Die vietnamesische Gemeinschaft in Berlin zählt zu den größten in Europa. In Friedrichshain leben besonders viele Familien ehemaliger Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter aus DDR-Zeiten. Sie sind aus dem dortigen Stadtbild nicht mehr wegzudenken
Der vietnamesische Bäcker um die Ecke ist ein liebenswürdiger Mann. Er grüßt freundlich, auch wenn man gerade einmal kein Brot kaufen möchte, sondern nur an seinem sympathisch eingerichteten Geschäft vorbeiläuft. Auch die vietnamesische Blumenverkäuferin schräg gegenüber scheint stets gut gelaunt und verschenkt gerne einmal eine Rose beim Erwerb eines Blumenstraußes. Dass der China Imbiss am Ende der Straße ebenfalls von Vietnamesen geleitet wird, zeigt wiederum das vietnamesische Fernsehprogramm, welches ab und an eingeschaltet ist. Zwischen all diesen Geschäften hat sich ein Spätkauf etabliert, den ein vietnamesischer Besitzer, fast schon erwartungsgemäß, sein Eigentum nennt.
Offiziellen statistischen Daten aus dem Jahre 2007 folgend leben im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg knapp 1500 Menschen mit vietnamesischer Staatsbürgerschaft. Viele Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer vietnamesischer Herkunft entstammen Familien, die in den 80er Jahren zur Vertragsarbeit in die DDR kamen. Damals nahm der Staat zirka 60.000 Menschen aus dem Land am Südchinesischen Meer auf. Sie stellten zwei Drittel aller Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter, die beispielsweise auch aus Kuba, Mosambik oder Angola kamen. Eine Integration war damals unerwünscht, Wohnheime wurden eingerichtet und die Aufenthaltserlaubnis auf drei bis fünf Jahre begrenzt. Zum Einsatz kamen diese Menschen häufig dort, wo eine gesundheitsschädliche, schlecht bezahlte oder einfach nur unbeliebte Arbeit wartete.
Mit dem Fall der Mauer begann zudem eine unsichere Zeit. Die Betriebe, in denen die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter geschuftet hatten, kämpften nun ums Überleben und zu allem Überfluss schlossen die Wohnheime. Zudem häuften sich Pöbeleien „national gesinnter“ Mitmenschen. Die Folge war ein Fortzug, dem sich jedoch geschätzte 15.000 Personen vietnamesischer Herkunft nicht anschlossen. Sie mussten Jahre in einer Grauzone überstehen, bis endlich 1993 eine Arbeitserlaubnis und ein befristetes Bleiberecht beschlossen wurden. Viele ehemalige Arbeiterinnen und Arbeiter machten sich in der Folge selbständig und eröffneten Läden und kleine Buden. In Friedrichshain prägen diese noch heute das Straßenbild mehrerer Quartiere.
Mittlerweile wächst eine zweite Generation heran. Sie ist nach Zeitungsmeldungen auffallend erfolgreich in der Schule und besucht überdurchschnittlich häufig das Gymnasium. Dies hat nicht selten auch mit dem Ehrgeiz der Familie zu tun, die einen sehr großen Wert auf die gute Ausbildung des Nachwuchses legt. Aufgebauter Erwartungsdruck allerdings inklusive. So kann es passieren, dass nur mehr radebrechend Deutsch sprechende Eltern stolz auf ihre Kinder schauen, die in einer Selbstverständlichkeit eine Universitätskarriere ins Auge fassen.
Alexander Jossifidis