DS/2221/IV Mündliche Anfrage

Bezirksamt Friedrichshain- Kreuzberg von Berlin
Abt. Soziales, Beschäftigung und Bürgerdienste
Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

1. Wie viele Plätze im betreuten Wohnen (für jugendliche, psychisch Kranke, Menschen mit Behinderung) sind, aufgrund von Kündigung der Vermieter oder Mietsteigerung, in den letzten zwei Jahren verloren gegangen oder drohen verloren zu gehen?

Das Bezirksamt hat in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass der laufende Prozess der Gentrifizierung nicht ohne Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum für das Klientel bzw. für Betreuungsangebote des betreuten Wohnens im Rahmen der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe bleibt.

Zumeist ist das ein schleichender Prozess, nicht immer wird der Verlust oder die Gefährdung von Angeboten des betreuten Wohnens für Jugendliche, psychisch Kranke und Menschen mit Behinderung so wahrgenommen, wie wir das im vergangenen Jahr erfahren mussten, als im Quartier zwischen Koch-, Wilhelm- und Zimmerstraße die Angebote gleich mehrere Träger durch Kündigung bzw. Mieterhöhungen in Frage gestellt wurden.

Am 30.6.2015 informierte Vita e.V., dass seitens neuer Eigentümer zunächst eine Mieterhöhung zum 1.9.2015 um ca.70% sowie dann eine Kündigung zum 31.3.2016 22 Wohnungen und 1 Tageszentrum wurden in der Zimmerstraße ausgesprochen wurden, die 1988 zum Zwecke betreuten Wohnens errichtet wurden.

Eine daraufhin erfolgte Abfrage ergab, dass im selben Quartier 15 Wohnungen der Aktion Weitblick von enormen Mieterhöhungen betroffen waren .

Die AWO city (5 Plätze) und Prowo (6 Plätzen) waren mit jeweils einer WG betroffen.
Prowo droht derzeit in der Wrangelstraße für 8 weitere Plätze eine Eigenbedarfskündigung seitens der Diakonie, die ihrerseits eine Kündigung von 16 Plätzen für obdachlose Frauen mit Kindern an anderem Ort erhalten hat.

Diese Konstellation unterstreicht nochmals im besonderen Maß die Dramatik der Situation in der Akquise von bezahlbarem Wohnraum für Betreuungszwecke.

Vom DRK ist bekannt, dass Räume in der Muskauer Straße ebenfalls von Mieterhöhungen betroffen sind. Nach Aussage unserer QPK/Psychiatriekoordination sind aktuell bei einer Kapazität von 196 Plätzen im Bezirk ca. 15%-20 der Plätze mit Trägerwohnraum im betreuten Wohnen für Erwachsene mit seelischen Behinderungen gefährdet.

Nach derzeitigem Kenntnisstand des Jugendamtes wurden bei den Kooperationsträgern innerhalb der letzten 2 Jahre 23 Plätze im Betreuten Jugendwohnen gekündigt. Diese Plätze befanden sich sowohl in Friedrichshain-Kreuzberg (11 Plätze) als auch in Neukölln (6 Plätze) und Zehlendorf (6 Plätze), diese werden aber durch den Bezirk überregional genutzt. Darüber hinaus ist die schrittweise Kündigung weiterer 9 Plätze im Therapeutischen Einzelwohnen in Friedrichshain-Kreuzberg vom Vermieter angekündigt (jedes Jahr 2 Wohnungen).
Eine genaue Ermittlung von Zahlen wäre sowohl im Bereich der Eingliederungshilfe als auch der Jugendhilfe nur über eine gezielte Abfrage der Träger möglich.

2. Für wie viele Betreuungsplätze konnten die betroffenen Träger Ersatz im Bezirk finden?

Nach einer Abfrage von Anfang des Jahres konnte Prowo im Bezirk konnte keinen Ersatz finden, ein Teil des Klientel konnte im Bezirk Mitte weiter vermittelt werden. Bei Vita konnten lediglich 11 von 23 Betreuten im Bezirk versorgt werden. Dafür mussten u.a.
Plätze für Flüchtlinge in der Blücherstraße gekündigt werden und ein Angebot des Bezirkes für die Versorgung von suchterkrankten Menschen umgewidmet werden.

