DS/1980/III

Antrag

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

In Bezugnahme auf die Drucksache 1727/III „Abschaffung kalkulatorischer Zinsen“, von der BVV am 26. Mai 2010 mit großer Mehrheit beschlossen, wird das Bezirksamt aufgefordert ein Strategiepapier zu entwickeln und vorzulegen, das beinhaltet

1. mit welchen stichhaltigen Argumenten das Anliegen der BVV, den kalkulatorischen Zins ersatzlos zu streichen – der unnötigerweise auf Bezirksimmobilien erhoben wird, der die Bezirkshaushalte über die Maßen belastet und außerdem zahlreiche Ungerechtigkeiten im Bezirkevergleich evoziert – vonseiten des Bezirksamts unterlegt und vorangetrieben werden soll;

2. in welchen relevanten und maßgeblichen Gremien der Bezirke und im Land Berlin (Senat, Senatsverwaltungen, betreffende bezirkliche und bezirksübergreifende Fachgremien und Facharbeitsgruppen u.d.m.) die Argumente im Sinne des o.g. BVV-Beschlusses eingebracht, Gespräche geführt, BündnispartnerInnen gewonnen und zielführende erste Schritte in Bezug auf das von der BVV beschlossene Anliegen unternommen werden sollen.

Die Initiative zur ersatzlosen Streichung von kalkulatorischen Zinsen auf bezirkseigene Immobilien soll bis Ende des 1. Quartals 2011 in den unter 2.) genannten Gremien eingeleitet werden. Den Bezirksverordneten ist bis zur Januar-BVV 2011 eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten.

Die Forderungen ebenso wie die fortlaufende dreimonatige Berichterstattungspflicht, wie sie die beschlossene Drucksache 1727/III formuliert, bleiben aufrechterhalten.

Begründung:

In der Bezirksverordnetenversammlung am 26. Mai 2010 wurde mit großer Mehrheit die Drucksache 1727/III verabschiedet, die das Bezirksamt zum Ergreifen der Initiative zugunsten einer ersatzlosen Streichung von kalkulatorischen Zinsen auf bezirkseigene Immobilien auffordert. Die Aufforderung ist mit einer Berichterstattungspflicht gegenüber der BVV versehen, die zuerst im Juni 2010 und dann fortlaufend alle drei Monate die Bezirksverordneten über den Stand und den Fortgang der Initiative in Kenntnis setzen soll.

Diesem Anliegen ist die zuständige Abteilung des Bezirksamts bisher leider nicht nachgekommen, weshalb zwischenzeitlich wohl davon ausgegangen werden muss, dass die Umsetzung der DS 1727/III noch nicht in Angriff genommen wurde. Die Drucksache 1727/III formuliert als politisches Ziel die Abschaffung kalkulatorischer Zinsen auf bezirkseigene Immobilien und fordert das Bezirksamt auf, eine diesbezügliche berlinweite Initiative einzuleiten.

Den Weg zum politischen Ziel, darunter die Entwicklung eines diesbezüglichen Konzepts, die Ausformulierung von Argumentationslinien, Zeitschiene und Strategien, die Suche nach möglichen BündnispartnerInnen und dergleichen mehr, hat die DS 1727/III bewusst offen gehalten, um einer vom Bezirksamt zu entwickelnden und als zielführend eingeschätzten Handlungsstrategie den nötigen Raum zu belassen sowie die dafür notwendigen Überlegungen, Spielräume und Handlungsoptionen nicht im Vorhinein einzuschränken oder gar zu beschneiden.

Um der Forderung, wie in der DS 1727/III formuliert, nun den gebührenden Nachdruck zu verleihen und den entsprechenden Prozess zeitnah in Gang zu setzen, wird das Bezirksamt mit der aktuellen Drucksache aufgefordert, maßnahmenbezogen, dezidiert und nachweisbar in der Sache aktiv zu werden.

Das gesellschaftliche Klima hierfür ist zurzeit günstig. Im Allgemeinen, da der sog. Neoliberalismus – und der kalkulatorische Zins ist ein Instrument neoklassischen Wirtschaftens – im Zuge der Weltfinanzkrise zu Recht in offenen Misskredit geriet. Im Besonderen, da das Instrument „kalkulatorischer Zins“ jüngst im Rahmen der Offenlegung der vorher geheimen Berliner Wasserverträge unter dem leichter verständlichen Begriff „fiktiver Zins“ einer breiteren Öffentlichkeit als möglicher Hebel für die Abschöpfung öffentlicher Gelder durch die Privatwirtschaft bekannt gemacht wurde.

In der reinen Betriebswirtschaftslehre gelten kalkulatorische Zinsen als der betriebswirtschaftliche Ausdruck der Kapitalnutzung. Dementsprechend stellen kalkulatorische Zinsen den rechnerischen Gegenwert für die entgangenen möglichen Zinseinnahmen dar, die bei einer anderweitigen Nutzung der in die kostenrechnende Einrichtung geflossenen Investition generiert worden w ä r e n.

Darüber hinaus sollen kalkulatorische Zinsen die tatsächlichen Zinsausgaben für Kredite abdecken, die zur Finanzierung dieser Einrichtung aufgenommen wurden. Rechengrundlage hierfür ist idealerweise der in der Einrichtung eingesetzte Eigenkapitalanteil der Kommune. Indes sind die Berliner Bezirke im Sinne des deutschen Kommunalrechts keine Kommunen. Sie sind nicht zur Kreditaufnahme befähigt. Und erst recht sind sie keine rein profitorientiert agierende Unternehmen/Betriebe am Markt. Sie sind vielmehr – das kann nicht oft genug betont werden – dem Gemeinwohl verpflichtet, wozu selbstverständlich auch ein verantwortungsvoller wirtschaftlicher Umgang mit öffentlichen Geldern gehört.

Insbesondere das unnötige Einrechnen eines kalkulatorischen Zinses bei der Preisbildung für ein bezirkliches Dienstleistungsprodukt zwingt die Bezirke jedoch im Gegenteil oftmals zu teils hochkreativen Buchungsverfahren und Rechtskonstruktionen, die dabei helfen sollen, den Kostendruck, der nicht zuletzt durch kalkulatorischen Zinsen auf den Immobilien lastet, einigermaßen im Rahmen zu halten.

Die Alternative wäre, das öffentliche Eigentum an private Hand zu veräußern. Eine solche Privatisierungskampagne durch die Hintertür jedoch lehnen wir ab.

Auch mit der Pagatorisierung (Zahlbarmachung) der kalkulatorischen Zinsen ab 2011 wird der grundlegenden Problematik keineswegs abgeholfen. Pagatorisierte kalkulatorische Zinsen sind mitnichten ein neutraler Durchlaufposten, wie gerne behauptet wird. Ob als Rechengröße dargestellt oder mit echten Euros zahlbar gemacht, der kalkulatorische Zins fließt anteilig in die Produktstückkosten ein, über die anschließend der Median gelegt wird. Aus diesem Mittel von sechstem und siebtem Berliner Bezirk leitet sich der durch SenFin zugewiesene Betrag für die Produkterstellung ab, nicht aus den tatsächlich dafür angefallenen Kosten.

Das Pagatorisierungsverfahren, so Anfang 2010 vom Bezirksamt gegenüber dem Ausschuss für Personal, Haushalt und Investitionen dargestellt, wird dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Verlust von schätzungsweise jährlich 1 Million Euro eintragen.

Desweiteren sei auf den Begründungstext der Drucksache 1727/III verwiesen.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 16.11.10

B’90/Die Grünen

Antragstellerin: Kristine Jaath