SA/103/IV
SA/103/IV
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin 31.01.2013 Abt. Finanzen, Personal und Stadtentwicklung Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:
1. Wie und in welchem Umfang beteiligt sich das Bezirksamt an der Umsetzung der „Initiative Sexuelle Vielfalt“ („Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt/ Aktionsplan gegen Homophobie“, DS 16/2291)?
Die Abteilung Familie, Gesundheit, Kultur und Weiterbildung und das Berliner Notdienstsystem haben sich in den vergangenen Jahren in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen inhaltlich und fachlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Dabei wurde und wird auch weiterhin der Schwerpunkt auf die verpflichtende Teilnahme aller Führungskräfte bzw. Mitarbeiter_innen der Abteilung an Diversity- Fortbildungen gelegt, die u.a. die Bildung und Aufklärung zum akzeptierenden Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt beinhalteten.
Der Fachbereich Sport hat an der Auftaktveranstaltung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales „Start der Berlin Kampagne zur Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt am 2. März 2011 im Roten Rathaus teilgenommen und entsprechendes Informationsmaterial mitgebracht, welches auf den Sportanlagen zur Einsicht ausgelegt wurde. Die Kampagne „Berlin liebt! Respekt macht’s möglich“ wurde auf der Internetseite der Sportförderung vorgestellt und damit ein deutliches Zeichen für eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt in Berlin vermittelt. Poster zu diesem Thema wurden im Bereich des Fachbereichs Sport aufgehängt.
2. Welche Maßnahmen hat das Bezirksamt seit dem 31.03.2009 (Verabschiedung der DS 16/2291) dazu unternommen?
Das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg hat sich unter Einbeziehung der SR- und Fach-AG’s nach § 78 KJHG während eines Leitungsdiskurs am 12.11.2010 mit dem von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung initiierten Qualifizierungskonzept zur Umsetzung „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ auseinander gesetzt.
Daraus resultierend wurden, wie in der o.g. DS der Senatsverwaltung benannt, insbesondere Schlüsselpersonen wie z.B. SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen in verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen geschult (siehe auch Beantwortung Frage 4). Das Amt für Kultur und Weiterbildung hat neben den Fortbildungen für Mitarbeiter_innen u.a. im Bereich der Volkshochschule sein Kursangebot um die Themen Diversity und Interkulturelle Kompetenzen erweitert.
Die Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit kommuniziert das Thema in verschiedenen Zusammenhängen, z. B. im Berliner Frauengesundheitsnetzwerk, dem Arbeitskreis Migration und Frauen, dem Arbeitskreis Migration, Integration und Gesundheit sowie beim Interkulturellen Umwelt- und Gesundheitsfestival.
Die Internetseite der Sportförderung informiert regelmäßig über anstehende Veranstaltungen auch zum Thema Homophobie, wie z.B. Meldungen über den Empfang „Vielfalt im Frauenfußball – gegen Homophobie“ der Wirtschaftsweiber e.V. L-Soccer Team Berlin u.s.w. Zu1. und 2. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte setzt sich im Rahmen ihrer ressortübergreifenden Aufgaben für Diversity und auch für die Umsetzung der „Initiative Sexuelle Vielfalt“ („Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt/Aktionsplan gegen Homophobie“, DS 16/2291) ein.
Auf der Internetseite der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten befindet sich eine umfangreiche Darstellung über gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Beratungs- und Hilfsangebote, Kriseneinrichtungen und Anlaufstellen im Bezirk. Ebenso gibt es spezielle Beratungsangebote der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in Kooperation mit dem Netzwerk der LSBTI.
Der Frauen-, Gleichstellungs- und Queerausschuss beschäftigt sich in regelmäßigen Sitzungen mit queeren Themen zur Verbesserung der Situation 3. Gibt es eine Diversity-Richtlinie für die Beamt*innen und Angestellten im öffentlichen Dienst des Bezirks? (vgl. Punkt 16 der DS 16/2291) Eine entsprechende Diversity-Richtlinie für den Öffentlichen Dienst ist nicht bekannt. Gleichwohl gilt die verpflichtende Teilnahme an Diversity- Fortbildungen in der Abteilung Familie, Gesundheit, Kultur und Bildung auch für Verwaltungsmitarbeiter_innen, insbesondere im Leistungsbereich des Jugendamtes.
