DS/0649/IV
Dringlichkeitsantrag
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg wird beauftragt, zu prüfen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Konditionen eine Übernahme der nicht im Besitz des Bezirks befindlichen Grundstücke an der East Side Gallery (Geltungsbereich B-Plan V-74) durch Grundstückstausch oder finanzielle Entschädigung möglich wäre. Es ist erklärtes Ziel der übergroßen Mehrheit der Mitglieder der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, eine Bebauung zu verhindern und die Flächen als öffentliche Grünanlage auszuweisen (siehe Beschluss DS/0345/IV vom 26.09.2012 und Aufstellungsbeschluss B-Plan V-74-1 vom 30.10.2012).
Da ein Eingriff in die Rechte der Eigentümer der betreffenden Grundstücke ohne Unterstützung des Senats von Berlin in seinen Folgen für die Bezirksverordnetenversammlung nur schwer zu überschauen ist, wird das Bezirksamt beauftragt zu prüfen:
? Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen dem Bezirksamt noch offen, um weitere Bauanträge aufgrund des Aufstellungsbeschlusses zum Bebauungsplan V-74-1 für die Flurstücke 77 (teilweise) und 78- 82 zwischen Mühlenstraße und Spree im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Ortsteil Friedrichshain zurückzustellen und welche finanziellen sowie rechtlichen Konsequenzen für das Bezirksamt und den Bezirk kann dies nach sich ziehen?
? Das Bezirksamt wird beauftragt insbesondere zu prüfen: Was genau ist überhaupt entschädigungsrelevant? Planungskosten? Bauverzögerung? Rücktritt von bereits unterschriebenen Kaufverträgen (z.B. für noch zu erstellende Wohnungen)? Die Kosten für die Umplanung der Gebäude zur Erschließung des Hochhauses über das Grundstück der Besitzer des Gebäuderiegels? Die Reduktion oder Aufhebung bereits erteilten Baurechts? In welchem Umfang? Ist eine Enteignung des einen oder des anderen Grundstücks möglich und zu welchen Konditionen? Gilt in diesem Fall Verkehrswert, Marktwert oder ein anderer Wert?
? Um die finanziellen Folgen besser abschätzen zu können, wird das Bezirksamt beauftragt, die Grundstücksbesitzer um Einsicht in ihre Unterlagen, Rechnungen und Verträge zu bitten. Zumindest der Eigentümer des Hochhausgrundstücks hat in der Presse mehrfach Kooperationsbereitschaft bei der Suche nach einer Lösung signalisiert, die auch die Verhinderung der Bebauung beinhaltet. Er sollte also bereit sein, die notwendigen Unterlagen für eine fundierte demokratische Entscheidung zur Verfügung zu stellen, damit die BVV abschätzen kann, welche Summen bei einer finanziellen Entschädigung aufgerufen werden können.
? Auch wird das Bezirksamt beauftragt, Kontakt mit den Eigentümern des Gebäuderiegels aufzunehmen, um dieselbe Frage des finanziellen Aufwandes zu erörtern. In welcher Höhe muss der Bezirk mit Entschädigungszahlungen rechnen, sollte das Bezirksamt einen eingehenden Bauantrag aufgrund des Aufstellungsbeschlusses zum Bebauungsplan V-74- 1 für die Flurstücke 77 (teilweise) und 78- 82 zwischen Mühlenstraße und Spree im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Ortsteil Friedrichshain, zurückstellen?
? Welche finanziellen Belastungen würden auf den Bezirk zu kommen, wenn für beide in Frage stehenden Flächen oder nur das Hochhaus oder nur den Gebäuderiegel eine öffentliche Grünfläche festgesetzt wird? Ist dies im Fall des Hochhauses nach Baubeginnsanzeige rechtlich überhaupt noch möglich? Liegt eine Enteignung, wie vom Investor in der Presse angeregt, in der Macht des Bezirks und was wären die rechtlichen und finanziellen Folgen?
? Des weiteren wird das Bezirksamt beauftragt, mit beiden Investoren zu erörtern, welche Tauschgrundstücke für einen Verzicht auf die Bebauung des Spreeufers an der East Side Gallery in Frage kommen würden (mögliche Grundstücke an der Spree in Senatsbesitz oder im Besitz einer seiner Gesellschaften befinden sich z.B. im Osthafen oder in der Rummelsburger Bucht). Ob und zu welchen Konditionen könnte ein solcher Tausch stattfinden?
? Da der Senat dem Bezirk im Herbst 2012 mitgeteilt hat, die Bebauungsfrage sei keine Angelegenheit von gesamtstädtischem Interesse wird das Bezirksamt beauftragt, bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung anzufragen, ob der Berliner Senat dies weiterhin so betrachtet.
