Berlins Bündnisgrüne diskutieren auf ihrem ersten Bezirkekongress über BürgerInnenbeteiligung
Ob Mediaspree oder Kastanienallee, das Bauvorhaben in der Nachbarschaft oder die Baumscheibe vor der Haustür: Es gibt kaum einen Gegenstand von öffentlichem Interesse, bei dem die Berlinerinnen und Berliner nicht auf den Plan treten, sich Gehör verschaffen, mitmischen wollen. Sie haben eigene Vorstellungen davon, wie ihre Stadt aussehen soll. Und die wollen sie in die Tat umsetzen. Das Ideal vom zivilgesellschaftlichen Engagement und dem Einsatz für das Gemeinwohl – in Berlin wird es tagtäglich gelebt.
Dabei wird oft übersehen, dass sich gute BürgerInnenbeteiligung erst in der Praxis, im Zusammenwirken von BewohnerInnen, Verwaltung und Politik beweist. Und die Erfahrungen zeigen: Echte Partizipation muss in Berlin noch gelernt werden. Abgesehen davon, dass die Einbeziehung von EinwohnerInnen manchmal, aber keineswegs im Regelfall erfolgt – auch im Beteiligungsfall erweisen sich manche Verfahren als wenig geeignet, das Vorurteil einer „abgehobenen Politik“ und einer „ignoranten Verwaltung“ zu korrigieren. Wenn EinwohnerInnen „Sandkastenspiele“ und „Alibiveranstaltungen“ vermuten, die Verwaltung Frust schiebt und die Politik dicht macht, hat Beteiligung vor allem eines geschafft: sich selbst ad absurdum zu führen.
BürgerInnenbeteiligung als politisches Kernanliegen
Für uns Bündnisgrüne ist und bleibt BürgerInnenbeteiligung ein politisches Kernanliegen. Das zieht aber zwangsläufi g die Erkenntnis nach sich, dass es bei Partizipation nicht nur um das Ob, sondern immer auch um das Wie geht. Als Frage formuliert: Was bedeutet es konkret, wenn man nicht gegen die EinwohnerInnen oder über sie hinweg, sondern „mit der Stadt regieren“ will? Um dies zu beantworten, haben sich am 11. und 12. Juni Bezirksverordnete, Bündnisgrüne und viele Gäste aus Berlins bunter Initiativen- und Beteiligungsszene im Rathaus Schöneberg getroffen.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, dass für gute BürgerInnenbeteiligung keine „Weltformel“ existiert, sondern dass sie als eine Grundhaltung und als ein Prozess verstanden werden muss. Entscheidend ist der Vorsatz von Verwaltung, Politik und EinwohnerInnen, sich aufeinander einlassen zu wollen. Wer, wie und aus welchem Anlass zu beteiligen ist, ist von Fall zu Fall auszuhandeln. Das Verfahren muss sich der Dynamik des Geschehens anpassen, nicht umgekehrt. So schwer es aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen und Rollen auch ist, die „Augenhöhe“ aller Beteiligten herzustellen, so sehr muss sie als Maßstab gemeinsamen Handelns gelten.
Der Vielfalt von Beteiligungswünschen und -gegenständen steht eine Vielfalt von Instrumenten gegenüber. Es gilt im Einzelfall zu entscheiden, ob die Ideenwerkstatt oder der Runde Tisch, die EinwohnerInnenbefragung oder Informationsveranstaltung, eine adäquate Form der Einbeziehung darstellt. Gerade im Konfliktfall kann es beispielsweise Sinn machen, Verfahren in die Hände einer neutralen Moderation zu legen. Institutionalisierte Beteiligung in Form von Quartiersmanagement, Stadtteilausschüssen und Betroff enenvertretungen bringt Vorteile mit sich, darf aber anderen Beteiligungsformen und Initiativen „von unten“ nicht zum Nachteil gereichen.
BürgerInnenbeteiligung braucht Standards
Ein vielseitiger Instrumentenkasten heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass es keine Regeln gibt. BürgerInnenbeteiligung braucht Standards, und zwar härtere als in Berlin gegenwärtig gelten. Das betriff t insbesondere die Verbindlichkeit, die Öff entlichkeit zu informieren, frühzeitig ebenso wie fortlaufend. Genauso entscheidend ist es, im Vorfeld das „Bedingungsgefüge“ zu kommunizieren, also welchen rechtlichen, fi nanziellen und Voraussetzungen das Verfahren unterliegt – und wann das Reden ein Ende hat und entschieden werden muss.
In der Summe bringt das hohe Anforderungen an die Verwaltung und die Frage mit sich: Was ist uns Beteiligung wert? Eine beteiligungsfreundliche Verwaltung braucht das Know-how und die Ressourcen, um den Anforderungen der EinwohnerInnen gerecht zu werden. Es geht um ausreichendes und qualifi ziertes Personal, durchlässigere Strukturen und präzisere Aufgabenbeschreibungen. Warum hat Berlin, haben die Bezirke beszum Beispiel keine „Beteiligungsbeauftragten“? Die Erfahrung lehrt: Beteiligung kostet nicht viel, zahlt sich aber aus.
Jeder Mensch will beteiligt werden
. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass einige BürgerInnen sich besser als andere Gehör verschaff en können. Der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Teilhabe, die Besonderheiten von gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Ansprache – sie müssen in Beteiligungsverfahren berücksichtigt werden.
Für eine gelungene Partizipation von Kindern und Jugendlichen gibt es etwa eindrucksvolle Bespiele, mit dem Schönheitsfehler, dass sie nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel darstellen.
Fazit: Bündnis 90/Die Grünen wollen in Berlin eine andere politische Kultur, mehr Mitbestimmung und Partizipation gewährleisten. Das rot-rote Negativbeispiel zeigt: Der Stadtstaat Berlin mit seinen zwölf Bezirken lässt sich nicht mehr einfach zum Objekt von Regierungshandeln mit Fünf-Jahres- Plan reduzieren. Beim Bezirkekongress wurde deutlich, dass es nicht allein um eine Frage des politischen Stils, sondern um konkrete Maßnahmen, moderne Strukturen und gemeinsames Handeln von EinwohnerInnen, Verwaltung und Politik geht. Dem wollen wir Bündnisgrüne in unserer Programmarbeit für die Abgeordnetenhauswahl und die Bezirksparlamente Rechnung tragen.
Daniel Wesener, Bezirksverordneter