SA/292/IV Schriftliche Anfrage

1. Welche Kriterien legt das Ordnungsamt an, um zu beurteilen, bei welchen Gewerbeeinheiten (Mischbetrieben) es sich um erlaubnisfreie Gaststätte handelt, die auch sonntags geöffnet werden dürfen?

2. Gibt es dazu einen festen Kriterienkatalog, der zur Beurteilung dient und dem Gewerbetreibende folgen können?

3. Kann die BVV diesen Kriterienkatalog zur Beurteilung erlaubnisfreier Gaststätten zur
Einsicht erhalten?

4. Auf welchen Rechtsgrundlagen/Urteilen beruhen diese Kriterien?

5. Wenn es keinen solchen Katalog gibt: Wie und nach welchen Maßstäben werden Gewerbeeinheiten gegenwärtig kategorisiert?

6. Wenn es keinen einheitlichen Kriterienkatalog gibt: Ist das Bezirksamt bereit, einen solchen Katalog zu entwickeln, um alle Gewerbetreibenden mit denselben Maßstäben zu
beurteilen?

7. Gibt es einen solchen Kriterienkatalog für die Beurteilung von Verkaufsstellen für Tourismusbedarf nach §4 Abs.1 Nr. 1 BerlLadÖffG?

8. Kann die BVV diesen Kriterienkatalog zur Einsicht erhalten?

9. Was ist nach Auffassung des Bezirksamts ein touristisch geprägtes Sortiment im Sinne
des §4 Abs.1 Nr.1 BerlLadÖffG?

10. Beinhaltet ein solches Sortiment alkoholische Getränke und Tabakwaren?

11. Was kaufen Touristen nach der zur Beurteilung herangezogenen Auffassung des
Bezirksamtes typischerweise?

12. Auf welcher Rechtsgrundlage, welchen Urteilen gründet das BA seine Auffassungen?

13. Falls es keinen eindeutigen Kriterienkatalog für die Beurteilung von Verkaufsstellen für Tourismusbedarf gibt: Ist das BA bereit im Sinne der Gleichbehandlung aller Gewerbetreibenden des Bezirks einen Kriterienkatalog zu erstellen, der der Verwaltung
als Richtschnur für die Beurteilung und Eingruppierung von Gewerbeeinheiten in Verkaufsstellen für Tourismusbedarf dient?

Ihre o.g. Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu 1.
§ 1 Gaststättengesetz enthält Legaldefinitionen zum Gaststättenbegriff:
(1) Ein Gaststättengewerbe im Sinne dieses Gesetzes betreibt, wer im stehenden Gewerbe
1. Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Schankwirtschaft) oder
2. zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Speisewirtschaft), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Zur Beurteilung eines Betriebes wird das Gesamtgepräge herangezogen, d.h. welchen optischen
Eindruck macht der Betrieb? Werden Getränke oder Speisen zum Verzehr an Ort und
Stelle angeboten und handelt es sich hierbei um das Hauptgeschäft des Betriebes?
 
Handelt es sich um einen Einzelhandel mit einem Gaststättenangebot als Annex, kann man nicht von einer Gaststätte ausgehen, sondern von einem Einzelhandel. Aber auch wenn das Gaststättenangebot und der Einzelhandel sich die Waage hält, handelt es sich um einen Mischbetrieb, der nur zu den gesetzlichen Ladenöffnungszeiten geöffnet sein darf.

Nach § 7 Gaststättengesetz dürfen Gewerbetreibende auch während der Ladenschlusszeiten Zubehörwaren an Gäste abgeben und Ihnen Zubehörleistungen erbringen. Nach § 7 Abs. 2 GastG darf der Schank- und Speisewirt außerhalb der Sperrzeit zum alsbaldigen Verbrauch Getränke und zubereitete Speisen, die er in seinem Betrieb verabreicht (Nr.1), bzw. Flaschenbier, alkoholfreie Getränke, Tabak- und Süßwaren (Nr.2) an jedermann über die Straße abgeben.

