Initiator*in: B’90/Die Grünen, Berna Gezik
Mündliche Anfrage
Ich frage das Bezirksamt:
1. Hat das Bezirksamt und die Wirtschaftsförderung Kenntnis über die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation von Gewerbetreibenden der Oranienstraße, die u.a. den stark steigenden Gewerbemieten geschuldet ist?
2. Wenn ja: Gibt es diesbezüglich kontinuierliche Gespräche?
3. Welche Maßnahmen ergreift das Bezirksamt, um der Situation Einhalt zu gebieten und Kleingewerbe vor weiterer Verdrängung zu schützen?
Beantwortung: BezStR Herr Hehmke
zu Frage 1:
Ja selbstverständlich hat die Wirtschaftsförderung Kenntnis durch eine Vielzahl von Gesprächen mit Gewerbetreibenden durch die Vernetzung der Wirtschaftsförderung innerhalb der Gremien in den Berliner Bezirken und auch auf Landesebene und wir alle kennen die Presseberichte und dass Gewerberaum stark nachgefragt ist im Bezirk, dass es eine Verdrängung von Kleingewerbe, insbesondere von Kleingewerbe im Bezirk gibt, ist nichts neues.
Vor allem bei auslaufenden Mietverträgen und bei Eigentümerwechseln werden die Mieten regelmäßig aufgerufen, welche für einige Gewerbetreibenden existenzbedrohend sind und letztlich zur Aufgabe des Geschäfts führen. Das betrifft insbesondere viele alteingesessene Gewerbemieter/innen mit Kiezbezug, verloren gehen über Jahrzehnte gewachsene Strukturen, die sogenannte Kreuzberger oder auch Berliner Mischung.
Die Erkenntnis, dass diese Mischung bedroht ist, ist nicht neu, diese Entwicklung haben wir seit Jahren. Dies betrifft auch nicht nur die Gewerbetreibenden in der Oranienstraße, sondern im gesamten Bezirk. Weitere gefährdete Gebiete in unserem Bezirk sind u.a. der Wrangelkiez, der Graefekiez, der Bergmannkiez, aber auch der Boxhagener Kiez.
In diesem Zusammenhang kann ich auch verweisen auf die Beantwortung der mündlichen Anfrage, Drucksache 1173 – Kreuzberger Mischung in der Oranienstraße bedroht. Der Kollege Schwarze wird sich daran erinnern, dass er diese Frage gestellt hat und der Kollege Dr. Beckers, mein Vorgänger im Amt, diese auch am 07.05.2014 beantwortet hat. Bei Interesse kann ich Ihnen die auch gerne zur Verfügung stellen, da wird sich nämlich einiges relativ deckungsgleich ergeben in der Beantwortung.
zu Frage 2:
Die Wirtschaftsförderung berät Unternehmen und selbstverständlich auch Unternehmen, die von Verdrängung bedroht sind.
Zum anderen beschäftigt sich die Wirtschaftsförderung seit vielen Jahren mit der Frage, wie Gewerbeflächen in einer wachsenden Stadt in der Innenstadt gesichert werden können und wie verhindert werden kann, dass Monostrukturen entstehen. In diesem Rahmen wurden in den letzten Jahren, insbesondere in Bezug auf die Entstehung von Monostrukturen durch touristische Nutzungen verschiedene Projekte unter dem Label „lokal leben und Fairness“ umgesetzt.
In dem von der Wirtschaftsförderung beauftragten und im Mai 2015 veröffentlichten Handlungskonzept wird im Stärken-Schwächen-Profil für den Wirtschaftsstandort die Schwäche Flächenknappheit für gewerbliche Nutzungen und Nutzungskonkurrenzen und als Risiko die Herausbildung von Monostrukturen in den Bereichen Gastgewerbe, Handel, Kreativwirtschaft, Verlust der kleinteiligen Mischung aus verschiedenen Branchen, insbesondere bei wohnortnahem Handwerk und Kleingewerbe sowie die weitere Verdrängung gewerblicher Nutzungen oder wachsender Start-Ups, das kommt auch vor, aufgrund steigender Preise und fehlender Expansionsmöglichkeiten beschrieben.
