Die Schulstrukturreform in Friedrichshain Kreuzberg
Die Berliner Schullandschaft wird übersichtlicher. Seit der Verabschiedung des Gesetzes zur großen Schulstrukturreform durch das Abgeordnetenhaus am 14. Januar 2010 tut sich sehr viel in den Schulen. Mit Ausnahme der Gymnasien erhalten sie alle binnen weniger Monate neue Türschilder. Künftig heißen sie einheitlich Sekundarschule. Mit der neuen Benennung sollen sich endlich allen Schülern Perspektiven für gelungene Schullaufbahnen und damit der Schlüssel für geglückte Integration und Anschluss an die Leistungsgesellschaft erschließen. Die Erwartungen an die Reform sind hoch.
Während man in einigen Bezirken noch zögert die Reform bereits zum neuen Schuljahr, also im August 2010, umzusetzen, wird in Friedrichshain – Kreuzberg energisch reformiert. Vor allem im Ortsteil Kreuzberg. Quasi gleichzeitig mit der Suche der Eltern von künftigen Siebtklässlern nach einer geeigneten Oberschule bemühen sich die Verwaltungsgliederungen im engen Rahmen der finanziellen Ausstattung die größte Schulreform der letzten Jahre auf die Bahn zu schieben.
Die Mischung soll es richten
Als Hauptgrund für die Reform wurde angeführt, man könne es nicht länger verantworten, dass 7% einer Schülergeneration mit dem Stempel Hauptschule im Alter von 12 Jahren zum lebenslangen Hartzen verurteilt würde. Das verstiesse gegen die Menschenrechte. In Berlin ist Bildungsgerechtigkeit nicht gewährleistet. Aber auch nach der Schulstrukturreform erhalten Kinder Schulempfehlungen für die Haupt-, Realschule oder für das Gymnasium. Künftig sollen sich die Chancen der Hauptschüler auf mehr Bildungsgerechtigkeit dadurch erhöhen, dass sie mit Realschülern und – so man die Eltern davon überzeugen kann – auch mit Gymnasiasten gemeinsam unterrichtet werden. Alle zusammen wie in der Grundschule. Dazu zwei Fragen. Funktioniert denn die Bildungsgerechtigkeit an den Grundschulen? Oder anders gefragt, sind diejenigen Kinder, die die Grundschule mit einer Hauptschulempfehlung verlassen so optimal gefördert worden, wie es möglich war und dies allein durch die so genannte gute „soziale Mischung“? Und Frage zwei: Wo sind eigentlich die leistungsstarken Realschüler?
Die Reform in Friedrichshain Kreuzberg
Vor der Reform gab es in Friedrichshain eine Hauptschule, zwei Realschulen und eine Gesamtschule. Macht 4 Sekundarschulen, hier werden – so böse Zungen – nur Türschilder getauscht. In Kreuzberg 5 Hauptschulen, eine Realschule und drei Gesamtschulen. Nach der Reform wird es in Kreuzberg 5 Sekundarschulen und eine Gemeinschaftsschule, allerdings ohne Grundschule und ohne gymnasiale Oberstufe, geben. Es fallen also drei Schulstandorte weg. Der Eindruck in Kreuzberg würde die Sekundarschule durch die mangelhafte Ausstattung der Reform mit Zeit und Geld durch das Land Berlin zur neuen Restschule lässt sich nicht ganz entkräften. Denn schon vor der Reform, war keine dieser Schulen ein Magnet für leistungsstarke Realschüler oder an den Gesamtschulen gar für Gymnasiasten. Dabei gibt es durchaus sehr attraktive Gesamtschulen in Berlin an denen eine entsprechende soziale Mischung unter den vielen Bewerbern jährlich ausgewählt wird. Mit der Reform soll vieles besser werden. Doch ein Blick auf die Kreuzberger Situation zeigt, dass nur wenige Eltern, die die Wahlmöglichkeit haben – sprich deren Kinder mindestens eine gute Realschulempfehlung erhielten – sich für eine der künftigen Sekundarschulen entschieden haben. Die drei ehemaligen Gesamtschulen scheinen sich nicht zu bewegen und bleiben also auch mit dem neuen Türschild unattraktiv für leistungsstarke Kinder. An den drei weiteren Standorten herrscht „Baustelle“. Das Ausmaß der Belastungen durch die Reform soll hier exemplarisch für die Ferdinand Freiligrath bzw. Sekundarschule Bergmannstraße darstellt werden.
