Drei Kapitel Friedrichshainer Geschichte als Wechselbad
I Vorspiel zum dunklen Kapitel
„Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt.“
Nicht alle wissen, dass Fiedrichshain von 1933 bis 1945 den Namen „Horst-Wessel-Stadt“ tragen musste. Benannt nach dem Verfasser des Gedichtes „Die Fahne hoch!“, dessen Vertonung mit der Melodie eines überlieferten Gassenhauers als „Horst-Wessel-Lied“ während der Nazi-Herrschaft zur zweiten Nationalhymne aufstieg, gesungen bei den entsprechenden Anlässen stets nach dem Deutschlandlied.
Meine Mutter, die ihr halbes Leben in Königsberg verbracht hatte und kurz vor Kriegsende auf die Flucht gehen musste, hat es des öfteren vor sich her gesummt. Ich war diffus beeindruckt, als ich erfuhr, was es damit auf sich hatte. Es war noch vor 68 und das politische Bewußtsein noch nicht entscheidend geprägt.
Anfang des Jahres 1930 erlag der Pfarrersohn Horst Wessel, 22jährig, den Schussverletzungen, die er sich im Verlauf einer kurzen, heftigen Auseinandersetzung zugezogen hatte, über die widersprüchliche Zeugenberichte existieren. Bis dahin lag ein abgebrochenes Jurastudium hinter ihm, er hatte sich zuletzt als Taxifahrer und Hilfsarbeiter(U-Bahn-Schipper) verdingt. Und er hatte, wie es die Legende will, in einer durchwachten Nacht dieses Lied geschrieben. Seit 1926 NSDAP-Mitglied war er schon SA-Sturmführer, als welcher er 250 Mann hinter sich versammelte.
Ein ernst zu nehmender regionaler Machtfaktor in den Straßenschlacht-Wirren jener Zeit – KPD und NSDAP hatten die politische Auseinandersetzung nahezu gänzlich auf die Strasse verlegt, wo sie auf brutale Weise geführt wurde. Die Staatsmacht reagierte hilflos mit wirkungslosen Verboten. Bei den Wahlen 1930 kam die KPD in Friedrichshain auf 30 und die NSDAP schon auf 19 Prozent, wodurch sie sich deutlich vom Status einer Splitterpartei verabschiedete.
Horst Wessels Tod, er wurde von einem KPD-Trupp zwecks einer „proletarischen Abreibung“ überfallen, war für Goebbels der Anlass, noch vor der Machtergreifung einen Märtyrer-Mythos ohnegleichen zu erschaffen. In seinem Nachruf „Bis zur Neige“ stilisiert er Wessels Schicksal zu einem modernen Leben Jesu, zur Passionsgeschichte eines deutschen Messias. Er sieht in ihm einen „Christussozialisten“, die reale Erscheinung der Hauptfigur aus seinem eigenen Roman „Michael“(1929).
Wessel habe „den Kelch der Schmerzen bis zur Neige getrunken. Er ließ ihn nicht an sich vorübergehen, er nahm ihn willig und voll Hingabe. Dies Leiden trinke ich meinem Vaterland!“ und schließlich: „Der Tote, der mit uns ist, hebt seine müde Hand und weist in dämmernde Ferne: Über Gräber vorwärts! Am Ende liegt Deutschland!“ Ab 1933 gab es dann kein Halten mehr – Straßen, Plätze, Kasernen, Geschwader und weiß der Teufel was, wurde nach Horst Wessel benannt, tja und eben auch Friedrichshain.
II Der kurze Sommer der Anarchie
Miethaie zu Fischstäbchen – Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom
60 Jahre, ein tausendjähriges Reich, sowie einen verlorenen Weltkrieg und ein gescheitertes real-sozialistisches Staatsexperiment später, gibt es in Friedrichshain erneut gewaltsame Konfrontationen zwischen Linken und Rechten. Die Häuserkampfbewegung, die ihren Zenit im Westen am Anfang der achtziger Jahre eigentlich längst hinter sich gelassen hatte, lebt nach der Wende im Ostteil Berlins neu auf: in der Mainzer Strasse wird ein kompletter Straßenzug besetzt, ein Dutzend Häuser am Stück, in seiner Komplexität nur noch vergleichbar mit der legendären Hafenstraße in Hamburg.
Vom 28. April bis zum 14. November 1990 entwickeln sich hier alternative Lebensformen von hoher kollektiver Qualität. Ossis und Wessis mischen sich, es gibt Häuser mit Punks, Polit-Freaks, ein Frauenhaus und sogar ein Tuntenhaus, was heute noch existiert(Kastanienallee 86), dessen Kneipe -„Forelle Blau“- in der kurzen Zeit ihrer Existenz mit einigen unvergesslichen Tunten-Shows und semi-professionellen Matinées glänzte.
Ein Dorn im Auge nicht nur für die Bewohner der gegenüberliegenden nicht besetzten Straßenseite sondern auch für die im Ostteil der Stadt bereits existierende rechtsradikale Szene. Hooligans und Skinheads aus Ostberlin hatten sich mit organisierten Rechtsradikalen aus dem Westen zusammengeschlossen und den Nachbarbezirk Lichtenberg zum Zentrum auserkoren, wo sie auch ein besetztes Haus hielten.