4. Welche Qualifikationsmaßnahmen wurden im Bezirksamt ergriffen, um die Kompetenz bei Mitarbeiter*innen und freien Trägern im Umgang mit LSBTI-Jugendlichen zu fördern?
Im Fachbereich Allgemeine Kinder- und Jugendförderung wurde im Jahr 2011 die Möglichkeit genutzt, in Kooperation mit dem SFBB eine interne Fortbildung für Frauen aus den Bereichen Jugendhilfe und Sport, die im Rahmen der Fach-AG „Mädchenförderung“ nach §78 SGB VIII vernetzt sind, anzubieten.
Im September 2011 fand die Fortbildung zum Thema „Homophobie in der Einrichtung – Methoden und Projektideen in der Arbeit mit jungen Menschen in Verbindung mit der Berliner Initiative zur Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt in der Kinder- und Jugendhilfe“ durchgeführt von der Bildungsinitiative QUEERFORMAT der Träger KomBi und ABqueer statt, an der 18 Mitarbeiter_innen des kommunalen bzw. der freien Träger der Jugendhilfe teilnahmen.
Im Nachgang wurde Informationsmaterial von der Fortbildung zu Beratungsstellen und Treffpunkten in Berlin, zur Geschlechtervielfalt, zur Differenzierung zwischen „Sex“ und „Gender“ Kleine Anfrage Antwort vom 01.02.2013 sowie Literatur, Filmen etc. zum Thema LGBT-Lebensweisen an alle Projekte und Einrichtungen, die nach § 11 SGB VIII im Bezirk tätig sind, versandt. Im April 2012 fand auf Anregung der Fach-AG „Jungenarbeit“ ebenfalls in Kooperation mit dem SFBB und durchgeführt von der Bildungsinitiative QUEERFORMAT eine weitere Fortbildung zum Thema „Sexuelle Vielfalt in der Jugendarbeit“ statt, an der sich 15 Mitarbeiter_innen beteiligten.
Die für den Frauen- und Mädchensport zuständige Mitarbeiterin aus dem Fachbereich Sport hat an einer einjährigen Fortbildung teilgenommen, in der berlinweit 20 „Diversity-Projekt- KoordinatorInnen“ ausgebildet wurden. Diese Ausbildung umfasste auch Module zum Thema Homophobie, Dimension Geschlecht und Dimension Sexuelle Identität.
5. Gibt es im Bezirk spezielle Ansprechpersonen für LSBTI-Jugendliche?
Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindet sich ein Projekt speziell für LGBTI-Jugendliche: Das Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V. als Lesbisch-schwuler Jugendverband mit Freizeitgruppen, IN&OUT – Jugendberatungsprojekt, Coming-Out-Gruppen, Freizeitangeboten, in der Manteuffelstr. 19, 10997 Berlin.
6. Ist sichergestellt, dass Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen des Bezirks (Jugendamt, Schulen, Kitas) ausreichend zielgruppenspezifisches Informationsmaterial zum Thema sexuelle Vielfalt zur Verfügung gestellt wird? (vgl. Punkt 4 der DS 16/2291)
Grundsätzlich sind die Einrichtungen und Projekte der Kinder- und Jugendfreizeitarbeit über die Möglichkeiten des Bezugs von Informationsmaterial zum Thema sexuelle Vielfalt informiert worden, siehe auch Pkt. 4. Ein zentraler Versand von gedrucktem Informationsmaterial erfolgt aus Kosten- und Umweltgründen seit mehreren Jahren nicht mehr, sondern in Eigenregie durch die Projekte. In jeder Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung/ Projekt gibt es einen Bereich, in dem Broschüren und Informationsmaterial für Kinder bzw. Jugendliche zu verschiedenen Themen ausliegen.
Es wird allerdings nicht durch den Fachbereich Allgemeine Kinder- und Jugendförderung kontrolliert, ob ständig zielgruppenspezifisches Informationsmaterial für Kinder und Jugendliche zur Verfügung steht.
In regionalen Bildungsnetzwerken und in der Facharbeitsgemeinschaft Kindertagesbetreuung werden im Rahmen der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung, den freien Trägern der Kindertagesbetreuung immer wieder Anregungen und Materialien zur vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung vorgestellt, als auch in Kooperation mit der Fachstelle „Kinderwelten“ ( im Institut für den Situationsansatz/Internationale Akademie an der FU Berlin gGmbH) Fortbildungen angeboten, die in Verantwortung der freien Träger genutzt werden können.
Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik findet dann in der Haltung der Erzieherinnen und Erzieher, einem anderen Umgang mit Herabwürdigungen und Abwertungen aber auch in der Ausstattung der Kitas mit Spielmaterialien und in der Vielfalt der Auswahl von Kinderbüchern, ihren Ausdruck.
Für die Schulen kann durch das Jugendamt leider keine Aussage getroffen werden, da die Zuständigkeit für diese Bildungseinrichtungen bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft liegt.
7. Sind dem Bezirksamt besondere Anforderungen bei der Jugendarbeit mit „queeren“ (also lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, intersexuellen, LSBTI) Jugendlichen bekannt? Werden diese erfüllt?
Im Jugendamt liegen seit dem Jahr 2003 Leitlinien der geschlechtsdifferenzierten Arbeit mit Mädchen und Jungen vor, die auf Empfehlung des Jugendhilfeausschusses in den Fachbereichen des Jugendamtes zu spezifizieren und umzusetzen sind. In diesen Leitlinien werden dezidiert Standards für die Arbeit mit Mädchen und Jungen vorgeschlagen, u.a.:
„Bei der Arbeit mit Mädchen und Jungen soll/ sollen: … die Auseinandersetzung mit, sowie Unterstützung bei der Findung der eigenen Identität und Sexualität (Hetero-, Bi-, Homo- oder Transsexualität) unterstützt werden.“ (aus: Leitlinien der geschlechtsdifferenzierten Arbeit – Mädchen- und Jungenarbeit, 2003, S.8)
Diese Unterstützung wird in den Einrichtungen und Projekten der Kinder- und Jugendfreizeitarbeit auf verschiedene Weise sichergestellt. Dem Charakter der offenen Arbeit mit Partizipation und Freiwilligkeit Rechnung tragend hängt die Thematisierung von Sexualität von den Wünschen der aktuellen Nutzer_innen, vom Grad der Beziehung der Mitarbeiter_innen zu den Jugendlichen und den Möglichkeiten vor Ort ab. Beispiele sind u.a.:
- für altersspezifische Kleingruppen und Einzelpersonen nach aufeinander aufbauendem
Konzept 14tägige „Sexualsprechstunde“ in einem Mädchenzentrum
- koedukative Workshops zu Zukunftsvorstellungen, Familie, Sexualität…in einer Jugendfreizeiteinrichtung
- Einladung von Referent_innen zur „Aufklärung“ über Geschlechtervielfalt, Sexuelle Identität,
…für interessierte Mädchen in einem Mädchenzentrum…
Für die im Alltag sowohl in Schule als auch in der Jugendarbeit häufig vorkommenden „homophoben“ Äußerungen durch junge Menschen, ist es wichtig, diese als Verletzung von anderen Menschen darzustellen, zu hinterfragen und die Vorurteile von der abstrakten Ebene auf die Realität zu holen, um ein anderes Nachdenken zu ermöglichen. Dabei bieten die Mitarbeiter_ innen durch ihr Handeln immer eine Vorbildrolle.
Den Bedürfnissen von „queeren“ Jugendlichen, sich in einem geschütztem Raum, mit anderen Jugendlichen auszutauschen, die ebenfalls „queer“ sind, ihre Freizeit gemeinsam zu gestalten und sich spezielle Beratungs- und ggf. psychologische Unterstützung zu holen, kann im Rahmen der Kinder- und Jugendfreizeitarbeit in einer koedukativen Einrichtung nur selten, bei besonderem Engagement der Mitarbeiter_innen mit speziell geschaffenen Rahmenbedingungen etc. entsprochen werden. Das ist ein tatsächliches Manko.
8. Wie bewertet das Bezirksamt das Fehlen eines „queeren Jungendzentrums“ als „einen Ort für schwule, lesbische, bisexuelle und trans* Jugendliche bis 27 Jahre. Mit größeren und vor allem barrierefreien Räumen, sowie einer professionellen Antidiskriminierungsberatung speziell für queere Jugendliche.“, wie es eine Petition des Jugendnetzwerks Lambda Berlin-Brandenburg fordert? www.wogehtshin.com/
Der Fachbereich Allgemeine Kinder- und Jugendförderung unterstützt die in der Petition des Jugendnetzwerkes Lambda Berlin-Brandenburg geforderte Senatsförderung eines berlinweiten „queeren“ Jugendzentrums mit größeren, barrierefreien Räumen.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte befürwortet ein „queeres Jugendzentrum“, weil damit der besonderen Situation von LSBTI-Jugendlichen Rechnung getragen wird.