Aus Sicht der Wirtschaftsförderung wird das Thema „innerstädtische kleinteilige Gewerbeflächen sichern in einer wachsenden Stadt“ gegenüber dem Thema „Wohnen“ teilweise vernachlässigt. Die Lebensqualität in unserem Bezirk ist hoch, auch und insbesondere wegen der vorhandenen Mischung. In dem von der Wirtschaftsförderung in enger Zusammenarbeit mit der Stadtplanung beauftragten und im Mai 2017 veröffentlichten Gewerbeflächenentwicklungskonzept, das haben Sie im letzten Jahr als BVV auch zur Kenntnis genommen, ich glaube sogar im Konsens, sind Instrumente und Maßnahmen zur Sicherung der Flächen beschrieben.
Das Konzept allein reicht jedoch nicht aus, den Strukturwandel innerhalb der gewerblichen Nutzungen, welcher sich in den letzten Jahren aufgrund der Nachfrage …, welcher sich in vielen Gewichten, so auch in der Oranienstraße, vollzieht zu beeinflussen, die Verdrängung des kiezbezogenen Kleingewerbes erfolgt über den Mietpreis, der frei verhandelbar und in den letzten Jahren aufgrund der Nachfrage stark gestiegen ist. Unternehmen, welche wohnortnahe gewerbliche Dienstleistungen anbieten, finden innerstädtisch zunehmend keine geeigneten bezahlbaren Gewerbeflächen mehr.
zu Frage 3:
Als nächsten Schritt zur Umsetzung des vorliegenden Gewerbeflächenentwicklungskonzeptes planen wir, gemeinsam mit der Stadtplanung ein Gewerbeflächenmanagement für den Bezirk einzurichten und hierzu Fördermittel zu akquirieren. Das habe ich im letzten Ausschuss für Wirtschaft und Ordnung auch berichtet, dass dieser Förderantrag auf dem Weg ist. Mittlerweile ist er abgegeben und wird bearbeitet von der zuständigen Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.
Das Gewerbeflächenmanagement soll sich u.a. auch mit der Thematik befassen, wie der Strukturwandel begleitet und die gewerbliche Infrastruktur, ich möchte dieses Wort, weil ich finde es toll, wir reden immer über soziale Infrastruktur und ich finde, wir sollten den Begriff „gewerbliche Infrastruktur“ auch etablieren und verbreiten, weil hier handelt es sich insbesondere um Gewerbe, was dazu dient, die Bedarfe der ansässigen Bevölkerung zu befriedigen. Das ist glaube ich auch noch mal ein Unterschied zu anderen gewerblichen Nutzungen. Ich finde alle gewerblichen Nutzungen wichtig und richtig, aber insbesondere die Nachfrage, die aus den Kiezen generiert wird. Wenn die nicht mehr durch ansässige Gewerbetreibende bedient werden kann, dann verlieren die Kieze auch an Lebensqualität.
Das Gewerbeflächenmanagement soll sich auch mit der Thematik befassen, wie der Strukturwandel begleitet und diese von mir eben genannte gewerbliche Infrastruktur zu wohnortnahen Versorgung der wachsenden Wohnbevölkerung mit Dienstleistungen gesichert werden kann. Neben der Sensibilisierung für das Thema und der Moderation bei Konflikten ist aus Sicht der Wirtschaftsförderung die Einführung von Schutzregelungen für Handwerksbetriebe, kleinere und mittlere Unternehmen, welche wohnortnahe Dienstleistungen anbieten, aber auch kiezbezogene, durchaus auch soziale Einrichtungen dringend notwendig. Nur so wird es möglich sein, die Berliner bzw. Kreuzberger Mischung wenigstens weitgehend zu erhalten und eine weitere Verdrängung zu verhindern.
Aus Sicht des Bezirksamtes besteht dringender Handlungsbedarf. Auch die Landesebene ist hier gefordert, erste Maßnahmen wurden bereits angeschoben. Seitens der Wirtschaftsförderung erfolgte z.B. in Zusammenarbeit mit der Stadtplanung und mit dem Quartiersmanagement eine umfangreiche Zuarbeit zur Abfrage der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie für Justiz und Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zum Thema Handlungsbedarf auf rechtlicher Ebene bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für Mieterinnen und Mieter von Gewerberaum.
Ziel ist es hier, eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Änderung des Gewerbemietrechts einzubringen. Wir können jetzt alle nicht in die Glaskugel gucken, aber ich würde vermuten, dass es zumindest nicht ganz einhellig im Bundesrat diskutiert werden dürfte. Ich glaube zumindest, dass die Parteien, die hier das Bezirksamt tragen, sich aber in der Zielstellung durchaus einig sind, nur die sind nicht in allen Gremien, insbesondere auch auf Bundesebene in der Mehrheit.
