Über Straßenverkehr und Geschwindigkeit – Ein Plädoyer für weniger Tempo auf Berlins Straßen
Unser Alltag ist von Hast, Hektik, Geschwindigkeit geprägt. Das Resultat: Unachtsamkeit gegenüber den Mitmenschen, gegenüber der Umgebung stellt sich ein. Man ‚überholt sich selbst‘ – nicht nur im übertragenden Sinne und damit nimmt auch die Unfallgefahr zu.
Damit die Lebensqualität durch die hohe Geschwindigkeit nicht auf der Strecke bleibt, ist es wichtig ein angemessenes Tempo für alle zu finden. Gemeint sind damit auch Veränderungen in einem umfassenden Sinn: im Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit der uns umgebenden Natur. Denn insgesamt gilt es, die Lebensqualität im Stadtraum wieder zurückzuholen.
Im Rahmen der ökologisch orientierten Verkehrspolitik ist es daher ein Muss, Geschwindigkeit im Straßenverkehr insgesamt zu begrenzen. Dass Weitere 30-Zonen auf Stadtstraßen sind daher geboten. Erstens, um Verkehr weniger gefährlich für Menschen mit und ohne Rad zu machen. Und zweitens, um den Verkehrslärm zu verringern, der rund um große Straßen dauerhaft für Alltagsstress sorgt. Auch weitere Stadtautobahnen, wie die vom Senat geplante Trasse der A 100 mitten durch Wohngebiete in Friedrichshain-Kreuzberg, stehen einer Entschleunigung entgegen. Stattdessen ist ein sinnvoller Ausbau der Bundesstraßen gefordert, so dass der Verkehr schon alleine durch die Wahrnehmung des Nebeneinanders und Gegenübers wieder menschlicher werden kann.
Ein Motto kann dabei heißen: Reibung schafft Verlangsamung. Auf einer geradlinigen mehrspurig angelegten Straße treten Autofahrer oft ohne Nachzudenken auf das Gaspedal, während sie in einer schmalen Straße mit Gegenverkehr und unterschiedlich schnellen VerkehrsteilnehmerInnen automatisch vorsichtiger ihr Vehikel von A nach B lenken werden.
Zur Entschleunigung trägt besonders das Fahrradfahren in hohem Maße bei. Ein mit Muskelkraft betriebenes Fahrzeug beruht auf dem ‚menschliche Maß‘ – auch wenn junge Leute immer noch deutlich schneller fahren mögen als etwa eine ältere Person. Trotzdem: die Wahrnehmung von Angesicht zu Angesicht ist gegeben, die Anonymität wird reduziert.
Der Entscheid der Senatsverwaltung im Jahr 1995, vom Schlossplatz aus radial zwölf Radrouten anzulegen und diese mit acht Tangentialen ringförmig zu verbinden, hat mittlerweile ein Radfahrwegesystem in der Innenstadt entstehen lassen. Dennoch sind dazwischen weitere Radwege wichtig, um zu einem dichten Radwegenetz zu kommen.
Natürlich haben wir in Berlin schon einiges erreicht: Die Anzahl der Menschen, die Rad fahren wächst stetig. Laut Aussagen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat sich die Anzahl der NutzerInnen innerhalb von nur drei Jahren um 20 Prozent erhöht. Jeden Tag werden in Berlin durchschnittlich 1,2 Millionen Fahrten mit dem Fahrrad bewältigt. Laut Senats-Prognose soll sich bis zum Jahr 2050 die Quote auf 15 Prozent des Verkehrs steigern – anzustreben wären im Sinne weiter verbesserter Lebensqualität aber mindestens 30 Prozent.
Besonders im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind wir dabei auf einem guten Weg. Auch in diesem Jahr verbessern wir die Fahrradinfrastruktur deutlich (vgl. dazu den Text „Schritt für Schritt zu dem Radbezirk Berlins“ auf Seite XXX).
Doch auch bessere Radwege, mehr Fahrradstraßen und eine deutliche Verkehrsberuhigung in Nebenstraßen reichen nicht aus: Voraussetzung für eine Entschleunigung insgesamt ist, dass wir uns als VerkehrsteilnehmerInnen bewusst sind, dass Langsamkeit kein Selbstzweck ist, sondern als tatsächliche Steigerung der Lebensqualität im öffentlichen Stadtraum begriffen wird. Jutta Kalepky, Stadträtin für Umwelt und Verkehr – Bauen, Wohnen und Immobilienservice