Mit Christian Ströbele in Afghanistan

Wir besuchten Afghanistan vom 30. Januar bis 3. Februar und bereisten dabei neben Termez (Usbekistan) und Mazar-e-Sharif vor allem Kunduz und Kabul. Dabei sind wir mit ca. 90 Menschen zusammen getroffen, die uns alle aus unterschiedlichsten Perspektiven ihre Anschauungen über die Aufbauarbeit des Landes, den Kriegseinsatz sowie die Rolle der Internationalen Gemeinschaft vermittelten. Mit VertreterInnen der afghanischen Zivilgesellschaft (Parlamentsabgeordneten, politischen AktivistInnen, NGO-VertreterInnen) sowie MitarbeiterInnen von deutschen staatlichen und nicht-staatlichen Entwicklungsorganisationen kamen wir ebenso zusammen wie mit Bundeswehrangehörigen verschiedenster Ränge. Besonders prägend waren die Treffen mit einigen Dorfältesten aus Kunduz sowie mit einigen Opfern des Bombardements vom 04.September 2009. In der Heinrich-Böll-Stiftung in Kabul konnten wir mit verschiedenen Gruppen aus der Zivilbevölkerung (u. a. engagierten Frauen) diskutieren. Insgesamt hatten alle Gesprächspartner unterschiedlichste Meinungen über die Militärpräsenz und den Sinn bzw. Unsinn des Kriegseinsatzes.

Langsamer Fortschritt

Einig waren sich jedoch alle über den langsamen Fortschritt: trotz aller internationalen und nationalen Bemühungen lebt fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung noch immer in Armut, ein Drittel ist vom Hunger bedroht. In vielen Teilen des Landes, v. a. in den ländlichen Regionen, sind die staatlichen Institutionen schwach und nicht in der Lage, die Menschen mit den grundlegenden Leistungen zu versorgen. Jedoch gibt es auch Erfolge zu verzeichnen, die Hoffnung geben. Die öffentliche Diskussion in Deutschland wird dominiert von militärischen und sicherheitspolitischen Fragen – das wird von allen bedauert. Viel weniger diskutiert werden die massiven Defizite und Probleme des zivilen Aufbaus. Über den Überlegungen westlicher Staaten, wie sie schnellstmöglich ihren Rückzug aus Afghanistan planen können, gerät völlig aus dem Blickwinkel, worum es eigentlich gehen sollte: den Wiederaufbau Afghanistans für und vor allem mit den AfghanInnen. Dabei gibt es ein großes Potential an bürgerschaftlichem Engagement, viele Menschen – v. a. die junge Generation – möchten an den Zukunftsentscheidungen mitwirken. Dies ist wesentlich für die Schaffung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen und für eine nachhaltige Entwicklung des Landes.

Kämpfer gegen Regierungskorruption

Ramazan Bashardost, der zu den profiliertesten Abgeordneten der Loya Jirga (afghanisches Parlament) gehört, hat dazu konkrete Vorschläge. Er ist eine Symbolfigur für den Kampf gegen Korruption und schlechte Regierungsführung. In der ersten Regierungszeit Karzais war er Planungsminister, ist jedoch kurze Zeit später zurückgetreten, da er über zu viel Korruption geklagt hatte und darüber mit Karzai in Konflikt geriet. Bei der Präsidentschaftswahl im August 2009 kam er mit 10% auf den dritten Platz – ohne Bestechung und Wahlfälschungen. Er war der einzige Kandidat, der im Wahlkampf 27 von 33 Distrikten ohne Bodyguards bereiste und auf Marktplätzen unbewacht im Zelt übernachtete.

Er hat konkrete – teilweise polemische – Vorschläge für den Weg Afghanistans zu einer friedlichen Entwicklung. Neben einem Ministerium gegen Korruption setzt er sich für einen „ehrlichen“ Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozess mit den Taliban ein. Er kritisiert vor allem die Regierung Karzai. Dieser toleriere und arbeite mit korrupten Menschen zusammen. Sein Bruder, als mächtiger „Drogendealer“ bekannt, soll „Drogenaufsichtsminister“ werden. Das ganze System sei von Korruption geprägt, die Macht liege in den Händen ehemaliger Warlords. Der erste Schritt zum Frieden sei seiner Meinung nach die Entfernung dieser „Kriminellen“ aus den Regierungsposten. Hierfür müsse auch die internationale Gemeinschaft sorgen. So nannte er als Beispiel, dass die Unabhängige afghanische Menschenrechtskommission bereits 2002 eine Liste von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen erstellt und an Karzai übergeben habe. Dieser habe jedoch bis heute nichts unternommen. Stattdessen habe Karzai selbst viele Taliban bzw. Aufständische ohne juristisches Verfahren töten lassen. Die internationale Gemeinschaft dürfe sich nicht auf die Schutzbehauptung zurückziehen, sich nicht in innere Angelegenheiten einmischen zu wollen. Die Lösung sei nicht, Afghanistan zu verlassen sondern den Zivilaufbau zu stärken. Internationale Truppen würden aber nicht im Interesse des afghanischen Volkes handeln, sondern stützten nur die kriminelle politische Klasse des Landes.

Wir bleiben in Diskussion mit den Menschen vor Ort und werden sicherlich bald wieder nach Afghanistan reisen.

Katrin Schmidberger, wiss. Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele

kompletter Reisebericht unter: www.stroebele-online.de