Am 17. Februar 2019 ist Elke Böttcher, Mitbegründerin und Vorstandsfrau des FRIEDA-Frauenzentrums, langjährige Bezirksverordnete in der BVV-Friedrichshain für das Bündnis Friedrichshain, über viele Jahre aktive Mitfrau in der Bezirksgruppe von Bündnis 90 / Die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg und Mitredakteurin dieser Zeitung, nach längerer, schwerer Krankheit verstorben.

Zum Abschied möchten wir Elke noch einmal bei uns zu Wort kommen lassen und veröffentlichen hier einen (leicht gekürzten) Text der Journalistin Karla Popp, in dem Elke über sich, ihr Leben, ihre Arbeit und ihr vielseitiges Engagement berichtet. Dieser Text wurde erstmals im November 2013 in „Selbstauskünfte – Lebenslagen von Frauen in Berlin“,  herausgegeben vom berliner frauen netzwerk (bfn e.V.), veröffentlicht.

Keine faulen Kompromisse machen

Mit Friedrichshain ist Elke Böttcher eng verbunden. 1981 zog sie in diesen Stadtbezirk, da war sie 23 Jahre alt. Über die Hälfte ihres Lebens hat sie in Friedrichshain gewohnt, ihren Lebensunterhalt verdient, politisch gearbeitet, geliebt und gelacht. „Ich fühle mich hier einfach heimisch. Ich kenne fast jede Straße, sehr viele Leute. Wenn ich mich mit Freunden verabrede, dann in Friedrichshain, in einer Kneipe, von denen es sehr viele gibt. Der Stadtteil ist zentral gelegen. Er versprüht so einen spröden Charme. Was mich nach wie vor stört ist der Hundekot auf den Fußwegen. Aber ansonsten ist Friedrichshain mein Lieblings-Bezirk. Ich werde wahrscheinlich nicht davon loskommen.“ Das sagt Elke, die nun bereits drei Jahre in Lichtenberg wohnt.

Erste Erfahrungen

Geboren in Görlitz, dort aufgewachsen als das älteste von drei Mädchen. Die Mutter verstarb, als Elke 13 Jahre alt war. Die Familie war in der Kirchengemeinde verankert. Als Grund dafür, dass Elke nicht die Erweiterte Oberschule besuchen konnte, wurde offiziell genannt, es würde zu viele Mädchen geben. Aber Elke meint, die Ablehnung erfolgte, weil sie keine Jugendweihe hatte. Sie ging den Weg zur Hochschulreife über eine Berufsausbildung mit Abitur und lernte Textilfacharbeiterin in den Oberlausitzer Textilbetrieben. In Elkes Erinnerung war die Begegnung mit den Arbeitern im Betrieb „sehr lehrreich, aber ernüchternd“. Sie hatte sich die „führende Klasse im Sozialismus“ anders vorgestellt. Ein Betriebswirtschaftsstudium mit dem Schwerpunkt Energieanwendung absolvierte sie an der Ingenieurhochschule Zittau. Elke hätte Pädagogik oder Psychologie bevorzugt. Elke schenkte einer Tochter das Leben. Der Vater ihres Kindes bekam im letzten Studienjahr  ein Angebot im Kraftwerksanlagenbau in Berlin zu arbeiten. Sie ging mit. Das war im Herbst 1981. In der Beziehung kriselte es. Also Trennung. Elke war froh, in Berlin zu sein. Sie arbeitete im Kombinat für Kraftwerksanlagenbau in der Abteilung Forschung und Entwicklung. Ihr Sohn wurde geboren. Nach seinen ersten Wochen in der Kinderkrippe empfand Elke ihren Alltag nur noch als hektisch. Elke hatte etwas Geld gespart, darum beschloss sie für einige Zeit mit den Kindern zu Hause zu bleiben. Später wurde der Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit schwierig: „Meine Schwester und ihr Mann hatten beschlossen auszureisen.“ Elke fand dann 1987 doch wieder eine Tätigkeit, sogar in ihrem Fachgebiet bei „Rationalisierung und Projektierung Leipzig“, das Büro befand sich in der Colbestraße in Friedrichshain. Dort wurden Systemlösungen entwickelt für die Abwasserwärme in Betrieben des Großhandels. Es kam der Herbst 1989. Und sie ahnte, dass ihre Arbeit über kurz oder lang überflüssig sein würde. In der Zeit etwa erfuhr Elke im Literatur-Café „Wolkenbügel“ an der Landsberger Allee, in dem sie seit 1988 im Klubaktiv mitarbeitete, von einer freien Stelle. Menschen trafen sich dort, es gab Literaturlesungen und Kaffee. Elke liebt seit eh und je die Kommunikation und nahm die Chance war.