Diese Vorschriften vermitteln dem Gewerbetreibenden indes keine über die Regelungen
des Ladenöffnungsgesetzes hinausgehenden Rechte. Denn die Abgabe von Zubehörwaren ist, ohne das es auf eine Abgrenzung ankommt, welche Waren in Gaststätten als solche angesehen werden können, nur an Gäste zulässig. Unter Gästen im Sinne dieser Vorschrift sind nur Personen zu verstehen, die der Gaststättenbetreiber zur verkehrsüblichen Benutzung und der Erwartung eines angemessenen Verzehrs aufgenommen hat. Werden diese Kriterien nicht erfüllt, handelt es sich zumindest um einen Mischbetrieb, der an das BerLadÖffG gebunden ist und sonntags nicht geöffnet haben darf.

Zu 2.
Ein offizieller Kriterienkatalog liegt nicht vor. Grundlage sind die zitierte gesetzliche Regelung. Zu beachten ist darüber hinaus die Rechtsprechung.

Zu 3.
entfällt

Zu 4.
Diesen Kriterien liegen das Gaststättengesetz und das BerlLadÖffG zugrunde. Darüber
hinaus sind Gerichtsurteile maßgeblich, z.B. VG 4 L 178.15

Zu 5.
siehe zu 1.

Zu 6.
Für die Entwicklung eines Kriterienkataloges liegt keine Notwendigkeit vor, da es klare
gesetzliche Regelungen gibt.

Zu 7.
Betreffend Verkaufsstellen gibt es ein Merkblatt der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, welches auch Erläuterungen zum Begriff des Tourismusbedarfs enthält. Der entsprechende Text des Merkblattes lautet:

„Merkblatt für Einzelhändler über Öffnungszeiten für den Verkauf bestimmter Waren an Sonnund Feiertagen (Grundlage: Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG), vom 14. November 2006 (GVBl.S.1045), das zuletzt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes vom 13. Oktober 2010 (GVBl. S.467) geändert worden ist.) 1.Touristenbedarf (§ 4 Abs.1 Nr. 1 BerlLadÖffG) Öffnungszeiten: 13.00 bis 20.00 Uhr und am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, von 13.00 bis 17.00 Uhr.

Waren, die ausschließlich angeboten werden dürfen:
Andenken (Andenken aus allen Gebieten Deutschlands: Dazu zählen Waren mit Berliner Bären-Aufdruck, Berlin-Logo oder Berlin-Ansichten, Waren mit einem deutschlandtypischen Gepräge wie Erzgebirgische Holzschnitzereien, Schwarzwälder Kuckucksuhren, Thüringer Strohsterne, Bayrische Bierbembel, Miniaturen von Sehenswürdigkeiten aus Deutschland etc. Dazu zählen auch Fanartikel z.B. von Fußballvereinen).

Stadtpläne, Straßenkarten, Reiseführer, Bücher (Belletristik, Krimis, Fachliteratur etc.) dürfen nicht angeboten werden. Tabakwaren (Zigaretten, Zigarren, Zigarillos, Tabak, Pfeifen, Streichhölzer, Feuerzeuge etc.) Verbrauchsmaterial für Film- und Fotozwecke, Speichermedien für Fotoapparate und Filmkameras, Batterien etc. Bedarfsartikel für den alsbaldigen Verbrauch (Sonnenschutzmittel, Anti-Mückenspray, Wundpflaster etc.)

Es dürfen nur Artikel verkauft werden, die dem üblichen Bedarf der Touristinnen
und Touristen entsprechen und die alsbald verbraucht werden, keine, die für den längerfristigen Gebrauch geeignet sind. Diese sonstigen Gebrauchsartikel, die z.B. für die Führung eines Haushalts benötigt werden- wie z.B. große Waschmittelpackungen oder Kleidung, Taschen etc. ohne Berlinbezug -, dürfen nicht verkauft werden.

Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr (Lebens- und Genussmittel, die ohne weitere Bearbeitung/ Zubereitung sofort verzehrfertig sind, beispielsweise alkoholische und alkoholfreie Getränke in geschlossenen Behältnissen, Süßwaren, abgepacktes Eis, frisches Obst, abgepackte Backwaren.)

Hinweis: Lebens- und Genussmittel die als zubereitete Speisen oder Getränke zum Verzehr vor Ort verabreicht werden, fallen nicht unter das Ladenöffnungsrecht, sondern unter das Gaststättenrecht und damit lediglich auch unter die Sperrzeit der Gaststättenverordnung, Mo- So 5.00-6.00 Uhr, (Voraussetzung: Anzeige als erlaubnisfreie Gaststätte; für den Ausschank alkoholischer Getränke ist eine Erlaubnis des örtlich zuständigen Ordnungsamtes erforderlich.).

Verkaufsstellen, die an Sonn- und Feiertagen Waren des touristischen Bedarfs anbieten, dürfen darüber hinaus auch keine anderen Waren an den Werktagen im Angebot haben. Die prägenden Merkmale eines bestimmten Typs einer Verkaufsstelle (hier:  Verkaufsstelle für den Bedarf von Touristen) müssen an allen Tagen der Woche vorhanden sein. Ausschließlich das oben aufgeführte Sortiment darf von Montag bis Sonntag angeboten werden. Nur unter dieser Voraussetzung darf von dem Privileg der Sonn- und Feiertagsöffnung Gebrauch gemacht werden. Es dürfen einzelne Sortimente oder das gesamte Sortiment angeboten werden, jedoch keine Waren, die im Gesetz nicht aufgeführt werden.

Meist weist die Verkaufsstelle das Gesamtgepräge eines allgemeinen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfts auf. Bedarfsartikel für den alsbaldigen Verbrauch sowie Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr hält grundsätzlich jeder Lebensmittelmarkt bereit, so dass die Berufung allein hierauf nicht zu einer Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BerlLadÖffG führen kann.

Dies folgt erkennbar aus der Anordnung im Gesetzeswortlaut, der die Beschreibung dieser Warengruppen lediglich als Anhang zum ansonsten beschriebenen, eindeutig dem touristischen Bedarf zuzuordnenden Warensortiment anführt (Andenken, Straßenkarten, Stadtpläne, Reiseführer). Diese zuvörderst benannten Artikel müssen das Gesamtgepräge des Einzelhandels ausmachen. Im Übrigen ist § 4 Abs. 1 Nr. 1 LadÖffG nur anwendbar, wenn an allen Tagen der Woche ausschließlich Waren für den touristischen Bedarf angeboten werden.“

Zu 8.
siehe zu 7.

Zu 9.
siehe zu 7.

Zu 10.
Ein solches Sortiment beinhaltet auch alkoholische Getränke und Tabakwaren (siehe Merkblatt der Senatsverwaltung).

Zu 11.
Über die typischen Kaufgewohnheiten von Touristen kann – zumindest durch das Ordnungsamt – keine Auskunft erteilt werden, da keine Statistiken vorliegen, die dementsprechend zwischen Touristen und Nichttouristen differenzieren.

Zu 12.
Als gesetzliche Grundlage ist das Berliner Ladenöffnungsgesetz zu nennen. Eines der maßgeblichen Gerichtsurteile zu dessen Auslegung ist beispielweise die Entscheidung OVG Berlin-Brandenburg 1 S 67.12. Maßgeblich ist zudem, wie ausgeführt, das Merkblatt der Senatsverwaltung.

Zu 13.
Für die Erstellung eines Kriterienkataloges liegt keine Notwendigkeit vor, da es klare
gesetzliche Regelungen gibt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Beckers

Friedrichshain-Kreuzberg, den 27.07.2015
Bündnis 90/Die Grünen
Fragesteller: Andreas Weeger

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