es heute, nach zwei Weltkriegen, 7 Jahrzehnten des europäischen Friedensprojektes, der hoffentlich endgültigen Überwindung der „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland noch angebracht ist, die „Helden“ und „siegreichen Schlachten“ eines Krieges zu ehren, der – selbst wenn er kein Angriffskrieg war – auf beiden Seiten zu Leid, Elend und Tod führte.
Frauen- und Tuntenpower statt Militarismus
Noch ein weiterer Grund würde für Neubenennungen sprechen. Nämlich die Erkenntnis, dass es uns nie gelingen wird, die durch Beschluss der BVV aus dem Jahre 2005 angestrebte Parität zwischen den Geschlechtern allein durch Neubenennungen von Straßen und Plätzen jemals zu erreichen. Rund 90% aller durch eine Benennung geehrten Personen in unserem Bezirk sind Männer. Es ist Aufgabe der BVV, dieses Missverhältnis zu korrigieren und dabei auch unkonventionelle Wege zu gehen.
Widerstandskämpfer, Philosoph, Tunte und Genderaktivistin
Vorschläge gibt es schon. Zwei davon, die allerdings weder Frauen noch LSBTIQ sind, würden den Straßennamen und damit die Adresse der Anwohner*innen selbst nicht verändern: Die Yorckstraße könnte in Zukunft nicht mehr den preußische Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg ehren, sondern seinen UrUrEnkel Peter Graf Yorck von Wartenberg. 1904 geboren, wurde der Jurist und prominente Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der zum sogenannten Kreisauer Widerstandskreis gehörte und in die Attentats-Pläne seines Cousins Claus von Stauffenberg eingeweiht war, am 8. August in Berlin Plötzensee auf ausdrücklichen Befehl Hitlers hingerichtet.
Und der Blücherplatz und die Blücherstraße könnte ebenfalls umgewidmet werden und zukünftig statt des vorwärtsstürmenden Generaldfeldmarschalls gleichen Nachnamens den antistalinistischen Kommunisten, Philosophen und kosmopolitischen Intellektuellen Heinrich Friedrich Ernest Blücher ehren, der gemeinsam mit Hannah Arendt, die er 1940 heiratete, vor Nazis und deren französischen Kollaborateuren ins amerikanische Exil floh.
Für Audre Lorde, schwarz, lesbisch, Feministin, Mutter, Dichterin, Kriegerin, wie sie selbst über sich sagt, die nach Beschluss der BVV mit einer repräsentativen Straße gewürdigt werden soll, muß eine solche noch gefunden werden. Da wäre die Wrangelstraße durchaus passend, weil in unmittelbarer Nähe ihres Wirkens in SO 36. Zudem gibt es für diese auch den Vorschlag, sie in Bizim Kiez Straße umzubenennen.
Und eine Ehrung für Soulsängerin und Polittunte Melitta Sundström, die nach ihrer eigenen HIV-Diagnose auch das Thema Aids in ihren Performances thematisierte, zur Aktivistin wurde, sich über die Verbürgerlichung der Szene lustig machte und 1993 im Alter von nur 29 Jahren an den Folgen von Aids starb, würde gut zu Kreuzberg passen und ein deutliches Zeichen der Erinnerung an all die Verluste durch HIV und Aids und den Widerstand gegen die Stigmatisierung der Betroffenen* auch in unserem Bezirk setzen.
Werner Heck, Bezirksverordneter für den Stachel Mai 2019