Herbst 89 – Umbruch in neue Möglichkeiten

Durch ihre Freunde, wie aus dem Ökokreis der Samaritergemeinde, lernte sie Menschen kennen, die sich schon längere Zeit mit Themen befasst hatten, die auch Elke wichtig waren: Menschenrechte, Frieden, Geschlechterfragen. Sie engagierte sich für den Unabhängigen Frauenverband, der sich im Dezember 1989 gründete. Frauen trafen sich und schufen sich ihre eigenen Räume. Zum Beispiel das „Frieda-Frauen-Zentrum“ in Friedrichshain. „Das interessierte mich, denn schon zu DDR-Zeiten hatte mich immer geärgert, dass man mit Kindern tagsüber kaum irgendwo hingehen konnte.“ Elke ging hin. Das Publikum war bunt. Viele sagten ihre Meinung, hatten Vorstellungen über die Arbeit des Frauenzentrums. „Ich bin dabei geblieben, weil ich dort einen lebendigen und vielfältigen Kreis von Frauen fand.“ Sie hatten gute Ideen, aus denen unter anderem das erste autonome Frauenhaus in Ost-Berlin entstanden ist.

Es war die Zeit der Wahlvorbereitung zur Volkskammer im März und später zu den Kommunalvertretungen im Mai 1990. Die Frage, ob Frauen in Parteien oder mit eigenständigen Frauenstrukturen kandidieren sollten, wurde diskutiert. Neu zugelassene Parteien und Verbände schlossen sich zusammen zum Bündnis Friedrichshain. Gleichstellungsfragen wurden wichtig, auch dass jeder erste Listenplatz mit einer Frau besetzt wurde. Elke ist heute noch verwundert über sich: „Ich bin da so reingerutscht. Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen können, dass ich mal so eine Art Parteiarbeit machen würde.“ Für die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain bewarb sich auch Elke Böttcher und wurde gewählt. Damals gab es noch 100 Bezirksverordnetensitze in der BVV, 12 davon erhielt  das Bündnis Friedrichshain. Über zehn Jahre war Elke Bezirksverordnete für dieses Bündnis.

Veränderungen gestaltet – sich selbst verändert

Mehr als zwanzig Jahre seit diesem Aufbruch – für Frauenprojekte in der Stadt hat sich vieles verändert, findet Elke. Sie hat manches davon mit anderen Frauen vorgedacht und umgesetzt. Die Entwicklung vom Frauenzentrum „Frieda“ hat sie mitgemacht, viele Jahre im Vorstand mitgewirkt. Das Programm, die Veranstaltungs- und Beratungsangebote sind nach ihrer Auffassung vielfältiger, professioneller geworden. „Aus losen Treffs wurden feste Strukturen geschaffen mit mehr Mitarbeiterinnen. Was es immer noch nicht gibt, ist eine ausreichende Finanzierung wie im Westen. In Ost-Berlin wird darum immer eine Ko-Finanzierung nötig sein, deshalb gibt es die Abhängigkeit von ABM, MAE, ÖBS, Bürgerarbeit oder was gerade möglich ist“, schätzt Elke Böttcher ein. Und betont: „Es bedarf einer durchgehenden Finanzierung. Es ist ein richtiger Kampf ums Geld für die Erhaltung der Projekte.“ Dabei nimmt sie für sich selbst in Anspruch, verantwortlich zu handeln und keine faulen Kompromisse zu schließen. Es reicht ihr nicht, nur lose, unverbindlich, zusammen zu arbeiten, wenngleich sie das durchaus auch für wichtig hält. Sie will auch andere Frauen ansprechen, für ihre Rechte einzutreten. Elke hat die Überzeugung gewonnen: „Wenn du mit der Politik unzufrieden bist, musst du dich dafür engagieren, dass eine andere Politik gemacht wird.“ Sie hat sich durch ihre politische Arbeit verändert, sagt sie.

„Augen zu und durch“ hilft nicht

Elke Böttcher lernte zunehmend mehr Frauen kennen, denen es nicht gut ging, solche die von Armut und Gewalt betroffen waren. Damit war sie stärker konfrontiert, als sie längere Zeit mit langzeitarbeitslosen Menschen arbeitete. Ist den Frauen bewusst gewesen, worin die Ursachen für ihre Situation liegen? Elke meint: „Selten. Oftmals neigen die Frauen dazu, ihre Probleme zu verschleiern. Es ist ihnen unangenehm, zum Beispiel ohne eigenes Obdach zu sein, Schulden zu haben.“ Sie kenne Frauen, die nach der Devise „Augen zu und durch – solange wie möglich“ handeln. Bei einem Obdachlosenhilfeprojekt sei es ähnlich gewesen: „Den Frauen war ihre Lage peinlich, sie gaben sich selbst die Schuld daran, glaubten, sie hätten versagt.“ Elke weiß von Frauen, oft sind es Ältere, gerade auch Migrantinnen, die wollen jede Arbeit annehmen, um ihre Situation und die ihrer Familie zu verbessern. „Das bedeutet, ich gehe putzen, dann bleibe ich aber Putze, obwohl ich einen Berufsabschluss habe.“ Nach Elkes Auffassung empfinden die Frauen mit DDR-Sozialisation es als noch schwerer, geradezu erniedrigend, in prekäre Verhältnisse abzugleiten oder nicht mehr aus eigener Kraft ihre Probleme lösen zu können als Frauen aus dem Westen. Den Grund sieht Elke in der früher erlebten Selbständigkeit. „Es war für uns selbstverständlich, finanzielle Unabhängigkeit zu haben, Anerkennung im Beruf zu erlangen.“