Ein starkes Konzept auch für leistungsstarke Schüler
Die Ferdinand Freiligrath Schule war bisher eine integrierte Haupt- und Realschule mehrheitlich Hauptschülern. Die sehr engagierte Schulleiterin, Frau Kargerer, hat sich schon vor vielen Jahren erfolgreich auf den Weg gemacht, um für ihre Schüler mehr Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. In einem über Jahre laufenden Schulversuch wurden bisher fast die Hälfte der Schulstunden in so genannten Arena-Klassen unterrichtet. Ein Team von zwei Lehrern im Verbund mit einem Berufsprofi von Außen erarbeitete mit einer Neigungsgruppe von Schülern aller Jahrgänge ein Projekt, dass schließlich öffentlich präsentiert wurde. Die Schüler lernten interdisziplinär und erprobten Fähigkeiten jenseits des Fachwissens. Auch der übrige Unterricht war binnendifferenziert und Wochenplan orientiert. Ein tolles Konzept! Auch für leistungsstarke Schüler. Um so ein Konzept gut umsetzen zu können, braucht man Planungssicherheit und Geld.
Senat mutet der Schule viel zu
Die Ferdinand Freiligrath ist jetzt eine Baustelle. Im laufenden Betrieb wird sie seit Februar in eine gebundene Ganztagsschule umgebaut. Das sind große Baumaßnahmen, die bis zum Herbst abgeschlossen sein sollen. Die Umstellung des Unterrichtsbetriebes auf den gebundenen Ganztagesbetrieb muss noch konzeptioniert und mit den Kollegen erarbeitet werden. Gleichzeitig müssen die Neuerungen der Strukturreform in den Lehrplan eingearbeitet werden. Die Schule soll mit der Borsig Realschule fusionieren. Wie das genau von statten gehen soll, zwei Kollegien mit ganz unterschiedlichen Lernkulturen zusammenzuschweißen, ist recht unklar. In der Wirtschaft werden solche „Baustellen“ durch professionelles Changemanagement begleitet. Der Schule ist eine Prozessbegleitung in Aussicht gestellt worden. Unklar ist auch, wie künftig der Übergang vom Mittelstufenabschluss zum Abitur in 12 Jahren erfolgen kann. Bisher liefen die Arenaklassen im Rahmen eines landesweiten Schulversuches, wie und im welchen Umfang sich die Arenaklassen in den Regelbetrieb – also in die Regelfinanzierung – der Sekundarschule hinüberretten lassen, ist ebenfalls ungewiss. „Man wird uns schon nicht im Regen stehen lassen“, lächelt Kargerer tapfer. Dass die Schule dann auch noch die siebte „Baustelle“ nämlich die erweiterte Binnendifferenzierung, also für lernbedingte Integrationskinder bis hin zu Einser-Schüler meistern wird, stößt auf eine verständliche Skepsis bei vielen Eltern.
Abstimmung mit den Füßen
Und so suchen diese Eltern für ihre Kinder ein Plätzchen im kleineren Übel, nämlich an den Gymnasien und wenn es sein muss auch außerhalb des Bezirks. Die Schulverwaltung nimmt diese Abwanderung billigend in Kauf, denn sonst hätte sie wohl doch ihre Reform besser ausgestattet. Stattdessen schiebt sie die Verantwortung für das Gelingen der Reform auf die gebeutelten Schulen und beklagt die mangelnde Risikobereitschaft der so genannten bildungsnahen Eltern, die sich mit ihren Kindern aus der gesellschaftlichen Verantwortung ans Gymnasium stehlen.
Bildung kostet Geld und Gerechtigkeit kommt nicht von Mischung
Die Schulstrukturreform greift zu kurz. Die Mischung der Grundschule wird sich im Jahr Eins der Reform nicht an der Sekundarschule fortsetzen. Die Reform wird nur stolpernd in Gang kommen und damit wird die Bildungsgerechtigkeit in Berlin bis auf weiteres ein Papiertiger bleiben. Aber wir sind ein reiches Land, deshalb können wir uns eine derartige Verschwendung leisten.
Barbara Fischer, Mitglied des Bezirkselternausschusses Schule in Friedrichshain Kreuzberg