Auf einer Bürgerversammlung im Mai zum Thema Begegnungszone Bergmannstraße sprachen sich viele der ca. 300 Teilnehmer*innen für eine weitere Einschränkung des Autoverkehrs in der Bergmannstraße aus. Auch die sogenannten Parklets – begrünte Plattformen mit Tischen und Bänken am Straßenrand – wurden zwischenzeitig vielfältig genutzt. Dennoch sollen diese auf Beschluss der Bezirksverordneten von der CDU bis zu den Linken vorzeitig vor Ende der eigentlichen Testphase abgebaut werden. Die Grüne BVV-Fraktion hatte sich gegen einen frühzeitigen Abbruch der Testphase ausgesprochen. Hierzu sprachen wir mit dem Verkehrsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt.

Florian, bedeutet der Abbau der Parklets das Ende dieses interessanten Experiments?

Nein. Wenn wir die Begegnungszone als verkehrstechnisches Experiment betrachten, dann haben die Parklets lange genug gestanden um eine aussagekräftige Evaluation vorzunehmen. Eine andere Frage ist, ob die Begegnungszone als verkehrspolitisches Projekt Schaden durch den Abbau nimmt. Einige der Parteien, die für den Rückbau der Parklets waren, wollen genau das. Was sie allerdings bewirkt haben ist etwas anderes. Die Begegnungszone und die Debatten zu dem Projekt haben gezeigt, wie wichtig die Verkehrswende und ihre Umsetzung ist.

Kritiker*innen der Begegnungszone führten neben ästhetischen Gründen vor allem eine nächtliche Lärmbelästigung durch die Nutzer*innen der Parklets an. Ist dies Argument deines Wissens nach zutreffend oder gibt es andere Gründe für die ablehnende Haltung?

Bei den ersten zwei Test-Parklets, die wir bereits im Sommer 2018 aufgestellt haben, kam es anfänglich vereinzelt tatsächlich zu nächtlichen Gelagen. Es war ungünstig, dass wir sie nachts nicht betreut haben. Das haben wir aber schnell geändert. Allerdings ist auch die Bauweise wichtig. Während die zwei Parklets durch lange Bänke und eine Rückwand, die einen geschützten Bereich markierten geradezu einluden, sich dort aufzuhalten, sind die in 2019 aufgestellten Parklets luftiger, fast wie Tische mit Stühlen. Man wird von allen Seiten beobachtet. Auch die Lärmproblematik spielt kaum eine Rolle mehr.

Im Rahmen der Bürgerbeteiligung wurde inzwischen eine Befragung von 4000 repräsentativ ausgewählten Anwohnern*innen durchgeführt. Kannst du schon etwas zu dem Ergebnis der Befragung sagen?

Das Ergebnis ist recht eindeutig. Die Mehrheit wünscht sich weniger Verkehr und Autos in der Bergmannstraße.

Zudem gab es eine Bürgerwerkstatt mit 100 ausgelosten  Teilnehmer*innen zu konkreten Planungsalternativen. Lässt sich bereits sagen, welche Elemente der Begegnungszone von den Anwohner*innen besonders geschätzt werden und welche sich nicht so bewährt haben?

Am meisten Zustimmung fanden die Fahrradbügel auf dem Seitenstreifen, auch die Poller und die Übergänge. Auch Lieferparkplätze wurden begrüßt. Bei den Parklets wird die Ästhetik moniert. Die grünen Punkte finden kaum Freunde, aber die Argumente dagegen sind meist politischer Art: es werden die Kosten kritisiert.

Auf einer Bürgerversammlung im Mai wurde von vielen Teilnehmer*innen gefordert, den Durchgangsverkehr in der Bergmannstraße zu unterbinden. In anderen Kiezen – z.B. in der Wrangelstraße in Kreuzberg und im Samariterkiez in Friedrichshain – wurden vor kurzem Durchfahrtssperren auf Kreuzungen (sog. Diagonalsperren) errichtet. Wäre dies auch eine Möglichkeit in der Bergmannstraße?