Bei der Betreuung von arbeitslosen und sozial benachteiligten Menschen war es Elke wichtig, solche Tätigkeitsfelder zum Beispiel in Projekten für Mehraufwandsentschädigung (MAE) zu erschließen, in denen jene ihre Fähigkeiten und Berufserfahrungen oder Kenntnisse einbringen konnten. Nach Elkes Wahrnehmung ging das auch einige Zeit ganz gut. „Durch die Anleitung im Projekt fanden sie Spaß an der Arbeit, wurden stabiler und selbstbewusster. Das ist doch ein Stück Erfolg.“ Sie beobachtete auch, wie sich die Leute mit ihrer Arbeit auseinandersetzten, wieder in einem Team waren, Anerkennung fanden. Wie Frauen mit Migrationshintergrund den deutschen Kulturkreis besser kennenlernten, die deutsche Sprache beherrschten. Anfangs wollten die Leute aus Kreuzberg gar nicht nach Friedrichshain kommen. Die Oberbaumbrücke schien ihnen in gewisser Weise unüberwindlich. Das habe ich schon lange nicht mehr gehört.“

Gesundheit, Glück und Geld

In den letzten Jahren hat Elke tiefe Einblicke in berührende, auch sehr erschütternde Lebenswege getan. Dass solch eine Arbeit viel Kraft kostet, ist denkbar. Woher nimmt Elke sie? Gibt sie mehr als sie kann? Ja, sie hat nicht auf sich geachtet, sagt sie. Elke ist schwer krank geworden. Weil sie über ihre Grenzen gearbeitet hat, sieht sie sich nun veranlasst, ihren Lebensstil zu verändern. Sie sei ruhiger geworden, sagen die, die mit ihr zusammenarbeiteten.

Es ist kein hohes materielles Niveau, auf dem sich Elkes Leben bewegt. Sie macht jedoch nicht den Eindruck, als wenn sie unglücklich wäre. „Nö. Ich kenne ja auch Leute, die viel Kohle und große Sorgen haben. Glück ist nicht abhängig vom Geld. Gar kein Geld zu haben, macht mir zwar Angst. Aber ich brauche auch nicht so exorbitant viel.“ Am liebsten wäre ihr die Kombination von Gesundheit, Glück und Geld. Wenn sie schon mal zusätzlich Geld hat, gibt sie es aus für Kino, Konzerte, Bücher, Essen, Trinken –  hauptsächlich zum Weggehen mit Freunden, Freundinnen, Bekannten. Zum Thema Bücher ergänzt sie: „Wenn ich was unbedingt wollte, habe ich das Buch gekauft. Sachbücher (für die Gesundheit), Biografien manchmal, Krimis.“

Elke fährt manchmal zu ihren Schwestern. Die Fahrgelegenheit muss für sie möglichst wenig kosten. Elke unterstützt ihren studierenden Sohn. Sie setzt heute andere Prioritäten. Auch angesichts ihrer Erkrankung wiederholt sie ihren Standpunkt, keine falschen Kompromisse mehr zu machen. Bei einem Gesundheitstraining wurde gefragt: Woraus beziehen wir Kraft oder was ist uns wichtig im Leben? Für Elke ist die Antwort klar: Sie will sich bei der Arbeit wohl fühlen, aber diese soll ihr Leben nicht dominieren. Ihr fällt außer Arbeit so vieles mehr ein, was für sie wichtig ist: Sich um ihre Liebesbeziehung kümmern, regelmäßig Sport machen, grundsätzlich nicht mehr am Wochenende arbeiten. Elke kann sich vorstellen mehr zu malen, hatte sie dies doch bereits während ihres Studiums in einem Mal- und Zeichenzirkel getan und in jüngster Zeit hin und wieder, zur Entspannung. Wenn es Geld und Zeit erlauben, besucht sie ihre Kinder und Enkelkinder in Dresden und New York. Und: Elke will sich weiter engagieren, für andere einsetzen, Unentschlossene zum eigenen Tun motivieren.

Karla Popp, Journalistin

 

Karla Popp, die mit Elke befreundet war, sich mit ihr auch über den Umgang mit ihrer beider schweren Krankheit austauschte, verstarb im Oktober 2017.