Der Aktion Weitblick ist es nicht gelungen Ersatz zu finden. Im Jugendbereich konnten die Träger für 11 Plätze mit großen Anstrengungen Ersatz im Bezirk finden. Für 12 Plätze wurden Lösungen in anderen Bezirken gefunden. Unklar bleibt, wie die angekündigte
schrittweise Kündigung der 9 Plätze Therapeutisches Einzelwohnen (Friedrichstraße)
abgefangen werden können. Bei „Alternativwohnungen“ muss die Anbindung an die Treffpunktwohnung des Trägers gewährleistet sein, um auftretende Krisen innerhalb des Therapeutischen Prozesses sichern zu können, somit können „Ersatzwohnungen“ nur in der Nähe der Treffpunktwohnung Friedrichstraße liegen.

Es gibt eine übereinstimmende Aussage der Rechtsanwälte und erste praktische Erfahrungen, dass ein juristisches Vorgehen gegen die Mieterhöhung wenig aussichtsreich sind. Seitens der Träger wurde und wird der Weg von Verhandlungen über die Staffelung von Kündigungen, um pragmatisch Zeit zu gewinnen, betreute Bewohner aufzufangen und mitzunehmen, wenn es um alternative Orte des betreuten Wohnens geht.

3. Was hat das Bezirksamt unternommen um den Verlust der Plätze im betreuten Wohnen abzuwenden?

Das Bezirksamt hat sich im vergangenen Jahr auf den Infoveranstaltungen der Träger im Juni und Oktober klar zu einer Unterstützung der Träger positioniert. Es wurden auf dem Weg der Suche nach geeigneter Unterstützung Gespräche mit dem Paritäter und dem Senat geführt.

Das ursprüngliche Angebot an die Träger, sie bei den Verhandlungen in der Vertretung gegenüber dem Eigentümer öffentlich politisch mit gemeinsam mit dem Senat zu unterstützen wurde nicht weiter verfolgt, da sich die Träger für den unter 1. beschriebenen Weg einer pragmatischen Lösung entschieden haben.

Für das Sozialamt wurde letzten Sommer die Entscheidung getroffen, Mieterhöhungen im Rahmen der Leistungsorganisation zu übernehmen unabhängig von den Regelungen AV Wohnen, um die Betreuungskontinuität zu gewährleisten, bis neue Räume gefunden sind.

Der Bezirk hat seit Jahren Vorhaben von Leistungsanbietern unterstützt, ehemals bezirkliche Immobilien zu erwerben und diese für betreute Wohnzwecke zu entwickeln. In der der Blücherstraße konnte so ein ehemaliges Seniorenwohnhaus aus dem Liegenschaftsfonds an Vita und Jugendwohnen im Kiez verkauft werden.

Hier gibt es allerdings auch Konflikte mit Anwohnenden bzw. Zielkonflikte, wie aktuell am Beispiel des Bauvorhabens in der Blücherstraße deutlich wird. Die Abgabe der Immobilie Müllenhoffstraße an Prowo und ajb ist leider nicht zustande gekommen. Das Sozialamt hat zum ersten Mal im Frühjahr 2012 Fachnutzungsbedarf für Wohnhilfe und betreutes
Wohnen bei der Nachnutzung der GHS angemeldet.

Die entscheidende Frage ist aber doch, welchen Einfluss nimmt das Land Berlin als Eigentümer auf städtische Wohnungsunternehmen, um im Rahmen des Wohnungsbaus bei Neubauvorhaben Wohnraum für betreutes Wohnen zu schaffen, der die Bedarfe deckt. Bereits ohne Verlust von Plätzen kann aktuell der regionale Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllt werden.

Das Bezirksamt vertritt die Position, dass das Land Berlin als Eigentümer der großen Wohnungsgesellschaften eine besondere Verpflichtung zur Schaffung von Wohnraum für den Baustein „betreutes Wohnen“ hat. Bis in die 90er des letzten Jahrhunderts wurde im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus selbstverständlich Wohnraum gebaut, der eine gemeindenahe Versorgung zu sichern half.

Wir brauchen dringend eine Renaissance solcher Förderung. Das Bezirksamt setzt sich dafür ein, dass im Rahmen von Wohnungsneubau Kontingente für Trägerwohnungen für den Bereich des betreuten Wohnens bereitgehalten werden. Entsprechend nehmen die beteiligten Bereiche Stellung bei Bebauungsplan-vorhaben.

Auch im Rahmen von Einzelgesprächen mit Geschäftsführern der im Bezirk tätigen WBG wie in einem Gespräch der Bezirksbürgermeisterin, des Bau- und des Sozialstadtrates mit Vertretern der WBG im November 2015 wurde dieses Erfordernis deutlich gemacht.

