Initiator*innen: B’90/Die Grünen, Annika Gerold, Sarah Jermutus

Antrag

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Das Bezirksamt wird beauftragt, eine Straße im Ortsteil Kreuzberg nach der Dichterin und Aktivistin Audre Lorde (um-) zu benennen. Dabei ist das in DS/1497/II beschlossene Verfahren anzuwenden. Hierzu ist ein Beteiligungsprozess in Gang zu setzen, wobei insbesondere auf die entsprechende Beteiligung der Anwohner*innen und Gewerbetreibenden zu achten ist.

Begründung:

Die US-Amerikanerin Audre Lorde (1934 – 1992), die einen Teil ihres Lebens in Berlin und auch in Kreuzberg verbrachte, steht für den Einsatz für Bürger*innenrechte, die Vernetzung Schwarzer Menschen insbesondere Frauen in Deutschland, von Frauen*, Lesben und Schwulen sowie in der Friedensbewegung. Sie bezeichnete sich selbst als „Schwarze, Lesbe, Mutter, Kriegerin und Poetin“. Sie gilt bis heute als feministische Vordenkerin. Ihr Werk hat nichts an Aktualität verloren.

1984 war Audre Lorde Gastprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität. Als solche ermutigte sie Afro-deutsche Frauen zu schreiben und durch Veröffentlichung ihrer Werke sichtbar zu werden. So entstand auch die Publikation „Farbe Bekennen – Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“, zu dessen Autorin auch May Ayim zählte und zu dem Audre Lorde das Vorwort
verfasste. Das Buch wurde zu einer Grundlage für eine Vielzahl von Forschungsprojekten im In- und Ausland.

Audre Lorde hatte einen zentralen Einfluss auf die Entstehung der jüngeren Schwarzen Bewegung, und besonders einer Schwarzen Frauenbewegung, in Deutschland, die sich damals in ihren „Berliner Jahren“ (1984-1992) erst gründete. Lorde ermutigte Schwarze Deutsche zu schreiben und ihre Stimme zu erheben. Die Veröffentlichungen von Berliner Autorinnen wie May Ayim, Katharina Oguntoye und Ika Hügel-Marshall, die auch ins Englische übersetzt wurden und internationale Aufmerksamkeit fanden, sind die direkte Folge.

Audre Lorde engagierte sich politisch im damaligen Bezirk Kreuzberg. Sie gab Lesungen im Frauenzentrum Schokofabrik und traf dort Freundinnen. Im Kato am Schlesischen Tor traf sie sich u.a. mit den Frauen, die die Initiative ADEFRA e.V. – Schwarze Frauen in Deutschland gründeten. Dort gab sie auch eine Lesung auf dem Fest der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Gleichzeitig setzte sich Audre Lorde mit der feministischen Bewegung in Deutschland auseinander. Vor allem weiße Frauen forderte sie immer wieder dazu auf Differenz zu akzeptieren und konstruktiv zu nutzen, womit sie einen nachhaltigen Einfluss auf das Bewusstsein vieler Frauen sowie auf die akademische Diskussion zu „critical whiteness“ (kritischem Weißsein) und Intersektionalität (Überschneidung von verschiedenen
Diskriminierungsformen in einer Person) hinterließ. Audre Lorde vertrat die Position, dass alle Unterdrückungsformen miteinander verbunden sind.

So machte Audre Lorde auch ihr Lesbischsein immer wieder zu Thema. Sie kämpfte gegen Homophobie, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und gegen Sexismus zugleich. Sie machte die Unterschiede zwischen weißen, Schwarzen, armen und lesbischen Frauen, Frauen aus der Mittelschicht und Frauen in prekärer Beschäftigung deutlich und warb für den gemeinsamen Kampf und gegenseitiges Verständnis. Eines ihrer bekanntesten Zitate lautet: „Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich.“

Sie stellte immer wieder Zusammenhänge zwischen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung marginalisierter Gruppen auch mit Blick auf die politische Situation in Deutschland her. So wurde z.B. ihr zusammen mit Gloria Joseph verfasster kritischer Brief an Kanzler Kohl nach den Pogromen in Rostock in der Presse veröffentlicht. Audre Lordes zahlreichen Berlin- und Kreuzbergaufenthalte verewigte Dagmar Schultz in dem Dokumentarfilm „Audre Lorde – The Berlin Years 1984 to 1992“, der 2012 erschien, auf zahlreichen Festivals gezeigt wurde und Teil des Programms der Berlinale 2012 war.

Die Benennung einer Straße nach Audre Lorde, einer lesbischen, Schwarzen Frau wäre ein kleiner, jedoch wichtiger, Schritt hin zu mehr Repräsentanz von LSBTTIQ*, Schwarzer Menschen und People of Color im öffentlichen Raum. Dieser Prozess soll auch der öffentlichen Auseinandersetzung mit den Themen, die Audre Lorde vorangetrieben, den Positionen, die sie vertreten und den Werken, die sie verfasst und veröffentlich hat, dienen.

Dieser Antrag wird unterstützt von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), von Katharina Oguntoye, Mitautorin des Buches „Farbe bekennen – Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“ und von Dagmar Schultz, Mitherausgeberin des Buches „Farbe bekennen“, Regisseurin des Dokumentarfilmes „Audre Lorde – The Berlin Years 1984 to 1992“, Initiatorin des Audre-Lorde-Archivs an der Freien Universität Berlin (http://www.fu-berlin.de/sites/uniarchiv/bestaende/abteilung3/nachlass_lorde/index.html) und der Website „Audre Lorde in Berlin“ (http://audrelordeberlin.com), welche mit Fotos, Videos und Text zu Orten führt, an denen Audre Lorde in Berlin und Kreuzberg aktiv war.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 13.03.2018
Bündnis90/Die Grünen
Antragsteller*innen: Annika Gerold, Sarah Jermutus

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