9. Ist dem Bezirksamt bewusst, dass die Selbstmordrate bei LSBTI-Jugendlichen vier-bis siebenmal höher liegt als bei anderen Jugendlichen? Wird dieser Umstand bei den bezirklichen Krisendiensten (Sozialpsychiatrischer Dienst, Bezirkliches Krisentelefon Kinderschutz etc.) besonders berücksichtigt?
Die erhöhte Selbstmordrate bei LSBTI-Jugendlichen ist im Gesundheitsamt, insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) sowie im Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD), bekannt. Diese Tatsache wird in der Beratungs praxis berücksichtigt. Betroffene Jugendliche unter 18 Jahre sind unter den Klientinnen und Klienten des Gesundheitsamts, hier insbesondere des KJPD, jedoch sehr selten. Häufiger werden entsprechende Erwachsene im SpD vorstellig.
In den entsprechenden Diensten sind aufgrund der fachlichen (ggf. auch persönlichen) Erfahrungen und Qualifikationen das notwendige Bewusstsein und die Kenntnisse dafür vorhanden, dass spezifische Ausprägungen von Krankheits- und Störungsbildern aufgrund der persönlichen Lebens- und Krankheitsgeschichte bei diesem Personenkreis bestehen. Auf Wunsch der Betroffenen bzw. nach entsprechender Beratung erfolgt die Weitervermittlung dann in spezialisierte Beratungsstellen und/oder an spezialisierte Anbieter von Eingliederungshilfe, so u. a.
- bei akuten Gewalterfahrungen an die Traumaambulanz der Psychiatrischen
Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus,
- zwecks Beratung und Teilnahme an Selbsthilfe- oder anderen Gruppenangeboten sowie
bei Eingliederungshilfebedarf (Betreutes Einzelwohnen, Therapeutisch betreute Wohngemeinschaft) an die Schwulenberatung in der Mommsenstraße 45, 10629 Berlin oder an Queer Leben in der Glogauer Straße.
In Gewalt- und Konfliktsituationen besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Kinderoder Jugendnotdienst sowie die Beratungsstellen von „Lambda“ und „Kombi“ einzuschalten. Für die besonderen Bedarfe von LSBTI – Jugendlichen kann in Abstimmung mit der Eingliederungshilfe (Fallmanagement Sozialamt) eine Jugendhilfemaßnahme als Eingliederungshilfe bei dem spezifischen Leistungsanbieter gleich&gleich e. V., Kulmer Str. 16, 10783 Berlin, fortgesetzt oder bei jungen Erwachsenen eingesetzt werden. Derzeit befindet sich ein Eingliederungshilfeangebot des Bezirks für den betroffenen Personenkreis in Vorbereitung. Ein vorgelegtes Konzept wurde im Fachgremium der PSAG diskutiert und im Psychiatriebeirat vorgestellt. Die Umsetzung bedarf noch weiterer fachlicher Diskussion.
Dem Berliner Notdienst Kinderschutz ist bekannt, dass die Gefährdung von Jugendlichen bezüglich Suizidversuche signifikant höher ist als in anderen Altersgruppen. Untersuchungen über Suizidgefährdungen bei der Zielgruppe der LSBTI-Jugendlichen sind jedoch nicht bekannt. Es liegt aber nahe, dass insbesondere Jugendliche, die Probleme im Bereich der sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität und/oder deren Akzeptanz im familiären und sozialen Umfeld haben, hoch gefährdet sind, in existentielle Krisensituation zu geraten. Dieses findet bei den Krisenberatungen und -interventionen durch den Berliner Notdienst Kinderschutz eine besondere Berücksichtigung.
10. Sind dem Bezirksamt Fälle im Bezirk bekannt, bei denen sich Jugendliche aufgrund vonProblemen mit ihrer sexuellen Orientierung das Leben genommen haben?