Von dort starteten sie in der Regel ihre Überfälle, es kam zum Kidnapping einer jungen Autonomen und zu Sturmversuchen: die Besetzer in der Mainzer Straße sahen sich nicht nur einmal mit ca. 200 entschlossenen Rechtsradikalen konfrontiert. Die Angriffe wurden sämtlichst abgewehrt, jedoch gab es immer wieder Verletzte. Lebensgefährlich wurde es jeweils, wenn von durch die Straße rasenden Autos – Chicago lässt grüßen – Schüsse auf die Häuser abgegeben wurden, mit Pyro- und teilweise scharfer Munition. Die Besetzer wehrten sich mit Hakenkrallen, welche über die Straße gezogen wurden, die Reifen der Autos zerstörten und eine schnelle Flucht unmöglich machten.
Trotzdem versuchte eine Minderheit der Besetzer, mit den Rechtsradikalen ins Gespräch zu kommen. So kam es, dass „Faschokids“ in der Mainzer Straße zum „Arbeiten“ erschienen, misstrauisch beäugt von der Mehrheit, die hier nur Spionage witterte, man war ja schließlich im Krieg.
Am 3. Oktober wurde dann der sogenannte Beitritt der DDR-Länder zum Grundgesetz der Bundesrepublik vollzogen, der Ostberliner Magistrat hatte sich schon vorher zugunsten des Westberliner Senats aufgelöst, und nun durfte nicht sein, was man (im Westen) schon für überwundene Geschichte hielt. Am 14. November 1990 kam es im zweiten Anlauf zu einem der größten Polizeieinsätze der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nahezu 4.000 Beamte, aus verschiedenen Bundesländern zusammengezogen, stürmten und räumten die Mainzer Straße innerhalb von zwei Stunden. Nahezu ein Wunder, dass es keine Toten gab, angesichts der Szenen, die sich dort abspielten. Aufgrund tiefer Meinungsverschiedenheiten über eben diese Räumung zerbrach, vier Wochen vor der ersten gesamtberliner Wahl, der rot-grüne Senat. Das Experiment hatte knapp zwei Jahre gedauert.
Geht man heute durch die nett sanierte Mainzer Straße, so erinnert nichts, aber auch gar nichts, an die damaligen Vorgänge.
III Simon Dach und die Gentrifizierung
Vom Proletariat zum Prekariat
Vielleicht war es eine Laune des letzen deutschen Kaisers, nach einem gemeinhin doch wenig bekannten Dichter der Barockzeit eine Straße zu benennen, die 1905 angelegt wurde und die heute Friedrichshains bekannteste ist.
Simon Dach(1605-1659) verbrachte den größten Teil seines Lebens in Königsberg, war zunächst Lehrer und Konrektor an der Domschule, danach Professor für Poesie und schließlich auch Rektor an der dortigen Universität. Er hat nie ein Buch veröffentlicht, verfasste aber auf Bestellung Tausende von sogenannten Kasualdichtungen, die von Zeitgenossen eifrig gesammelt wurden.
Während des Dreißigjährigen Krieges(1618-48) war Königsberg aufgrund eines gesonderten Waffenstillstandes ein Zufluchtsort für Wissenschaft und Kunst und Simon Dach der führende Kopf einer Dichtergruppe, die sich „Musikalische Kürbishütte“ oder auch „Gesellschaft der Sterblichkeitsbeflissenen“ nannte, ganz im Sinne des barocken Zeitgeistes, der die Vergänglichkeit betonte und dem das Streben nach Größe schon Niedergang war.
Simon-Dach-Kiez wird die Gegend um Berlins Flaniermeile Nr. 1 mit ihren knapp zweitausend Freiluftplätzen, umliegenden Galerien und Szene-Klubs inzwischen genannt. Er gilt zusammen mit dem Samariterviertel als Beispiel für eine nicht nur in Friedrichshain voranschreitende Gentrifizierung, eine Aufwertung, Veredelung von innerstädtischem Wohngebiet.
Am Anfang dieses Artikels noch ein proletarisches Quartier und auch zu DDR-Zeiten noch so zu charakterisieren, gleichwohl das Proletariat dort formell an der Macht war, kommen nach der Wende zunächst die Hausbesetzer, welche trotz ihres Scheiterns eine allgemeine Strategie der Abrissbirne unmöglich machen. Als Pioniere der Gentrifizierung folgen dann durch billige Mieten angelockt Studenten und Künstler, nicht zuletzt aus dem Westen, welche einen Trend setzen und das Gebiet zu einem angesagten aufwerten. Sie schaffen ein neues Umfeldmilieu, welches für Investoren und Spekulanten besser in Wert gesetzt werden kann. Es gibt nun Wohneigentum, Restaurierung und Luxussanierung – die nächste „Invasorenwelle“ rollt, die eigentlichen „Gentrifier“. Die Alteingesessenen, zusätzlich durch unsichere Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit und sinkende Renten prekarisiert, können die gestiegenen Mieten nicht mehr bezahlen und ziehen weg. Science Fiction? Wohl kaum.
autor: axel w. urban