? Ist der Senat bereit doch einen nachhaltigen Beitrag zur Erhaltung der East Side Gallery in ihrer heutigen Form zu leisten und eine Bebauung zu verhindern, wie es an der Bernauer Straße möglich war und wie es 75.000 PetentInnen und zum Beispiel der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier, fordern? Wird der Senat für den Entschädigungsfall Mittel bereit stellen, um die Rücknahme oder Änderung des vom Senat im Jahr 2001 selbst erteilten Baurechts möglich zu machen? Hat sich die Haltung des Berliner Senats gewandelt, nachdem die Frage, wer das Baurecht geschaffen hat, mittlerweile geklärt ist? Ändert die Tatsache, dass dieses in der Verantwortung des Senats (und nicht vom Bezirk, wie zunächst von Senator Nußbaum argumentiert) erteilt wurde, wie es die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in der Sitzung des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses am 11.03.2013 selbst eingeräumt hat, etwas an deren Beurteilung der Gesamtsituation?
? Während des Klärungsprozesses, wird das Bezirksamt beauftragt, der BVV, insbesondere PHI-Ausschuss und dem Stadtplanungsausschuss unverzüglich und kontinuierlich über die Ergebnisse zu berichten, damit Optionen für ein Handeln mit oder ohne Unterstützung des Senats erörtert werden können.
? Daneben wird das Bezirksamt, nach der Klärung der oben aufgeführten Fragen, erneut beauftragt Verhandlungen mit der Senatsverwaltung aufzunehmen, um anhand eines konkreten Lösungsvorschlags, der mit Zahlen und/oder Grundstücken unterlegt werden kann, eine Verhinderung der Bebauung des Spreeufers an der East Side Gallery anzustreben.
Begründung:
Die Proteste der letzten Wochen und die Petition gegen eine Bebauung des ehemaligen Todesstreifens hinter der East Side Gallery, zeigen, dass die BVV-Friedrichshain-Kreuzberg einen weiteren Versuch unternehmen sollte, dieses Baurecht, dass im Jahr 2001 vom Senat geschaffen wurde, zu ändern. Der letzte Versuch im Herbst des Jahres 2012 (siehe Drucksache DS/0345/IV) musste an der fehlenden Unterstützung des Senats von Berlin scheitern. Nur wenn alle politischen Kräfte in dieser Frage an einem Strang ziehen, kann die Bebauung noch verhindert werden. Der Bezirk ist weder finanzstark genug, noch verfügt er über die nötigen Austauschflächen.
Sollte eine Unterstützung des Senats weiterhin ausbleiben, muss die BVV auf einer möglichst guten Datengrundlage beurteilen, ob sie einen Alleingang des Bezirks unter den gegebenen Voraussetzungen und den drohenden finanziellen Kosten sowie möglichen rechtlichen Konsequenzen verantworten kann.
Es droht die Degradierung der East Side Gallery, von einer weltweit bekannten Erinnerungsstätte an die Teilung Berlins und die Freude über deren Überwindung zur Vorgartenmauer einer über 150 Meter langen, massiven, die Mauer überragenden Bebauung direkt dahinter (Grafik siehe unten).
Über 75.000 Petentinnen und Petenten haben sich bisher gegen diese Bebauung ausgesprochen, mehr als 6000 Menschen gingen am 3. März 2013 und abermals am 17. März dagegen auf die Straße, 87% sprachen sich im erfolgreichen Bürgerentscheid „Spreeufer für alle“ von 2008 dagegen aus.
Es kann keinen Zweifel geben, dass
1. die breite Mehrheit der 2008 abstimmenden Bevölkerung im Bezirk diese Bebauung ablehnt und ein unbebautes Ufer hinter der Mauer wünscht.
2. die Einschätzung der Senatsverwaltung, es handele sich nicht um ein Projekt von gesamtstädtischem Interesse, falsch ist.
Es handelt sich nicht nur um eine Fläche von gesamtstädtischem Interesse, sondern, wie die Berichterstattung und die Aktivität in den sozialen Netzwerken der letzten Wochen gezeigt haben, um ein einmaliges Denkmal von internationalem Interesse. Es muss nicht nur vor weiteren Durchbrüchen geschützt werden, sondern auch vor dem Verschwinden in einem Gesamtensemble, das die Eindrücklichkeit dieses besonderen Ortes für immer beschädigen wird.
Friedrichshain-Kreuzberg, den 19.03.2013
Bündnis 90/Die Grünen
AntragstellerIn: Andreas Weeger