Entsprechende Fälle, bei denen zwischen sexueller Orientierung und Suizid ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang besteht, kann das Gesundheitsamt/Jugendamt nicht benennen. Es erfolgt jedoch auch keine systematische Erfassung von Suiziden und deren Ursachen. Auch dem Berliner Notdienst Kinderschutz sind keine derartigen Fälle aus Friedrichshain- Kreuzberg bekannt.
Nein, es sind der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten keine Suizidfälle von LSBTIJugendlichen bekannt geworden.
11. Ist dem Bezirksamt bekannt, dass über 50% der LSBTI-Jugendlichen schon einmal Gewalt und Mobbing in Familie, Schule oder Öffentlichkeit erfahren haben? Hat das Bezirksamt Erkenntnisse darüber, wie die Lehrkräfte darauf reagieren?
Ja, dies ist dem Fachbereich Allgemeine Kinder- und Jugendförderung aus Fortbildungen heraus bekannt. Eine systematische Erfassung derartiger Vorfälle sowie deren gezielte Auswertung ist nicht bekannt. Die Mitarbeiter-_innen in den bezirklich geförderten Freizeiteinrichtungen greifen bei gewalttätigen Vorfällen bzw. Mobbing jeglicher Art grundsätzlich ein, unterstützen bei der Klärung der Situation und thematisieren die Vorfälle mit den Besucher_innen der Einrichtung.
In den entsprechenden Diensten des Gesundheitsamts ist bekannt, dass sehr viele der LSBTIJugendlichen schon einmal Gewalt und Mobbing in Familie, Schule oder Öffentlichkeit erfahren haben. Es liegen jedoch keine Erkenntnisse darüber vor, wie die Lehrkräfte darauf reagieren.
Dem Berliner Notdienst Kinderschutz sind diese Zahlen nicht bekannt. Die Frage nach dem Reaktionsmuster durch Lehrkräfte kann durch die Abt. Familie, Gesundheit, Kultur und Bildung nicht beantwortet werden. Dem Schulpsychologischer Dienst liegen keine Anfragen von Lehrerinnen und Lehrern diesbezüglich vor, auch keine entsprechenden Gewaltmeldungen. Die Notfallpläne für Schulen wurden um den Aspekt Homophobie erweitert, die entsprechenden Seiten wurden zusammen mit dem Träger „Maneo“ gestaltet. Somit wurde sichergestellt, dass entsprechende Anlaufstellen bekannt sind.
Der schulpsychologische Dienst ist mit „Maneo“ vernetzt. Der LSVD war in der Außenstelle der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Wissenschaft und kennt entsprechend die Mitarbeiter_ innen als Ansprechpartner_innen. Ja, der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten ist das Problem bekannt. Lehrkräfte reagieren auf LSBTI-Jugendliche sehr unterschiedlich, teilweise auch ablehnend und restriktiv. Deshalb ist es dringend erforderlich, Lehrkräfte entsprechend zu sensibilisieren und fortzubilden und Beratungs- rsp Vertrauenslehrkräfte in den Schulen vorzuhalten. Das Thema Gleichgeschlechtliche Lebensweisen muss im Rahmen des Curriculums als integraler Bestandteil des Unterrichts behandelt werden.
12. Welche Erkenntnisse hat das Bezirksamt zum Thema Homophobie im Sport? Arbeitet der Bezirk mit Verbänden und Organisationen in diesem Bereich zusammen?
Der Fachbereich Sport steht in ständigem Kontakt mit den Sportvereinen im Bezirk und erörtert dabei auch Fragen der Förderung der Toleranz und Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Es wurden Netzwerke (wie z.B. zum Schwulen und Lesbenverband – LSVD -) geschaffen und zukünftige Veranstaltungen zum Thema Homophobie werden durch den Fachbereich Sport unterstützt, bzw. organisiert. Der Fachbereich Sport ist bei den jährlichen Respect Gaymes vertreten und wird mit dem Verein Seitenwechsel zukünftig verstärkt an diesem Thema arbeiten.
