SA/256/III
Schrifliche Anfrage
Frage 1:
Wie viele Familien wurden bisher und wie viele werden derzeit in Friedrichshain- Kreuzberg nach dem Modell der Family Group Conference betreut?
Im Oktober 2008 wurde bei dem 2. bundesweiten FGC-Netzwerktreffen in Berlin beschlossen, als deutsche Entsprechung für den Begriff „Family Group Conference“ die Bezeichnung „Familienrat“ zukünftig einheitlich zu verwenden. Insofern wird im Folgenden auf diesen Begriff zurückgegriffen.
Bisher konnten 3 Familienräte durchgeführt werden. Die Vorbereitung eines Rates musste abgebrochen werden, da die Kindesmutter krankheitsbedingt nicht zur Verfügung stand.
Im Februar 2010 treffen sich die Teilnehmer/innen eines Rates nach 3 Monaten zur Überprüfung ihrer Vereinbarungen und ihrer Realisierung unter Beteiligung der Koordinatorin und der fallführenden Fachkraft des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes. Ein Familienrat befindet sich derzeit in der Vorbereitungsphase.
Frage 2:
Welche Erfahrungen hat das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg mit diesem methodischen Ansatz gemacht?
Die Erfahrungen der bislang 3 durchgeführten Familienräte sind durchweg positiv, z.B.:
• Zuvor nicht benannte/bekannte Familienmitglieder und/oder Freunde und Partner zeigten sich als wichtige Ressource, übernahmen Verantwortung und trugen wesentlich zu tragfähigen Lösungen bei.
• Die fallzuständigen Sozialarbeiterinnen berichten, dass ihre sachliche, wertfreie und ausgesprochen respektvoll formulierte Sorge um ein Kind (und somit Anlass für das Jugendamt, tätig zu werden) wesentlich zur eigenen Rollenklarheit beitrug. Die Sorgeformulierung wurde jeweils ergänzt von der Zuversicht, dass der Familienrat gute eigene Lösungen entwickeln werde. Diese Mischung aus Sorge und Zutrauen konnte von den Familien gut angenommen werden.
• Die Vorbereitung der Familienräte durch die Koordinatorin des beauftragten Trägers und die Konzentration auf die Frage der Ressourcen führte bereits zu ersten Haltungsänderungen, auch zur Nachdenklichkeit der Beteiligten und erhöhte die Bereitschaft, sich auch im Interesse der betroffenen Kinder auf einen Rat, auf etwas Neues einzulassen.
• Die zuständigen Mitarbeiterinnen des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes zeigten hohe zeitl. Flexibilität und Engagement, 2 Räte fanden z.B. an Samstagen statt, außerhalb der sonst üblichen Arbeitszeit.
Kurz die Ergebnisse der durchgeführten Räte:
1. Es gelang zum Beispiel, dass ein Elternpaar mit Unterstützung von teilnehmenden Familienangehörigen und Freunden Vereinbarungen zum Umgang des Kindes mit dem getrennt lebenden Elternteil traf. Dadurch konnte ein anhängiges familiengerichtliches Verfahren beendet werden.
2. Verfeindeten Familien kamen wieder ins Gespräch und näherten sich an. Vereinbart wurden klare Regelungen zum Umgang des Vaters und der Großeltern mit dem Kind, auch zur Unterstützung/Entlastung der alleinerziehenden Mutter.
3. Ein Familienrat führte dazu, dass der alleinerziehenden Mutter Unterstützung aus dem sozialen und familiären Umfeld zugesagt wurde und Kontakt zu den Großeltern väterlicherseits durch eine Vertrauensperson hergestellt wird (Recht des Kindes auf Umgang auch mit Großeltern).
Frage 3:
Wie wird dieser methodische Ansatz konkret in Friedrichshain- Kreuzberg umgesetzt?
Für die Phase der Erprobung erfolgt die Umsetzung eines Familienrates im Rahmen der Hilfen zur Erziehung auf der Grundlage des § 31 SGB VIII (Sozialpädagogische Familienhilfe), zunächst nur in einer Region.
Der Prozess der Implementierung des Verfahrens „Familienrat“ wird durch eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe von 6 interessierten Mitarbeiterinnen des RSD, einer Regionalleiterin und von 2 Koordinatoren/innen des beauftragten Trägers begleitet.
Frage 4:
Bei welchen Familien kommt dieser Ansatz zum Tragen?
Grundsätzlich kann dieser Ansatz Sorgeberechtigten, Müttern oder Väter vorgeschlagen werden, wenn sie Unterstützung in ihrer Erziehungsverantwortung benötigen; eine Sorge um das Kindeswohl besteht oder eine Kindeswohlgefährdung droht.
Auszuschließen ist dieses Verfahren bei einer akuten Kindeswohlgefährdung, wenn zunächst Sicherstellung des Kinderschutzes im Vordergrund steht. Ein Familienrat kann allerdings im Anschluss und bei bestehender Kooperationsbereitschaft eingeleitet werden. Problematisch erscheint dieses Verfahren, wenn eine Zwangsheirat einer Tochter, eines Sohnes droht.
Ein Familienrat kommt nicht in Frage, wenn eine Kooperation mit dem Jugendamt grundsätzlich abgelehnt wird.
Frage 5:
Soll dieser Ansatz in Friedrichshain-Kreuzberg weiter ausgebaut werden? Welches wären dabei die Vorteile für die Betroffenen, den Bezirk und die weiteren Beteiligten?
Es gibt großes Interesse von Mitarbeitern/innen des RSD aus allen Regionen des Jugendamtes, das Verfahren des Familienrates näher kennenzulernen, auch ggf. einsetzen zu können und somit ihr Handlungsspektrum zu erweitern.
Deshalb ist angedacht, möglichst noch im ersten Halbjahr 2010 einen Fachtag für Interessierte durchzuführen.
Vorteile des Verfahrens Familienrat werden durch das Jugendamt wie folgt gesehen:
• Die Grundsätze einer sozialräumlichen Jugendhilfe werden konsequent umgesetzt: Die Orientierung am Willen der Betroffenen, die Förderung von Selbsthilfepotentialen, eine Konzentration auf die Ressourcen – nicht auf Defizite ebenso wie die Berücksichtigung und Einbeziehung der Lebenswelt sind wesentliche Elemente der Methode.
• Die Stärken der Familie und ihres sozialen Umfeldes werden aktiviert.
• Familien entwickeln eigene Lösungsideen und übernehmen für diese Verantwortung. Selbst vorgeschlagene Einleitung professioneller Hilfen, wie z.B. eine Hilfe zur Erziehung, entwickelt mehr Zugkraft und kann aufgrund der hohen Akzeptanz eine bessere Wirkung erzielen.
• Ein Effekt kann im Einzelfall sein, dass der Einsatz einer Hilfe zur Erziehung aufgrund von Unterstützungsleistungen aus der Lebenswelt der Familie vermieden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Monika Herrmann
Friedrichshain-Kreuzberg, den 02.02.10
Bündnis 90/Die Grünen
Fragestellerin: Marianne Burkert-Eulitz