Der Themenbereich betreutes Wohnen wurde sowohl in der Behindertenplanung (2013) als auch im letzten Gesundheits- und Sozialbericht (2014) als Schwerpunkt behandelt.
Auch stationäre Jugendhilfeträger hatten und haben zunehmend massive Schwierigkeiten bei der Anmietung von geeignetem und bezahlbarem Wohnraum, nachdem Mietverträge gekündigt bzw. nicht mehr verlängert wurden oder drastische Mieterhöhungen die Beendigung des Mietverhältnisses zur Folge hatten.

Stark zunehmende Bedarfe im Zuge der „Wachsenden Stadt“ und der Zunahme von Flüchtlingen potenzieren das beschriebene Problem. Auch hier ist ein Vorgehen gegen diese Mietpraxis auf dem Rechtsweg regelhaft erfolglos, da es sich um Gewerbemietverträge handelt.

Mit dem Ziel der Sicherung bestehender Angebote der Stationären Jugendhilfe und der Freisetzung neuer Ressourcen ist das Jugendamt in den letzten Jahren auf den unterschiedlichsten Ebenen aktiv geworden:

– Freie Träger und Jugendamt haben 2015 gemeinsam eine fachliche Stellungnahme im
Rahmen der AG nach § 78 SGB VIII – HzE verabschiedet mit der sie eine verbindliche Belegungsquote für Jugendhilfeempfänger bei Neuvermietung und einen verbindlichen Bestand an Trägerwohnungen in den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gefordert haben. Diese Stellungnahme wurde sowohl in den Jugendhilfeausschuss Friedrichshain-Kreuzberg als auch den Landesjugendhilfeausschuss, die Liga der Spitzenverbände und das Abgeordnetenhaus gerichtet.

– Seit 2014 wurde das Pilotprojekt „Wohnungsführerschein“ erfolgreich von 2 freien Trägern für Jugendliche in der Verselbständigungsphase durchgeführt.

– Zur Sicherung bezirklicher Krisenplätze und der Schaffung weiterer Kapazitäten für das Betreute Jugendwohnen hat das Jugendamt der SenBJW die Nutzung der Liegenschaft
Marktstr. 13 für die Jugendhilfe empfohlen. Diesbezüglich gab es Abstimmungen zwischen
der SenBJW, der BIM dem Bezirk Lichtenberg sowie dem Jugendamt Friedrichshain-
Kreuzberg. In Abhängigkeit von aktuellen Bedarfen ist dieses Objekt gegenwärtig durch
das LAGeSo für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen.

– Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Liegenschaftspolitik des Landes Berlin wurde der Bedarf der Stationären Hilfen zur Erziehung in die Clusterung eingearbeitet.

– Es erfolgten und erfolgen Bedarfsformulierungen im Rahmen von Stellungnahmen zu Förderkulissen und Bebauungsplänen. Das Jugendamt hat in seiner Stellungnahme zum
Grobkonzept“ Soziale Infrastruktur“ 2015 ebenfalls auf diese Bedarfe hingewiesen.

– In den unterschiedlichen Fachgremien bei der SenBJW, sowie der Runder der Jugendamtsdirektorinnen und -direktoren und der Bezirksstadträtinnen und -stadträte wird und wurde diese Problematik thematisiert.

Nachfrage:

1. Was muss nach Ansicht des Bezirksamtes unternommen werden, um die Plätze im Betreuten Wohnen zu halten?

Die für den Bereich des betreuten Wohnens zuständigen Ämter/Fachbereiche müssen etwa im Rahmen städtebaulicher Verträge in die Lage versetzt werden, Wohnraum zur Vermietung oder zum Kauf an freie Träger zu vermitteln. Hier ist eine bessere Zusammenarbeit mit dem Stadtentwicklungsamt notwendig.

Entsprechende Stellungnahmen der für betreutes Wohnen zuständigen Bereiche (insbesondere Ges/QPK, Soz und Jug) sollten vorrangig berücksichtigt werden. Durch bezirkliche, fachübergreifende Planungen sollte auch das spezifische Handlungsfeld „Betreutes Wohnen“, das in den aktuell im Auftrag von SenStadt parallel zu erstellenden Soziale Infrastruktur-Konzepten (SIKO) ausgeklammert wird, einen adäquaten Stellenwert im Rahmen der Bezirksplanung bzw. Bezirksregionenprofile erhalten.

Knut Mildner-Spindler

Friedrichshain-Kreuzberg, den 26.05.2016
Bündnis 90/die Grünen
Fragesteller: Manuel Sahib

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