Immer mehr Kieze haben den Durchgangsverkehr satt. Berlinweit wird über sogenannte Kiezblocks diskutiert, die den Verkehr aus den Wohngebieten heraushalten und so für mehr Sicherheit sorgen sollen. Im Friedrichshainer Samariterkiez und im Wrangelkiez in Kreuzberg werden erste Maßnahmen getestet. Am 19. Februar fand in der Musikschule in Friedrichshain – dem größten Saal im Kiez – eine erste Bestandsaufnahme zu den von der BVV beschlossenen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im Samariterkiez statt.
Alle reden über die Poller, aber noch zu wenig miteinander. Das war einer der Gründe, weshalb das Bezirksamt zu diesem ersten Aufschlag eingeladen hatte. Es wurde tatkräftig mobilisiert, auch vonseiten der beiden Verkehrs-Initiativen im Samariterkiez. Und so war die erste Konsequenz: Selbst der große Konzertsaal der Musikschule in der Zellestraße 12 mit seinen 200 Plätzen bot nicht allen Interessierten Platz, weswegen die Veranstaltung demnächst noch einmal wiederholt wird.
Wer es in den Saal geschafft hatte, bekam etwa drei Stunden an Information und Diskussion.
Bisherige Versuche der Verkehrsberuhigung
Seit einigen Jahren gibt es im Samariterkiez wie in so vielen Kiezen die Forderung, den Durchgangsverkehr aus dem Kiez fernzuhalten. Insbesondere zu den Stoßzeiten rasten Autos durch den Kiez, um zwischen der Frankfurter Allee und der Eldenaer Straße abzukürzen. Wenn sie nicht auch dort im Stau standen. Insbesondere für die vielen Schulkinder führte das tagtäglich zu gefährlichen Situationen. Da andere Maßnahmen wie Tempo 10, Dialog-Displays und Bodenschwellen sich als nicht wirksam genug herausgestellt hatten, hat eine Initiative mehrere Vorschläge entwickelt, die zusammen mit dem Bezirksamt als Expert*innen bewertet und in mehreren Veranstaltungen diskutiert wurden. Anschließend hat das Bezirksparlament (die BVV) mit großer Mehrheit beschlossen, Diagonalsperren einzusetzen. Keine neue Erfindung: In Kiezen wie im Crelle- oder Graefekiez gibt es das schon seit vielen Jahren. Im Wrangelkiez in Kreuzberg oder am Böhmischen Platz Neukölln wurde die Idee neu belebt. Diese Poller, die Fußgänger*innen und Radfahrer*innen durchlassen, zwingen Autofahrer*innen zum Abbiegen. Ziel ist es, die Abkürzung durch die Wohngebiete so möglichst unattraktiv zu machen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen soll in einem Jahr evaluiert werden.
Es braucht mehr als die Verkehrsberuhigung in den Kiezen
Der BVV-Beschluss aber, den Durchgangsverkehr aus dem Kiez herauszuhalten, bleibt bestehen. Und nicht nur das: Auch in vielen anderen Kiezen werden sogenannte Kiezblocks mit Diagonalsperren diskutiert: So etwa im Kreuzberger Bergmannkiez, rund um das Ostkreuz, aber auch in Mitte und Pankow. Und auch wir finden: Wir brauchen nicht nur Verkehrsberuhigung, sondern wir müssen die Stadt radikal umgestalten. Denn wir wollen nicht dabei stehen bleiben, den Verkehr von den Kiezen fernzuhalten. Gleichzeitig muss das Auto insgesamt zurückgedrängt werden. Wir wollen keine Verkehrsberuhigung in den Kiezen auf Kosten der Menschen an den Hauptverkehrsstraßen.
Verschiedene Positionen zu Diagonalsperren im Samariterkiez
Im Samariterkiez gibt es dazu durchaus unterschiedliche Positionen. In der zweiten Phase kamen beide örtlichen Initiativen auf dem Podium zu Wort: die „Initiative Verkehrsberuhigter Samariterkiez“, der den Vorschlag mit entwickelt hat, und die Initiative „Verkehr und Vernunft“, der es um eine bessere Einbindung der Anwohner*innen geht, die aber auch grundsätzlich Kritik an Diagonalsperren übt. Sie sind der Meinung, man solle zunächst auf weniger einschneidende Maßnahmen setzen. Vertreter*innen der Inis haben sich zu diesen vier Fragen ausgetauscht:
- Was begrüßen Sie an den bisherigen Maßnahmen?
- Welche negativen Effekte der Verkehrsberuhigung nehmen Sie wahr?
- Welche Nachbesserungsbedarfe sehen Sie (Vorschläge)?
- Wie wünschen Sie sich die weitere Beteiligung der Anwohnenden im Prozess der Verkehrsberuhigung?
Anschließend konnten sich die Anwohner*innen in kleineren Gruppen ebenfalls positionieren. Die Diskussion verlief dabei mitunter emotional, aber doch überraschend wertschätzend. So war das nahezu einhellige Fazit, dass man zwar noch nicht zueinander gefunden hat, aber doch miteinander ins Gespräch zu den Lösungen im Kiez gekommen ist. Es wurden einige konkrete Verbesserungsmöglichkeiten der bisherigen Lösungen identifiziert, bspw. zu den konkreten Standorten der Poller.
Die Antworten der Bürger*innen wurden dokumentiert und werden nun im Bezirksamt ausgewertet. Am Ende kommt die Auswertung zur konkreten Umsetzung zurück ins gewählte Bezirksparlament, das über das weitere Vorgehen entscheidet. Demokratisch und wie immer öffentlich. Der Beschluss der BVV ist dabei klar: Die Maßnahmen an sich sind wichtig und beschlossen.
Die Ergebnisse der Veranstaltung finden sich als PDF-Datei unter https://gruenlink.de/1qe0
Pascal Striebel, Annika Gerold, Bezirksverordnete, für den Stachel 04/2020