Einmal im Monat trifft sich unter der Leitung des Fachbereichs Sport der Arbeitskreis zur Förderung des Mädchen- und Frauensports im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, in dem auch über das Thema Homophobie diskutiert wird. Vorgesehen ist eine Erweiterung des Arbeitskreises, dadurch sollen Netzwerkbildungen gestärkt und neue Kooperationspartner auch zu dem Thema Homophobie gewonnen werden. Neue Akteurinnen sollen diesbezüglich für die Mitarbeit gewonnen werden, angedacht sind Franziska Rein oder Breschkai Ferhad vom Berliner Fußballverband, Akteurinnen aus dem Schwulen- und Lesbenverband sowie Integration von Kolleginnen aus der Senatsverwaltung.
13. Wie stellt der Bezirk sicher, dass durch den Bezirk geförderten Projekte die Akzeptanz sexueller und geschlechtliche Vielfalt im Fokus ihrer Arbeit qualifiziert und nachweisbar verfolgen? Gemeint sind dabei nur für „klassische“ Jugend-, Bildungs- und Sportprojekte, wo solche Anstrengungen schon seit längerem unternommen werden, sondern im Besonderen auch für die Interventionsinstrumente des Berliner Quartiersmanagements, der Streetwork und der Notunterkünfte, Nothilfedienste und Weglaufhäuser. (vgl. Punkt 17 der DS 16/2291)
Die über § 13.1 SGB VIII geförderten Projekte der Straßensozialarbeit bzw. mobilen sozialraumorientierten Jugendarbeit von „Gangway“ e.V. und das Projekt „Outreach – mobile Jugendarbeit“ von GSKA GgmbH haben in ihrer Arbeit die sexuelle Vielfalt von Jugendlichen und die Schwierigkeiten, die sich aus dem Wunsch bzw. der Umsetzung von selbstbestimmt gelebter Sexualität ergeben können, im Blick und unterstützen junge Menschen bei Fragen und Problemen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Mitarbeiter_innen beider Projekte haben an einer entsprechenden Fortbildung im Jahr 2011 teilgenommen – s. Beantwortung Pkt 4. In den regelmäßigen Planungs- und Auswertungsgesprächen mit der Jugendförderung wird unter anderem darauf Bezug genommen. Zu den Projekten, die im Rahmen des bezirklichen Quartiersmanagement angeboten werden, können wir keine Aussage treffen.
Der Berliner Notdienst Kinderschutz hat interne Fortbildungsveranstaltungen unter Hinzuziehung externer Expertinnen und Experten zum Thema LSBTI-Jugendliche durchgeführt. Außerdem fanden Vernetzungsgespräche mit Freien Trägern statt, die sich speziell um Jugendliche dieser Zielgruppe kümmern (z.B. „Qu(e)er-Leben“, „Gleich und Gleich“). Im Fachbereich Sport gibt es keine aus dem Bezirkshaushalt geförderten Projekte.
14. Welche Maßnahmen hat das Bezirksamt ergriffen, um die Geschichte der Frauen-, Lesben-und Schwulenbewegung im Stadtbild sichtbar zu machen? (vgl. Punkt 6 der DS 16/2291)
2010 entschloss sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ein Pilotprojekt für die Ehrung einer LSBTI-Person im öffentlichen Raum zu starten. Noch im gleichen Jahr entstand auf Initiative des Bezirksmuseums und im Auftrag der Landesantidiskriminierungsstelle eine vom Schwulen Museum angefertigte Expertise, die Personen benennt, die sich für eine Ehrung im öffentlichen Raum in den verschiedenen Berliner Bezirken eignen würden. Außerdem wurde darin ein Konzept für Möglichkeiten zur Ehrung der einzelnen Personen entwickelt.
Im Rahmen dieses Pilotprojekts entstand auf der Grundlage dieser Expertise die Gedenktafel für Dr. Fritz Flato, einem der führenden Männer der Berliner Homosexuellenbewegung der 1920er Jahre, in der Kommandantenstraße in Kreuzberg. Sie wurde am 14. September 2011 mit einer feierlichen Veranstaltung der Öffentlichkeit übergeben. Sie ist die erste und bisher einzige Gedenktafel, die im Rahmen der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt!“ realisiert wurde. Das Programm kann jederzeit fortgesetzt werden, sofern Mittel zur Verfügung stehen.