Ein weiteres Themenfeld ist beispielsweise die Prüfung, ob Regelungen zum Schutz der gewerblichen Infrastruktur, z.B. in Milieuschutzgebieten, erlassen werden können. Da gibt uns das geltende Recht bisher wenig Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Milieuschutzsatzungen, Erhaltungssatzungen dienen bisher, was auch gut ist und davon macht wir im Bezirk reichhaltig Gebrauch, dem Schutz der Mieterinnen und Mieter, der Mieterinnen und Mieter, die eine Wohnung mieten, aber
den Schutz von Gewerbetreibenden ermöglichen diese bislang geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen leider noch nicht.
Dazu befindet sich die Wirtschaftsförderung auch im Austausch mit der Stadtplanung als zuständigem Amt. Auch die Einrichtung eines Fonds zum Ankauf von Gewerbegrundstücken stellt eine mögliche Maßnahme dar. Das wäre auch ein Auftrag an das Land Berlin. Sie alle wissen, dass die GSG vor vielen Jahren verkauft wurde. Es stellt sich im Nachhinein als schwerer Fehler dar, weil es ein wichtiges Steuerungsinstrument war, um Gewerbetreibende an bestimmten Orten anzusiedeln und zu halten.
Mit diesem Steuerungsinstrument, was durch die Privatisierung der GSG aus der Hand gegeben worden ist, können wir als öffentliche Hand schlechter steuern. Insofern finde ich auch und diese Diskussion sollten wir alle gemeinsam weiterführen und ich führe sie auch, dass das Land Berlin auch Flächen aufkauft, Flächen erwirbt, um den Gewerbebestand zu steuern und auch Gewerbetreibende gezielt anzusiedeln und mit verträglichen Mieten zu halten.
Herr Dr. Weigelt:
Danke, Herr Hehmke, für die sehr detaillierte und differenzierte Antwort und Sie haben ja schon das Thema Sicherung und Verdrängung von Gewerbe angesprochen. Dazu hätte ich eine Nachfrage: Wie steht das Bezirksamt und insbesondere auch der Wirtschaftsstadtrat zur Sicherung von bestehenden Gewerbestandorten und zum Ausbau dieser Standorte, wie z.B. der
Standort an der Bockbrauerei in Kreuzberg?
zu Nachfrage 1:
Bei der Bockbrauerei handelt es sich um ein B-Plan-Verfahren, da ist der Kollege Schmidt wahrscheinlich besser auskunftsfähig als ich, aber im Rahmen von B-Plan-Verfahren haben wir in der Tat auch Einflussmöglichkeiten. Auf die Frage, wie kann sich Gewerbe entwickeln, wo wird es verortet allgemein, das habe ich ja ausgeführt, haben wir das Problem, dass wir mit den Mitteln des Planungsrechtes nicht an allen Stellen die Chance haben, in der Tat Verdrängung von Gewerbe durch Wohnen zu verhindern.
Wir haben aber mit dem Gewerbeflächenentwicklungskonzept sehr kleinräumig, also bis hin zu einzelnen Gewerbehöfen erfasst, wie die Ist-Situation ist und wo die größte Gefahr von Verdrängung ist, um hier gezielt gegenzusteuern. Aber die entsprechenden Steuerungsinstrumente haben wir nicht an jeder Stelle, da ist in der Tat die Unterstützung des Landes, aber da sind wir ins von der Zielstellung mit dem Land doch einig, gefragt, aber insbesondere dann auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen auf der Bundesebene, die uns noch nicht diese Mittel zur Handhabe geben,
die wir brauchen.
Aber ansonsten, was die explizite Zielstellung des Gewerbeflächenentwicklungskonzeptes weil der …, tadtentwicklungsplan für den Bereich Wirtschaft, Industrie, Gewerbe erfasst nur Flächen mit einer Größenordnung von mehr als 2 Hektar. Unsere Gewerbestandorte sind alle unterhalb dessen, deswegen waren die bisher gar nicht im Fokus, aber unser großes Problem ist, dass gerade die verdrängt werden und das war die Zielstellung, deswegen jetzt das Gewerbeflächenmanagement.
