Clara Herrmann wurde 1985 in Berlin geboren. Nach dem Abitur an der Paul-Natorp-Oberschule in Friedenau studierte sie Geografie und Wirtschaft an der Humboldt-Universität. Bereits 2006 wurde sie für uns ins Abgeordnetenhaus gewählt. Dort war sie unter anderem für die Haushaltspolitik und den Verfassungsschutz zuständig. Seit 2016 ist sie Stadträtin für Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Stachel sprach mit ihr über ihre Kandidatur für das Amt der Bezirksbürgermeister*in.
Stachel: Wie kam es zu dem Entschluss, sich für das Amt der Bürgermeisterin zu bewerben?
Clara Herrmann: Ich habe große Lust auf das Amt. Unser Bezirk ist ein ganz besonderer, er ist vielfältig und divers, und vor allem: Den Menschen hier ist es nicht egal, was passiert, sie haben eigene Vorstellungen und wollen gestalten. Und ich bin froh, dass hier die Menschen deutlich machen, wenn ihnen etwas nicht passt. Nach über vier Jahren als Stadträtin weiß ich: Alle großen Fragen werden vor der Haustür entschieden. Ob es um die Mieten geht, den öffentlichen Raum, die Parks und die Verkehrswende, oder das Klima. Die Klimakrise ist zwar eine globale Herausforderung, aber die Weichen, um klimaneutral zu leben, werden vor Ort gestellt. Und wir in Xhain haben gute Ideen und wir schaffen es, mit diesen guten Ideen bundesweit und sogar darüber hinaus durchzudringen. Als Grüne waren wir in diesem Bezirk oft diejenigen, die sich getraut haben, mutig voranzugehen, in die richtige Richtung für eine gerechtere Gesellschaft, für echten Klimaschutz. Und ich will, dass wir das auch in Zukunft tun.
Stachel: Reichen denn die Kompetenzen, die ein Bezirk in Berlin hat, dafür aus?
CH: Jeder Bezirk ist für sich genommen, wenn man es mit den Flächenländern vergleicht, eine große Kommune. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg leben fast 300.000 Menschen und hier wie dort gilt: Die Kommunen müssen finanziell ordentlich ausgestattet sein. Und sie müssen eigenständig handeln können. Unser Bezirkshaushalt ist komplett abhängig von der Finanzzuweisung des Landes. Ich will mich dafür einsetzen, dass wir als Bezirk mehr eigenständige finanzielle Spielräume erhalten und nicht weniger. Die Corona-Krise hat es noch einmal deutlich gezeigt: Die Bezirke dürfen nach der Pandemie nicht das Sparschwein einer falschen Politik von Land oder Bund werden. Im Gegenteil: Wir brauchen dieses starke Fundament vor Ort: ob sanierte Schulen, saubere Parks, mehr Radwege, sozialer Zusammenhalt, Mieter*innenschutz, lebendige Kulturszene – dafür brauchen wir starke Bezirke!
Und ich gehe da noch weiter: Ich will mich für ein gerechteres Steuersystem einsetzen, damit die Schere zwischen Arm und Reich endlich kleiner und nicht immer größer wird. Eine echte Vermögensbesteuerung für finanzstarke Kommunen – das werden wir hoffentlich mit starken Grünen im Bund umsetzen. Wir werden es im Zweifel aber auch von einer grünen Kanzler*in einfordern.
Stachel: Wo siehst Du die Schwerpunkte Deiner zukünftigen Arbeit?
Im Kern geht es um drei große Fragen, die letztlich alle miteinander zusammenhängen. Wir haben für alle die richtigen Konzepte, die wir gemeinsam mit den Xhainer*innen umsetzen wollen. Da ist zum einen der Klimaschutz: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir die Stadt umbauen. Wir müssen sie als ein Konzept mit vielen Bausteinen denken, vom dezentralen Regenwassermanagement bis zur Solarpflicht. In Xhain werden fast 90% der Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zurückgelegt, es stehen aber knapp 60% der Verkehrsflächen dem Auto zur Verfügung. Das ist unverhältnismäßig.