Fritz Flato wurde am 4. Januar 1895 in Berlin geboren. 1925 ließ er sich in der Kommandantenstraße 62 als Rechtsanwalt und Notar nieder. Er engagierte sich im Wissenschaftlichhumanitären Komitee von Magnus Hirschfeld, dem Pionier der Sexualforschung und Homosexuellenbewegung. In seiner Kanzlei bot er Rechtsberatung für die Vereinsmitglieder an, verteidigte Homosexuelle vor Gericht und vertrat Verlage und Autoren in Zensurverfahren zum Schutz der Jugend vor der sog. Schundliteratur.
1935 wurde Flato aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Zulassung als Anwalt entzogen. Im Dezember 1935 flüchtete er nach New York. Dort setzte Fritz Flato nach vielen Jahren existenzieller Not im Mai 1949 seinem Leben selbst ein Ende.
Im öffentlichen Raum in Friedrichshain-Kreuzberg erinnern außerdem 8 Stolpersteine an Menschen, die wegen des Vorwurfs homosexueller Handlungen Opfer des Nazi-Regimes wurden:
Wilhelm Böttcher, Jahrgang 1867, Freitod 24. September 1936 Polizeigefängnis Alexanderplatz Kreuzberg, Bergmannstr. 22
Georg Kotte, Jahrgang 1888, ermordet 30. Januar 1944 KZ Buchenwald Kreuzberg, Hornstr. 11
Max Laske, Jahrgang 1903, ermordet 11. August 1942 KZ Sachsenhausen Kreuzberg, Friedrichstr. 16
Max Matschke, Jahrgang 1897, Freitod 19. Februar 1939 Berlin Kreuzberg; Friedrichstr. 34
Richard Miersch, Jahrgang 1891. Tod 26. Juli 1943 Strafgefängnis Tegel Friedrichshain, Mainzer Str. 23
Kurt Müller-Croon, Jahrgang 1895, Tod 17. März 1944, Polizeigefängnis Alexanderplatz Kreuzberg, Friedrichstr. 11
Michael Walter, Jahrgang 1899, ermordet 30. Juni 1940 KZ Sachsenhausen Kreuzberg, Prinzenstr. 98
Otto Peltzer, Jahrgang 1990, Deportation nach Mauthausen (überlebt) Kreuzberg, Jahnstr. 2
Darüber hinaus ehrt der Bezirk durch Gedenktafeln Lesben und Schwule, die ihre Homosexualität nicht zum Thema ihres Wirkens gemacht haben. Beispiele sind die afrodeutsche Dichterin und Wissenschaftlerin May Ayim nach der 2010 das vormalige Gröbenufer benannt wurde oder Rio Reiser, der Sänger der Gruppe „Ton, Steine, Scherben“, für den im August 2013 eine Gedenktafel am Tempelhofer Ufer eingeweiht werden wird. Wie weit es sinnvoll und angemessen es ist, auf den Gedenktafeln auf die Homosexualität der Geehrten aufmerksam zu machen ist noch Gegenstand von Diskussionen.
Auf die Präsenz von LSBTI-Personen und die schwul-lesbische Szene und Bewegung sowie auf die Frauenbewegung in Friedrichshain-Kreuzberg werden Jugendliche beim „xberg-Tag für Jugendgruppen“ aufmerksam gemacht. Diese Führungen, bei denen junge Kreuzberger/innen meist jugendlichen Besuchergruppen den multikulturellen Bezirk näher bringen, bietet das Bezirksmuseum seit 2001 an. Es nehmen jährlich etwa 7.000 junge Menschen daran teil.
Das Archiv des Bezirksmuseums Friedrichshain-Kreuzberg verfügt über eine umfangreiche Materialsammlung zur Geschichte der Lesben und Schwulen in Friedrichshain und Kreuzberg, die der Öffentlichkeit für Recherchen zur Verfügung steht. Die Sammlung geht bis in die 1860er Jahre zurück. Sie ist das Ergebnis eines Ausstellungsprojekts, das in den Jahren 2002 und 2003 im damaligen Kreuzberg Museum unter der Leitung von Jens Dobler durchgeführt wurde.
In diesem Rahmen entstand auch das Buch von „Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain“, das vom Bezirksmuseum vertrieben wird. Es handelt sich um die erste systematische Aufarbeitung schwul-lesbischer Geschichte auf lokaler Basis.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte kann sich der ausführlichen Darstellung von Herrn Düspohl (Leiter des Kreuzberg Museums) nur anschließen. Um die Geschichte der Frauenbewegung im Stadtbild sichtbar zu machen, wurden verschiedene Straßen, Plätze und Ufer nach Frauen benannt.
