Wie ist öffentlicher Raum zu nutzen und von wer darf diesen vereinnahmen? Eine Fragestellung im Sinne aller Teilnehmer*innen des öffentlichen Lebens. Und das Projekt dazu.
Im Februar haben wir vor unserem Wahlkreisbüro in der Wrangelstraße ein Tiny House aufgestellt. Das ist ein Holzhaus, mobil auf einem Anhänger montiert, mit Kfz-Kennzeichen und StVO-gerecht. Mit Hilfe eines Transporters zogen wir dieses in die Parkbucht vor unser Büro, wo wir es zwischen den zahlreichen, eng geparkten Autos aufbauten. Schon währenddessen wurde uns bewusst, wie viel Aufmerksamkeit und Aufregung das Bauwerk auf Rädern erzeugt. Passant*innen blieben stehen, schauten, wunderten sich und fragten. Rein optisch fügte sich das Haus harmonisch ins vom alternativen Lebensstil dominierte Straßenbild Kreuzbergs ein. Wir schmückten es mit bunten Wimpeln und gestalteten es mit Flyern in eine Informationszentrale, ähnlich einer Litfaßsäule im Kiez um. In unserer Vorstellung sollte das House zu einer Bereicherung für Anwohner*innen und Besucher*innen der Wrangelstraße werden. So entwarfen wir ein Gesprächsangebot, für welches das Tiny House die Anlaufstelle darstellen sollte.
Wintertage im Tiny House
Vier Wochen lang verknüpften wir es mit politischen Angeboten zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Wir boten Sprechstunden mit Bürgermeisterin Monika Herrmann, Senator Dr. Dirk Behrendt, der Abgeordneten Canan Bayram und dem Stadtrat Florian Schmidt an. Schüler*innen debattierten mit unserem kulturpolitischen Sprecher Daniel Wesener über die Verteidigung der Freiheit von Kunst und Kultur. Im Rahmen der Frauenkampfwoche bat Fraktionschefin Antje Kapek zum feministischen Gespräch. Europa-Listenkandidatin Hannah Neumann lud zur Europa-Sprechstunde ein. Und Katrin Schmidberger bot zusammen mit Anwalt Heinz Paul Mietrechtsberatung und Dialoge über Berliner Mietenpolitik an.
Die Türen des Tiny Houses und unseres Büros standen im Februar im wörtlichen Sinne weit offen und es fanden viele Gespräche statt.
Autofreier Wrangelkiez
Begleitet und unterstützt wurde das Programm von der Initiative „Autofreier Wrangelkiez“. Sie gab damit Anwohner*innen die Gelegenheit, sich über ihr Konzept zur Verkehrsentlastung des Kiezes zu informieren und Fragen zu stellen: Was bewegt die Menschen durch den Kiez? Was sorgt sie dabei? Was wünschen sie sich? – Eine Veränderung in der Nutzung des öffentlichen Raumes im belebten Wrangelkiez ist nötig, darüber sind sich die meisten einig. Aber welcher Gestalt diese Veränderung sein soll, dazu herrscht noch Erörterungsbedarf. Diesem wurde in den Stunden am Tiny House Raum und Zeit gegeben. Am 28.Februar übergab Verkehrssenatorin Regine Günther vor der Kulisse des Tiny Houses der Initiative die Finanzierungszusage für die Machbarkeitsstudie zu ihrem Konzept. Im Gegenzug bekam sie eine Liste mit 666 Unterschriften von Unterstützer*innen.
Gespaltene Reaktionen
Immer wieder zeigten sich die Menschen dankbar für die Abwechslung, die das Projekt im Kiez mit sich brachte, für die Möglichkeit mit politischen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen. Die Stimmung während der Aktionen war locker und lebendig. Bei Tee und Gebäck konnten Meinungen ausgetauscht werden und Menschen zueinander finden, doch leider wurden nicht nur positive Reaktionen generiert. Wiederholt wurde das House über Nacht mit aggressiven Sprüchen beschmiert. Unsere beschwichtigenden Angebote an die Kritiker*innen, mit uns in unseren Sprechzeiten zu diskutieren, wurden nicht angenommen. Stattdessen wurden Aushänge am Tiny House nachts immer wieder abgerissen, teilweise auch angezündet und das House mit Graffiti sinn- und kunstfrei beschmiert. Vandalismus oder politisches Statement? Leider eher ersteres – denn tiefere konstruktive Aussagen konnten wir darin nicht finden.
„Wenn Euch Kreuzberg, so wie es ist, nicht gefällt, dann geht doch woanders hin!“
Kritik erhielten wir auch einige Male mit dem Argument, dass das Tiny House in dem engen Kiez begehrte Parkplätze besetzt und diese damit der Öffentlichkeit entwendet. Nur Parkplätze, die für private PKWs zur Verfügung stehen, seien „richtig genutzter“ öffentlicher Raum. Unser Argument, dass wir das Tiny House eben für die Öffentlichkeit aufgestellt haben, als Treff- und Kommunikationsort für alle, traf bei diesen Kritiker*innen auf taube Ohren. Zu sehr wird öffentlicher Raum noch als Raum ausschließlich nur für Fahrzeuge gleichgesetzt.
„Bitte zieht ins Besserverdiener-Viertel Prenzlauer-Berg, oder gleich dahin, wo ihr herkommt, nach Posemuckel.“, „Tiny Houses für Spekulanten“ und „Zynische Wohnungspolitik“
Dass unser Angebot Erörterungen genau zu den Themen Gentrifizierung, Spekulantentum und die Etablierung von Besserverdiener-Viertel mit sich brachte, haben unsere Kritiker*innen nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Auch nicht, dass Mietrechtsberatungen nicht Symptome einer zynischen Wohnungspolitik sind. Oder die Kritiker*innen haben unsere Aushänge vor dem Abreißen gar nicht erst gelesen. Schade, vielleicht hätten auch sie dem Tiny House eine Bereicherung abgewinnen können.
Marianne Burkert-Eulitz, Mitglied des Abgeordnetenhauses für den Stachel Mai 2019