Parlament diskutiert über Volksentscheid zu Wasserverträgen / Opposition: Senat ohne Vertrauen der Wähler. Ein Artikel aus der Berliner Zeitung von JAN THOMSEN und REGINE ZYLKA.
Heidi Kosche von den Grünen, aktives Mitglied des „Berliner Wassertisches“, hat eine eher leise Stimme. Allein deshalb fällt sie auf in dieser lauten Debatte im Abgeordnetenhaus, in der es gestern um den ersten erfolgreichen Volksentscheid Berlins am vorigen Sonntag geht. Fast 666000 Menschen, 27Prozent der Wahlberechtigten, votierten für die Initiative des „Wassertisches“, die Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) offenzulegen. Und das, obwohl der Senat stets beteuert hatte, dass längst alles offengelegt sei. Dies sei eine „eindeutige Vertrauenskrise“, sagt Kosche. Und sie rechnet vor, dass die Zahl der Ja-Stimmen am Sonntag höher liegt als die Zahl der Wähler, die 2006 den Regierungsparteien SPD und Linke ihre Stimme gaben.
Von einem Misstrauensvotum sprechen alle Redner der Opposition. CDU-Fraktionschef Frank Henkel nennt es „dreist“, dass der Regierende Bürgermeister nach dem Entscheid, den er doch zuvor für überflüssig hielt, auf einmal von einer „Rückendeckung“ für den Kurs des Senats sprach, die Betriebe möglichst wieder zurückzukaufen. „Selbst ein Chamäleon könnte von Ihnen noch lernen, wie man schnell die Farbe wechselt“, ätzt Henkel gegen Wowereit, der ohne sichtbare Regung auf der Regierungsbank sitzt. Henkel nennt die laufenden Verhandlungen des Senats mit den Investoren über Vertragsänderungen und Rückkauf eine „gewaltige Wählertäuschung“. Er fordert vom Senat eine Senkung der Wasserpreise, denn sie seien politisch gestaltbar, etwa durch das Streichen von Gebühren und Entgelten. Auch die FDP will Preissenkungen vom Senat und kritisiert „überhöhte Ausschüttungen“ an das Land, dem die Wasserbetriebe noch zu 50,1 Prozent gehören. FDP-Fraktionschef Christoph Meyer warnt vor einem Rückkauf, der bedeute nur „teure Abzocke und verfilzte Strukturen“.
Der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann erklärt, die Bürger hätten Recht mit ihrem Misstrauen. Denn der Senat habe eben doch nicht alles offengelegt, das sei inzwischen „nachgewiesen“. Auch seine Fraktion, so Ratzmann, wolle zwar den Rückkauf von Anteilen der privaten Investoren RWE und Veolia. Aber nicht um jeden Preis: „Sie wollen doch die Rekommunalisierung, egal was es kostet“, hält Ratzmann der rot-roten Regierung vor.
Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe, weist das zurück. „Wir werden nicht jeden Kaufpreis akzeptieren“, sagt Wolf zu den derzeit laufenden Verhandlungen mit RWE über einen Rückkauf ihrer Anteile von knapp 25 Prozent. Es müsse auch noch Spielraum für eine Preissenkung geben. Es sei auch falsch, dass noch nicht alles, was zu den Teilprivatisierungsverträgen gehöre, veröffentlicht sei. Die Grünen und ihre Spitzenkandidatin Renate Künast, die das behaupten, sagten die Unwahrheit, sagt der Senator. Wolf weist auch die neueste Forderung des „Wassertisches“ nach einem Stopp der Verhandlungen mit RWE zurück. Er wolle die Chance lieber nutzen, den Einfluss des Landes auf das Unternehmen zu erhöhen. Heidi Kosche von den Grünen wirft Wolf vor, ohne Mandat zu verhandeln: „Dieser Senat hat nicht das Vertrauen, alleine die Rekommunalisierung zu betreiben“, sagt sie. Auch dies könne nur noch unter Beteiligung der Bürger geschehen.
180 Ordner Wasserpolitik
Der Raum ist karger ausgestattet, als man es in einer Berliner Behörde ohnehin erwartet: ein schlichter Schreibtisch, ein Computer, zwei alte Stühle und Holzregale. Das war’s. Die üblichen Büropflanzen fehlen, wofür es eine Erklärung gibt. Mitarbeiter benutzen das Zimmer der Finanzverwaltung in der Klosterstraße 59 eher selten, es dient vor allem der Aktenaufbewahrung. Die 180 Ordner, die bis vor drei Monaten im Keller lagerten, haben eine gewisse Berühmtheit erlangt – ansehen konnte sie bislang aber kaum jemand. Es handelt sich um den Großteil jener 90000 Seiten, auf denen der Senat vor über zehn Jahren die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe festhielt. Weitere 80 Ordner bewahrt die Wirtschaftsverwaltung auf. Der Konsortialvertrag nebst rechtlicher Anlagen befindet sich in einem grünen Ordner in der Mitte des Regals, als Datei ist er inzwischen im Internet zu finden. Um die übrigen Papiere, darunter Zeitungsartikel, Hochglanzbroschüren und Beamtenvermerke, tobt ein politischer Streit. Die Frage ist, ob der Senat nach dem Volksentscheid weitere Dokumente veröffentlichen muss. Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der auf Anfrage gestern einen Blick in die Ordner gestattete, hätte persönlich kein Problem damit, wie er sagte. Als Beweis könnte er einige Tage der offenen Tür in seinem Aktenzimmer veranstalten. (zy.)