Wir setzen auf Fußgänger*innen, Radverkehr, den ÖPNV und mehr Grün und dafür muss der öffentliche Raum umverteilt werden. Es gibt kein Recht auf einen kostenfreien Parkplatz vor der Haustür, aber ein Recht auf saubere Luft zum Leben. Ein Beispiel: Meine Vision ist ein neuer Park durch den ganzen Bezirk: von der Petersburger Straße durch Friedrichshain zur Oberbaumbrücke und durch Kreuzberg immer entlang der Hochbahn U1 – wir schaffen neuen Platz für Grün und der Autoverkehr beschränkt sich auf eine Seite. Das machen wir nicht, weil wir Autofahrer*innen ärgern wollen, sondern weil wir wollen, dass dieser Bezirk einen lebenswerten öffentlichen Raum hat. Oder kurz gesagt: Radweg oder Blechlawine? Pocket-Park oder Ballermann? Blumenwiese oder Beton?
Stachel: Aber dabei geht es nicht nur um ökologische Fragen?
CH: Klimaschutz und Verkehrswende sind zutiefst eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Und damit sind wir bei der zweiten Kernfrage: Xhain muss ein Ort des Zusammenhalts bleiben, ein Ort des Miteinander. Und deshalb haben wir jeder Form von Verdrängung den Kampf angesagt. Wir wollen 50% des Wohnraums in gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung überführen und damit der Spekulation entziehen. Weil eine Wohnung kein Spekulationsobjekt ist, sondern ein Zuhause. Wir stehen für eine konsequent gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik, weil wir Mieter*innen, Kulturschaffende und Kleingewerbetreibende vor Profitgier und Verdrängung schützen wollen. Gemeinsam mit Canan Bayram kämpfen wir auf Bundesebene für ein starkes Mietrecht. Dabei darf auch Enteignung kein Tabu sein. Denn im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Wir brauchen mehr Wohnraum, aber auch beim Thema Nachverdichtung planen wir die Stadt der Zukunft und keine Betonwüsten. Wir sind bereits der am dichtesten besiedelte Bezirk in Berlin und brauchen Grünanlagen und Räume der Begegnung ohne Konsumzwang!
Stachel: Und der dritte Punkt?
CH: Das ist die Vielfalt. Xhain ist Ankunftsort und Sehnsuchtsort für alle, die eine offene, diskriminierungsfreie, emanzipatorische und bunte Gesellschaft leben wollen. Aber das ist nicht selbstverständlich. Wir müssen solidarisch mit den Opfern von Diskriminierung und mit all den Initiativen und Menschen in den Kiezen sein, die sich täglich gegen Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus engagieren. Gemeinsam setzen wir uns für die Rechte von Geflüchteten ein. Und wir machen uns für eine verbindliche Migrant*innen – Quote für im öffentlichen Dienst stark. Wir zeigen klare Kante gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Und das gilt nicht nur für die Gegenwart. Für uns gilt: Unser Gedenken ist antirassistisch, queer-feministisch und divers. Deshalb wollen wir auch ein dauerhaftes Denkmal gegen Rassismus in unserem Bezirk.
Stachel: Das betrifft dann die Kultur im Bezirk?
CH: Insbesondere die Freie Szene ist ein starker Motor bei uns im Bezirk. Kulturschaffende, Soloselbstständige und Clubs sind durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie besonders hart getroffen. Gerade jetzt müssen wir daher die vielfältige Kulturszene stärken, das möchte ich mit voller Kraft tun. Denn wir gehen hier schon immer neue Wege und trauen uns, gegen den Strom zu schwimmen. Ohne uns keine bezirkliche Kulturarbeit, die weltweit für eine linke, vielfältige, antirassistische, feministische, postkoloniale, partizipative und queere Kultur- und Gedenkarbeit steht.
Und das gilt für vieles: Ohne uns kein Familienservicebüro, kein Parkmanagement, keine Pop-up Radwege, keine Pop up Parks, kein konsequenter Einsatz für die Mieter*innen, kein Verbot von sexistischer Werbung.
Stachel: Ein Blick auf die kommenden Wochen und Monate?
Viele von uns freuen sich auf den Wahlkampf und das ist gut so: denn es geht um verdammt viel. Und wenn die rechtsextreme AfD uns zur Hauptgegnerin erklärt, dann wissen wir: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir Grüne in Xhain übernehmen Verantwortung. Dafür kandidiere ich als grüne Bezirks-Bürgermeisterin für Friedrichshain-Kreuzberg. Für starke grüne Xhainer*innen in Bund, Land und vor Ort.
Das Gespräch führte Henry Arnold für den Stachel