Initiator*innen: B’90 Die Grünen/DIE LINKE/SPD,
Paschal Striebel, Sarah Jermutus, Werner Heck, Tessa Mollenhauer-Koch, Elke Dangeleit

Antrag

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Das Bezirksamt wird beauftragt, ein Diskussions- und Beteiligungsverfahren mit Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und weiteren Interessengruppen zur Benennung des Platzes am westlichen Ende der Naunynstraße zu starten. Ein besonders geeigneter Vorschlag dafür wäre die Benennung nach der Biologin, Tierärztin und NS-Widerstandskämpferin Dr. Maria Gräfin von Maltzan (* 1909, † 1997).

Begründung:

Am westlichen Ende der Naunynstraße befindet sich zum Oranienplatz hin öffnend ein kleiner Stadtplatz, der umgangssprachlich-historisch „Bullenwinkel“ genannt wird, offiziell jedoch ein bisher nicht besonders benannter Teil der Naunynstraße (Nummern 39-53) ist. Der Vorschlag einen Platz oder eine Straße in Kreuzberg SO 36 nach Dr. Maria Gräfin von Maltzan zu benennen greift eine Initiative um das „Kreuzberger Urgestein“, den Künstler, Musiker und Autor Wolfgang Müller (u.a. Die Tödliche Doris) auf.

Dr. Maria Gräfin von Maltzan (* 25. März 1909 bei Militsch, Schlesien; † 12. November 1997 in Berlin) wurde in der Nähe von Breslau als jüngstes Kind einer norddeutsch-schwedischen Adelsfamilie geboren. Sie machte 1927 an der damaligen Elisabeth-Schule in Kreuzberg Abitur und studierte ab 1927 in Breslau und München Zoologie, Botanik und Anthropologie. Sie wurde Mitglied in einer sozialdemokratischen Studentenverbindung.

1933 promovierte sie zur Dr. rer. nat. Eine Anstellung fand sie jedoch aufgrund erster Aktivitäten im NS-Widerstand nicht mehr. Stattdessen bewegte sie sich in Münchner Bohème-Kreisen, rauchte Pfeife und Zigarre, hatte zahlreiche Affären und schlug sich als Übersetzerin, Journalistin und Lektorin, als Pferdepflegerin und Stuntfrau bei der Bavaria Film durch.

Wieder in Berlin, schloss sie 1943 ein Veterinärmedizinstudium ab, arbeitete anschließend beim Deutschen Roten Kreuz und beim Tierschutzverein. Auch in Berlin unterhielt sie Kontakte zum Widerstand, sowohl zu Kommunist*innen wie auch zum Kreisauer Kreis. Sie versteckte Jüd*innen in ihrer Wohnung und besorgte in Zusammenarbeit mit der schwedischen Kirche falsche Pässe. Sie arbeitete bei der „Aktion Schwedenmöbel“ mit und rettete so etwa 60 politisch oder rassisch verfolgten Menschen das Leben.

Nach dem Krieg eröffnete Dr. Maria von Maltzan eine Tierarztpraxis, musste sie aber zwischenzeitlich wegen Tablettenabhängigkeit und Drogensucht aufgeben. Sie lebte zunächst von Sozialhilfe und schlug sich mit verschiedenen Jobs durch. Über eine Festanstellung als Nachtwache im Krankenhaus baute sie sich ein neues Leben auf.

1975 hatte sie erneut eine eigene Praxis am Kurfürstendamm, ab 1983 zog die Tierärztin mit ihrer Praxis nach Kreuzberg, direkt gegenüber vom „Bullenwinkel“, an den Oranienplatz. Dort setzte sich die „moralische und soziale Institution“ – wie es in ihrem Nachruf heißt – weiterhin sehr für gesellschaftlich Ausgegrenzte und Menschen mit Migrationshintergrund ein. Insbesondere die Kreuzberger Punks lagen ihr sehr am Herzen, ihre Tiere behandelte sie kostenlos.

Dr. Maria Gräfin von Maltzan wurde als העולם אומות חסיד (Gerechte unter den Völkern) geehrt und erhielt den Verdienstorden des Landes Berlin. An ihrem Wohnhaus in der Detmolder Straße 11 in Berlin-Wilmersdorf befindet sich eine Gedenktafel.

Mit ihrem bewegten Leben und auch ihrem Lebenswandel passt Maria Gräfin von Maltzan hervorragend nach Kreuzberg SO 36. Die Benennung des Platzes nach einer Aristokratin würde zudem eine alte Traditionslinie in Kreuzberg aufgreifen, zeitgleich jedoch erweitern und aufbrechen: Viele Straßen und Plätze Kreuzbergs sind nach Feldherren der Befreiungskriege benannt. Nun würde eine Person nicht für ihre führende
Rolle im Staatsgefüge und den militärischen „Dienst am Vaterland“, sondern gerade auch für ihren Widerstand gegen die herrschende NS-Diktatur geehrt.

Nicht zuletzt aufgrund des sozialen Engagements von Maria von Maltzan für die Menschen und Tiere in Kreuzberg wäre es eine Ehre für den Bezirk, einen Maria-von-Maltzan-Platz zu haben. Die (Um-)Benennung dieses Platzes ist formal im öffentlichen Interesse erforderlich, insbesondere weil hier durch die Benennung nach einer Frau* das sehr ungleiche Verhältnis zwischen geehrten Frauen* und Männern*
weiter angeglichen werden kann.

Im Bezirk sind (Stand 2013) ca. 62% der Straßen und Plätze neutral benannt, ca. 34% nach Männern* und nur ca. 4% nach Frauen*. Rund 90% aller durch eine Benennung geehrten Personen sind also Männer*. Bei Neu- und Umbenennungen von Straßen und Plätzen soll deshalb regelmäßig nach Frauen* benannt werden. Allerdings gibt es selten neue Straßen zu benennen – zudem werden auch regelmäßig Ausnahmen
gemacht.

Bei privaten Straßen und Plätzen hat der Bezirk ebenfalls kein Mitspracherecht. Es ist Aufgabe der BVV, dieses Missverhältnis zu korrigieren und dabei auch unkonventionelle Wege zu gehen. Zur Umsetzung des breit getragenen „Frauen*-Beschlusses“ ist daher auch die Diskussion um die Neu-Benennung von (auch repräsentativen) Straßen und Plätzen unerlässlich.

Das Bezirksamt soll daher umgehend ins Gespräch mit den Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und anderen möglichen Interessengruppen kommen, um unter fachlicher Begleitung der Gedenktafelkommission zu einem guten Ergebnis zu kommen.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 20.02.2018
Bündnis 90 Die Grünen/DIE LINKE/SPD

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