? Hedwig Wachenheim-Straße. Hedwig Wachenheim wurde 1891 in Mannheim geboren und starb 1969 in Hannover. Wachenheim war aktiv in der Arbeiterbewegung engagiert und trat 1914 der SPD bei. 1928 wurde zur Ausbildung von Fürsorgern und Fürsorgerinnen unter ihre Leitung in Berlin eine Wohlfahrtsschule der Arbeiterwohlfahrt eingerichtet. 1928 wurde sie in den preußischen landtag gewählt.. nach der Machtergreifung Hitlers verließt Hedwig Wachenheim Deutschland. 1945 kehrte sie nach Deutschland zurück und half beim Aufbau der Arbeiterwohlfahrt.
? Hildegard-Jadamowitz- Straße. Hildegard-Jadamowitz (1916 – 1942) war eine kommunistische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Sie wurde 1942 in berlin-Plötzensee hingerichtet.
? Mildred Harnack-Straße. Mildred Harnack (1902 – 1943) war eine US-amerikanisch-deutsche Literaturwissenschaftlerin, Übersetzein und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Sie wurde 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
? Valeska Gert –Straße. Valeska Gert (1892 – 1978) war eine deutsche Tänzerin, die auch als Kabarettistin und Schauspielerin tätig war.
? Wanda Kallenbach-Straße. Wanda Kallenbach (1902 –1944) war eine Friedrichshainer Arbeiterin und Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime. Wanda Kallenbach wurde1944 in Plötzensee hingerichtet.
? Tamara Danz- Straße. Tamara Danz (1952 – 1996) war eine deutsche Sängerin und Frontfrau der Gruppe Silly.
? Ida-Wolff-Platz. Ida Wolff wurde 1893 geboren und starb 1966 in Berlin. Sie war eine Berliner Sozialdemokratin. Ida Wolff begründete nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Lousie Schröder und Franz Neumann wieder die Arbeiterwohlfahrt in Berlin. Außerdem war sie Abgeordnete des Abgeordnetenhauses von Berlin.
? Fanny Hensel-Weg. Fanny Hensel (1805 –1847) war eine Komponistin der deutschen Romantik. Fanny Hensel komponiert 450 Werke und stand Im Schatten ihres Bruders Felix.
? Rahel Varnhagen-Promenade. Rahel Varnhagen von Ense (1771 – 1833) war eine deutsche Schriftstellerin und Salonniere jüdischer Abstammung. Rahel Varnhagen gehörte der romantischen Epoche an und vertrat zugleich Positionen der europäischen Aufklärung. Sie trat für die jüdische Emanzipation und die Emanzipation der Frauen ein.
? Mariane von Rantzau-Straße. Kleine Anfrage Antwort vom 01.02.2013 Mariane von Rantzau (1811 – 1855) war erste Oberin des Diakonissenkrankenhauses Bethanien. Sie engagierte sich früh in der christlich-sozialen Bewegung und war bis zu ihrem Tode im Krankenhaus Bethanien tätig.
? May Ayim-Ufer. May Ayim (1960 – 1996) war eine antirassistische Aktivistin, Dichterin und Pädagogin der afrodeutschen Bewegung. Sie war Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Deutsche in Deutschland und knüpfte Kontakte zu Vertreterinnen der internationalen schwarzen Frauenbewegung.
15. Gab es bisher schon bezirkliche Ehrungen für Menschen/Organisationen, die sich für die Akzeptanz sexueller Vielfalt einsetzen, etwa durch die Verleihung einer Bezirksmedaille?
Vgl. Antwort zu Frage 14:
- Gedenktafel für Dr. Fritz Flato
- 8 Stolpersteine zur Erinnerung an Menschen, die wegen des Vorwurfs homosexueller
Handlungen Opfer des Nazi-Regimes wurden
- Gedenktafeln für Lesben und Schwule (die allerdings ihre Homosexualität nicht zum
Thema ihres Wirkens gemacht haben: May Ayim, Rio Reiser)
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Schulz, Bezirksbürgermeister
Friedrichshain-Kreuzberg, den 31.01.2013
Bündnis 90/Die Grünen
Fragestellerin: Anna Sophie Luck