Natürlich ist das möglich. Das ist in allen Kiezen möglich. In den Perspektivwerkstätten wurden verschiedene Szenarien entwickelt. Alle nutzen das Prinzip der Unterbrechung des Verkehrsflusses und bei einigen Varianten wird der Verkehr ganz heraus genommen. Nur Lieferverkehr und Notfalleinsätze kommen durch.

Wie wird es aus deiner Sicht nach dem Abbau der Parklets weitergehen in der Bergmannstraße?

Es wird schon jetzt im Kiez die Frage diskutiert, was an die Stelle der Parklets treten sollte. Im Bezirksamt analysieren wir gerade die verschiedenen Bedarfe. Danach soll ein Vorschlag vorgestellt werden, wie die Leerstellen genutzt werden könnten. Wir analysieren auch wie man ehemaligen Parkraum „von unten“ konzipieren könnte, also wie die Menschen selbst diesen Raum gestalten und nutzen können. In Wien gibt es z.B. das Prinzip der Grätzl-Oase, übersetzt Kiez-Oase. Menschen können ehemaligen Parkraum für nichtkommerzielle Zwecke nutzen und werden dabei mit Ressourcen von der Stadt unterstützt. Wir brauchen für den Bezirk ein eigenes Konzept, denn der Raumbedarf vielfältige Nutzungen ist enorm. Man muss das aber regeln.

Kommen wir zum Schluss zu weiteren Verkehrsprojekten in unserem Bezirk. Eine ganze Reihe von z.T.  kleineren Maßnahmen des Radwegeplans – Umbau von gefährlichen Kreuzungen, Neubau, Markierung  und Sicherung von Radwegen – sind bereits erfolgt. Bei anderen, besonders  dringlichen Projekten – z.B. in der Oranienstraße – geht es scheinbar kaum voran. Wie bewertest du die bisherigen Ergebnisse und welche Probleme behindern einen schnelleren Umbau?

Mir selber geht das zwar alles auch zu langsam. Aber nach 70 Jahren autogerechter Stadtplanung kann man die Stadt auch nicht im Handstreich umgestalten. Friedrichshain-Kreuzberg ist der Modell-Bezirk in Sachen Verkehrswende. Im Vergleich zu den anderen Bezirken haben wir am schnellsten das Personal aufgestockt und die meisten baulichen Maßnahmen umgesetzt.

Letzte Frage: Welche Verkehrsprojekte sollten aus deiner Sicht vorrangig – d.h. noch in dieser Wahlperiode – fertiggestellt werden?

Die Liste der Projekte ist sehr lang. Priorität haben:

  • Sanierung und Verbreiterung des Radwegs in der Oranienstraße zwischen Moritzplatz und Lindenstraße (Nordseite)
  • Schaffung von Fahrradabstellanlagen, also Fahrradbügel auf den Seitenstreifen
  • Schaffung von Radfahrstreifen in der Gitschiner Straße von Lindenstraße bis Kottbusser Tor
  • Sanierung und Verbreiterung des Radwegs zwischen Schwiebusser Straße und Bergmannstraße auf der Ostseite des Mehringdamms
  • Verbreiterung der Radwege auf 2,50 m auf der Karl-Marx-Allee zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor
  • Einrichtung eines geschützten Radfahrstreifens auf der Frankfurter Allee, Südseite zwischen Niederbarnimstraße und Jessnerstraße
  • Grunderneuerung der Infrastrukturanlagen in der Jugendverkehrsschule Wiener Straße
  • Sanierung des Radwegs Petersburger Straße
  • Radverkehrsanlage in der Stralauer Allee von Ehrenbergstraße bis Elsenbrücke
  • Einrichtung eines geschützten Radfahrstreifens in der Mühlenstraße
  • Einrichtung eines geschützten Radfahrstreifens auf dem Kottbusser Damm
  • Einrichtung weiterer temporärer Spielstraßen
  • Umsetzung der Machbarkeitsstudie Autofreier Wrangelkiez
  • Ausarbeitung von Maßnahmen im Rahmen des Verkehrskonzepts Luisenstadt
  • Planung und Finanzierung von Maßnahmen der Machbarkeitsstudie Friedrichshain West
  • Weitere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in den Kiezen

Gerd Thorns (VerkehrsAG) für den Stachel September 2019