Wir wollen auch stärker ins Gespräch kommen mit den Eigentümern, dass hier auch die Eigentümer, weil die sind der Schlüssel, dazu beitragen, dass unsere Kreuzberger oder Friedrichshain-Kreuzberger oder Berliner Mischung nicht verloren geht Wo es mit den Mitteln des Planungsrechtes geht, B-Plan-Verfahren ist das ein stückweit einfacher.
Wo es nicht ohne weiteres geht, werden wir uns mit den Mitteln behelfen, die wir jetzt haben und mit den Erkenntnissen, die wir aus dem Konzept gewonnen haben. Das ist ja in sehr guter kooperativer Zusammenarbeit und auch zwischen Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklungsamt erarbeitet worden und mit dem Gewerbeflächenmanagement glaube ich auch, dass wir stärker in die Diskussion kommen, sowohl hier vor Ort, was die betreffenden Standorte betrifft, aber auch in wichtigen Hinweisen für die Landesebene, um entsprechend auch mit den Mitteln der Landespolitik, wo die dort verordnet sind, besser zu steuern.
Herr Wolf:
Ja, vielen Dank für die allgemeinen Ausführungen. Ich wollte noch mal konkreter nach der Oranienstraße tatsächlich auch fragen, weil, haben Sie da Gespräche zuletzt, Sie haben gesagt, die letzte Antwort dazu haben sie 2014 gegeben, haben Sie seitdem Gespräche mit den Gewerbetreibenden in der Oranienstraße geführt oder mit Initiativen, die sich dort bilden?
zu Nachfrage 2:
Die Gespräche, die die Wirtschaftsförderung führt, beziehen sich insbesondere auf Unternehmen, die gestiegene Gewerbemietpreise nicht mehr zahlen können. Also die Wirtschaftsförderung berät Unternehmen auch in der Frage, was denn eine gute Verhandlungsstrategie mit Vermietern ist. Nicht alle Kleinunternehmen und kleine Gewerbetreibenden sind so aufgestellt, dass sie, sagen wir mal eine zielführende Strategie anwenden bei der Diskussion.
Es gibt Eigentümer, die lassen sich da auch nicht überzeugen, aber es gibt ein paar Kniffe, ich will nicht sagen Tricks, weil Tricks sind es nicht, aber ein paar Kommunikationsstrategien, mit denen man, sagen wir mal leichter im eigenen Sinne als Gewerbetreibender agieren kann und es gibt no go‘s, die man bei Verhandlungen dringend vermeiden sollte. Insofern gab es eine ganze Reihe von Anfragen und auch Gespräche und Beratungen. Das sind aber in erster Linie dann Einzelberatungen ganz konkret für bestimmte Unternehmen mit einem bestimmten Ziel, die mit einem bestimmten
Eigentümer verhandeln.
Herr Heihsel:
Herr Hehmke, Sie hatten ja insbesondere den Milieuschutz angesprochen, der …, womit man ja bestimmte Maßnahmen der Modernisierung verhindern kann, um die Mietsteigerung bei Wohnungen zu verhindern. Ist es denn Ihrer Meinung nach bei Gewerbeflächen der Fall, dass der Treiber quasi Luxussanierungen dieser Gewerberäume sind oder ist es die Nachfrage, der wirtschaftliche Aufschwung im Bezirk oder was ist denn der Treiber der Preissteigerung bei Gewerbeflächen?
zu Nachfrage 3:
Die Antwort ist mir vorweg genommen worden. Genau das wollte ich sagen. Sie kennen ja meine Geschichte. Ich komme ja aus der DDR und da haben wir uns durchaus auch mit den Wirkungen und Rahmenbedingungen und den Dingen befasst, die im Kapitalismus eine Rolle spielen.
In der Tat, der Preis wird gesetzt durch Angebot und Nachfrage. Wir haben eine steigende Nachfrage nach Gewerberaum, auch von Gewerbetreibenden, die nicht, sagen wir mal unbedingt das an Nachfrage bedienen, was hier in den Kiezen vorhanden ist und wir haben ein sinkendes Angebot durch eine verstärkte Umwandlung von Gewerbe in Wohnraum. Eine stärkere Nachfrage, die auf ein kleineres Angebot trifft, generiert höhere Preise und diese höheren Preise können viele
nicht zahlen. Das ist die Hauptursache.
Friedrichshain-Kreuzberg, den 30.05.2018
Bündnis 90/Die Grünen
Fragestellerin: Berna Gezik