Im September hatten wir, die Friedrichshain-Kreuzberger*innen, die Wahl. Wir haben für unsere Ideen und Überzeugungen geworben, wir haben viel diskutiert, manchmal gestritten. Eines stand dabei nie zur Debatte: Unsere Freiheit und Demokratie.

Diese Selbstverständlichkeit des vergangenen Sommers ist heute nicht mehr dieselbe. Ende Februar ist die Welt aus den Fugen geraten. Der furchtbare Angriffskrieg auf die Ukraine führt uns schmerzhaft vor Augen, wie zerbrechlich Demokratie, Freiheit und Frieden sind. Wir sehen wie russische Bomben auf Theater, Krankenhäuser, Schulen oder Geburtskliniken in Mariupol, Kharkiv oder Kiew fallen. Uns schockieren die grausamen Kriegsverbrechen in Butscha und andernorts. Doch nicht nur über Bilder kommt die Realität des Krieges auch hier in Berlin an, sondern mit Zügen voller vor dem Krieg Geflüchteter. Und die Menschen unserer Stadt zögern nicht. Sie öffnen ihre Herzen und Haustüren und beweisen seit Wochen eine nahezu unerschöpfliche Solidarität. Daher gilt unser Dank allen engagierten Berliner*innen und Xhainer*innen.

Wie einer Familie aus Friedrichshain, die ich kennen lernen durfte. Sie sind Anfang März mit einem selbstgebastelten Schild in der Hand an den Hauptbahnhof gefahren. Den Rückweg nach Friedrichshain fuhren sie gemeinsam mit drei Frauen, die sie bei sich aufnahmen – Tochter, Mutter und Großmutter. Die Männer der Familie sind in der Nähe von Kiew geblieben, um dort auf das Zuhause aufzupassen und für die Freiheit zu kämpfen.

 

Einfach machen

Über offizielle Wege hat Berlin bislang (Stand 05.04.22) mehr als 27.000 Geflüchtete aus der Ukraine zumindest temporär untergebracht. Täglich bedeutet das bis zu 3.000 Menschen. In unserem Bezirk sind über 1.000 Geflüchtete offiziell in Hotels oder Einrichtungen einquartiert. Dazu kommen unzählige weitere, die privat untergekommen sind. Seit vielen Wochen leisten ehrenamtliche Helfer*innen Unglaubliches. Es werden Spenden gesammelt, Menschen versorgt und Kinder betreut.

Auch unsere Verwaltung wächst derzeit über sich hinaus. In der Krise zeigt Friedrichshain-Kreuzberg, dass wir unabhängig von Parteifarben gemeinsam und pragmatisch nach Lösungen suchen. So haben wir Anfang März die internen Prozesse umgestellt und den BVV-Saal zur Erstanlaufstelle für Geflüchtete umfunktioniert. Mit Stand Anfang April hat unser Sozialamt in Xhain gut 3.000 Personen versorgt, was knapp 20% der Gesamtberliner Fallzahlen entspricht. Wir warten nicht auf Entscheidungen des Bundes, wir machen einfach.

Das Gesundheitsamt organisiert Sprechstunden in ukrainischer Sprache und führt dezentrale Impfangebote durch, das Schulamt hat bereits zahlreiche Kinder mit Schulplätzen in Regelklassen versorgt und Willkommensklassen eingerichtet. Das Jugendamt betreut minderjährige unbegleitete Geflüchtete, die Volkshochschule bietet ein breites Angebot an Kursen für Geflüchtete, aber auch für Helfer*innen an – so gibt es einen kostenfreien Online-Kurs Ukrainisch für Einsteiger*innen. Den Kurs leitet Olena Beketova, die selbst aus Kiew flüchten musste.

 

Perspektiven geben

Wir alle wünschen uns, dass der Krieg beendet wird, aber die schrecklichen Bilder aus Mariupol und anderen Städten können uns nur eine Ahnung der Zerstörung geben. Wir müssen den Geflüchteten hier in Berlin und in Xhain eine Perspektive geben – allen Geflüchteten. Laut UNHCR sind bereits mehr als 4,2 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, darunter mehr als 200.000 Drittstaatenangehörige (Quelle IOM). Es ist mit bis zu 10 Millionen Geflüchteten zu rechen. Darüber hinaus schwelen die Krisen in anderen Teilen der Welt weiter. Selbstverständlich wird Friedrichshain-Kreuzberg alles dafür geben, Geflüchtete bei uns aufzunehmen und gut zu versorgen. Es ist unsere Humanitäre Verpflichtung. Und wir in Xhain unterscheiden nicht, für uns gilt: All Refugees Welcome.

Clara Herrmann, Bezirksbürgermeisterin

Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.