Die Forderung nach Schutz vor Verdrängung war nicht die einzige wohnungspolitische Forderung aus dem Chamissokiez, wo im Januar eine Diskussionsveranstaltung zum Thema: Wohnen in der Innenstadt – bezahlbar oder Privileg? stattfand

Geladen waren zahlreiche Stadtteilinitiativen, Mieterorganisationen und Sanierungsträger. Der Berliner Mieterverein hob hervor, der Senat habe es selbst verschuldet, wenn von preiswerten Wohnungen in Berlin fabuliert werde. Dies stütze zwar das Senatsziel, junge, hochqualifizierte Menschen nach Berlin zu locken, die der Kreativwirtschaft starke Impulse gaben. Aber es führte auch dazu, dass die Wohnungseigentümer ihre Mietforderungen ins Unermessliche schraubten und renditeorientierte Heuschrecken über Wohnungsbestände herfielen. Des Weiteren sorgte das Senatsgerede von einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt dafür, dass der Wohnungspolitik Steuerungsinstrumente aus der Hand geschlagen wurden.

Die große Berliner Immobilienverwertungskoalition

So sorgte eine große Immobilienverwertungskoalition (Andrej Holm) aus Senat, Gerichten und Wohnungseigentümern dafür, dass der Einkommensanteil für das Wohnen oft auf deutlich über 30% stieg. Der Vergleich mit München oder Paris verbietet sich schon dadurch, dass das Berliner Lohnniveau von solchen Städten weit entfernt ist. Besonders betroffen sind die unteren Einkommensschichten. Aber gerade die kleinen, preiswerteren Wohnungen (für Singles oder Familien mit Kindern) weisen hohe Mietsteigerungen auf. Zusätzlich wurde in diesem Segment durch Abriss und Leerstand das Wohnungsangebot reduziert. Insofern ist es kühn, von einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt zu sprechen.

Die Spirale der Gentrifizierung

Die Karawane der Kreativpioniere hat sich seit dem Mauerfall wie eine Spirale durch die Innenstadt bewegt. Sie wanderte von Kreuzberg (zusätzlich gespeist durch westdeutsche Zuzügler) über Mitte, den Prenzlauer Berg nach Friedrichshain und über den Wrangelkiez/östliches Spreeufer weiter nach Nordneukölln in den Reuterkiez. Auf einer Karte bewegt sie sich spiralförmig von innen nach außen. Damit würden dann die aufsässigen, einkommensschwachen und alternativen Bevölkerungsteile aus der Innenstadt verdrängt und die sogenannte Elite könnte dann unbehelligt mit den Touristen ihren verschwenderischen Lebensstil ausleben. Im Nachtrab der oben erwähnten Pioniere haben sich immer kaufkräftigere Gruppen in den jeweiligen Stadtvierteln nieder gelassen, nachdem die ehemals kaputten Viertel saniert worden waren, wogegen nichts zu sagen ist. In der Folge erhöhten dann die Wohnungseigentümer die Mieten immer mehr, so dass die beschriebene Karawane in Gang gesetzt wurde. Denn auch viele der Pioniere konnten die neuen Mieten nicht bezahlen.

Was tun?

Um die weitere Segregation zu verhindern und um die Lebensqualität der einkommensschwachen Schichten zu erhöhen, bedarf es langfristig der Herausnahme von Wohnungen aus dem Warenmarkt und einer positiven Lohnentwicklung. Breit diskutiert wurden auf der Veranstaltung kurz- und mittelfristige Maßnahmen und Forderungen, die auf Bezirks- und Landesebene umgesetzt werden können. Als da wären: Veränderung der politischen Einschätzung der Wohnungsversorgung auf der Landesebene; Bekenntnis zum Staatseingriff in den Wohnungsmarkt – es ist effektiver im Sinne der Mieter, Sanierungsgebiete auszuweisen als Quartiermanagementgebiete, nach der Sanierung muss die Mieterberatung fortgesetzt werden; in Milieuschutzgebieten, die vom Bezirk ausgewiesen werden können, kann und soll der Senat für 10 Jahre die Umwandlung in Eigentumswohnungen verbieten; Genehmigungszwang bei Abrissvorhaben; Wiedereinführung der Zweckentfremdungsverordnung für Wohnraum – dazu zählt auch die Umwandlung in Ferienwohnungen; bei Grundstücksverkäufen aus dem Liegenschaftsfonds müssen eine Zweckbindung, ein Belegungsschlüssel und Selbsthilfe in den Verkaufsverträgen ermöglicht bzw. verankert werden; für die Mieter der vom Subventionsausstieg betroffenen Sozialwohnungen, muss ein Auffangnetz geschaffen werden; die AV Wohnen für die ALG II-Empfangenden muss so verändert werden, dass die steigenden Warmnebenkosten aufgefangen werden; die 11%ige Umlage pro Jahr bei Modernisierungen muss auf 5% halbiert werden und nach 20 Jahren beendet werden, da die Kosten dann bezahlt sind; die Mieterhöhungsspanne für Neuvermietungen von 20% in drei Jahren muss abgeschafft werden. Eine Erhöhung darf nur noch analog der Inflationsrate erfolgen. Entsprechendes forderte der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) bereits vor anderthalb Jahren in einem offenen Brief vom Senat. Während vom Senat als Ausrede oft auf die Kompetenz des Bundes in Gesetzesfragen verwiesen wird, fangen die Mieter schon an sich zu wehren. So entwickeln sich in einigen Vierteln Strukturen, die schon bald Teil einer starken MieterInnenbewegung sein können.

Walter Schmidt