Der Bildungschip kostet nichts, tut nicht weh und bringt nichts.

Manche Dinge im Leben sind schon sehr praktisch. Die kleinen Plastikkarten ersetzen das Geld im Supermarkt, den Krankenschein oder machen mich zum Klubmitglied. Alles Dank des Stückchens Plastik mit dem Magnetzauber. Das muss auch Frau von der Leyen im Hinterkopf gehabt haben, quasi als positiv belegte Grundidee. Ihr Problem: Kindern aus armen Familien etwas Gutes tun, ohne dass die proletenhaften Eltern, das Mehr an Geld, versaufen, verqualmen oder sonst wie verschleudern.

Das gute Steuergeld der Mittelschicht soll den Kindern mit den großen dunklen Augen zu Gute kommen, so lange sie noch süß sind und nicht zu bösartig zuschlagenden Jugendlichen auf S-Bahnhöfen mutieren. So hat Frau von der Leyen eventuell gedacht. Und so führt sie den Fürsorgestaat eingestanzt in eine Bildungschipkarte wieder ein. Das ist der Plan.

Irreführung von Amtswegen

Der Bildungschip soll armen Kindern zur Nachhilfe verhelfen. Wahrscheinlich bräuchten sie keine Nachhilfe, bekämen sie ihre Teilungsstunden, Förderstunden und Lehrstunden für Deutsch als Zweitsprache tatsächlich. In Wirklichkeit fallen sie zu oft aus. Und zwar immer dann, wenn regulärer Unterricht vertreten werden muss. Notwendige Förderung verkommt zu verzichtbarem Luxus. Bisher lässt sich nach Jahren der theoretischen Förderung aller Schüler an Berliner Schulen gar nicht sagen, ob es ein funktionierendes Modell ist, weil es in der Praxis meist nicht durchgeführt werden kann. Zu wenig Personal an den Schulen, zu wenig Honorarmittel, zu wenig Räume für die wechselnden Lerngruppen, die bildungsförderliche Binnendifferenzierung erst möglich machen. Wenn jedes zweite Kind Nachhilfe benötigt, dann stimmt doch das System nicht! Dem Kind und seinen Eltern wird jedoch suggeriert, sie seien selbst schuld am Versagen und deshalb benötigten die Kleinen individuellen Nachhilfeunterricht.

Mit dem Chip ins Museum

Der Bildungschip soll Kindern die Museen öff nen. Die Museen sind offen für Kinder. Die meisten Berliner Museen erheben für Kinder einen Eintritt und bieten meist einmal im Monat freien Eintritt für jeden. Häufig fehlt den Eltern aber das sichere Gefühl, dass ein Besuch im Museum wirklich eine vergnügliche Alternative zu einem Besuch etwa in einem Möbelhaus sein kann. Die dort gezeigten Lebenswelten scheinen näher dran am eigenen Dasein. Auch dann, wenn sich die meisten Familien, die sich an den Wochenenden in Massen vorbei an Installationen glücklicher Bürgerwelt schieben, am Ende nur eine Klobürste für 90 Cent als Bruchteil des Versprechens von „Lebst Du schon?“ leisten können. Die Kinder sind derweil glücklich zwischen bunten Plastikbällen und Bullerbü Gefl immer in Småland. So sieht ein Familienausfl ug 2010 in Berlin aus. Das Selbstverständnis der Museen ist ein anderes. Aber sie sind bemüht, sich der Konkurrenz zu stellen. Viele Museen bieten mittlerweile ein hochwertiges pädagogisches Angebot. Dieses ist kostenpflichtig. Viele Schulen wären froh, wenn sie im Interesse ihrer Schüler intensiver mit Museen und anderen Kulturinstitutionen kooperieren könnten.

Doch Schulen haben weder Koordinatoren, die die Kooperation mit dem Umfeld der Schule organisieren noch einfach abzurechnende Honorarmittel, um die Angebote der Kultureinrichtungen bezahlen zu können. Außerdem scheitern Ausfl üge regelmäßig daran, dass zu wenig Aufsichtspersonal vorhanden ist.

Sport mit Karte

Der Bildungschip soll bedürftige Kinder in die Sportvereine schleusen. Die Jahresbeiträge der Vereine sind meist niedrig. Jeder Monatsbeitrag im Fitnessstudio ist höher. Die Vereine klagen über mangelnden Zulauf, nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern vor allem seitens qualifi zierter Trainer. Bei der heutigen Arbeitsbelastung ist es schwer, noch Energie für das ehrenamtliche Engagement als Trainer in einem Verein aufzubringen. Hinzu kommt, dass die Kinder, wenn sie um 16:00 Uhr die Ganztagsschulen verlassen, oft zu abgespannt sind, um noch mit Freude am Training teilzunehmen.

Oft scheitert die nahe liegende Zusammenarbeit der Vereine mit den Schulen an fehlenden Foren der Begegnung, an fehlenden Honorarmitteln für Trainerausbildung und Stunden und drittens an knappen Hallenzeiten. Verschärft durch etatbedingte Baumängel vieler Hallen. So geht es auch den Jugendgruppen der Kirchen, politischen Institutionen, Naturschutzvereinen. Auch Jugendfreizeiteinrichtungen ringen mit diesen Fragestellungen.

Während das Personal an den Schulen jedes Jahr ein wenig mehr ächzt unter den steigenden Anforderungen, die immer weniger Raum und Zeit lassen für den Kern der Arbeit, Schüler sinnvoll zu unterrichten.

Bildungsgerechtigkeit ist nicht aus Plastik

Mit den Schulen ließe sich sehr viel mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland für alle Kinder herstellen. Sie brauchen die Mittel, um die Vernetzung mit den Kultureinrichtungen, den umliegenden Betrieben, den Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, den Stiftungen, die die Projektarbeit an Schulen fördern, den Sportvereinen und Bürgerinitiativen und nicht zuletzt den Eltern selbst aktiv zu fördern. Denn bis heute bleibt diese Aufgabe meist stiefmütterlich verteilt zwischen der chronisch überlasteten Schulleitung, einer für diese Aufgabe weder ausgebildeten noch ausreichend freigestellten pädagogischen Kraft und dem Engagement einzelner Eltern auf halber Strecke liegen. Ein Bildungschip schafft nur mehr Verwaltungsarbeit, aber nicht mehr Bildungsgerechtigkeit.

Barbara Fischer, Mitglied des Bezirkselternausschusses Schule Friedrichshain-Kreuzberg