Die Europawahlen 2019 stehen vor der Tür. Schon wieder Wahlkampf? Muss das sein?  Ist dieses Europa nicht unglaublich weit weg? Irgendwelche Politiker*innen, die fernab in Brüssel irgendwelche Entscheidungen treffen, die hier im Kiez ja niemand mehr versteht. Kennen Sie eigentlich ihre*n Europaabgeordneten? Und was hat sie*er in den letzten Jahren denn so gemacht? Keine Idee? Dann scheint dieses Europa ja vielleicht gar nicht so wichtig zu sein.D

Die EU in besorgniserregender Verfassung?

Natürlich gibt es genügend Kritik, die man an der EU – seither und bis heute – üben kann. Demokratiedefizite, Bürokratieauswüchse, ferne Entscheidungsprozesse, das alles sind auch keine neuen Baustellen, sondern werden auch im europäischen Politikbetrieb stets aufs Neue diskutiert. Nun beobachten wir den zunehmenden Rechtsruck und die Rückkehr zum Protektionismus. „Germany first“ ruft Seehofer und Kurz ruft „Austria first“. In Polen baut die PiS-Partei den Rechtsstaat um, scheinbar unbeeindruckt von den mahnenden Worten der Akteur*innen in der EU, und in Ungarn schränkt Ministerpräsident Orban, den Kommissionspräsident Juncker schon scherzhaft mit „the dictator“ begrüßte, die Pressefreiheit ein. In Deutschland wächst die AfD am rechten Rand und das nächste Europaparlament droht einen noch höheren Anteil als die bisher ca. 20 Prozent an rechtspopulistischen Parteien zu erhalten.

Alles ziemlich enttäuschend? Alles ziemlich hoffnungslos? Mag sein, dass gerade in der Europapolitik, wo so viele unterschiedliche Menschen, Kulturen, Länder und Gewohnheiten aufeinandertreffen, Politik eben nochmal schwieriger ist. Aber jetzt das Ende der EU herbei zu beschwören, wäre falsch.

Und dafür gibt es eine Menge guter Gründe, denn auch wenn es etwas abgedroschen klingt: Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Wohlstand konnten nach Jahrhunderten der Unruhe und zwei katastrophalen Weltkriegen diesen Kontinent einigen. Die europäischen Staaten arbeiten nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander in einer globalisierten Welt. Wir sind zusammengewachsen, können frei reisen, mit der gleichen Währung zahlen, einkaufen, arbeiten, studieren, lieben und leben überall in Europa. Für uns und vor allem die junge Generation eine Selbstverständlichkeit.

Erfolgsgeschichten

Es gibt in der europäischen Politik unzählige erfreuliche und begeisternde Geschichten zu entdecken – im Kleinen und im Großen. Im Europaparlament arbeiten die Abgeordneten viel öfter über Fraktions- und Ländergrenzen hinweg an gemeinsamen Themen – so gibt es beispielsweise im Europäischen Parlament sogar eine zwei Drittel Mehrheit für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Hier blockiert der Rat – also die Mitgliedstaaten. Die Bürger*innen in Europa sind auf die Straße gegangen gegen die Privatisierung von Trinkwasser und haben sich für unser Recht der Daseinsvorsorge Gehör verschafft – mit Wirkung. Europaweit haben hunderttausende gegen TTIP demonstriert und für einen fairen Handel. Europa bedeutet also nicht nur die Institutionen in Brüssel, sondern auch das Entstehen einer grenzüberschreitenden Zivilgesellschaft. Die EU spielt in unser aller Leben eine wichtige Rolle – auch hier im Kiez. Hohe Standards zum Umweltschutz und zur Luftreinheit kommen aus der EU. Die europäischen Vorgaben zu Anti-Diskriminierung, Datenschutz oder Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsplatz gehören zu den fortschrittlichsten weltweit. Außerdem: Mit Ihrer Stimme können Sie bei der Europawahl richtig was bewegen. Das Europaparlament ist schon lange kein schmückendes Beiwerk mehr, sondern ist in fast allen Bereichen zusammen mit dem Rat DAS Entscheidungsgremium. So hat das Parlament z.B. 2012 das Anti-Produktpiratierie-Abkommen ACTA nach massiven Protesten abgelehnt und danach verschwand es in der Papiertonne.

Unsere Zukunft ist europäisch

Und diese Erzählung kann endlos fortgeführt werden. Schätzungen zu Folge gibt es seit der Gründung des Erasmusprogramms, welches Studienaufenthalte in anderen Ländern ermöglicht und vereinfacht, mehr als eine Million sogenannter „Erasmusbabys“, die auf die Liebe (supported by EU) zurückzuführen sind. Das alles zeigt: Unsere Zukunft ist europäisch. Und wer es immer noch nicht glauben mag, dem legen wir eine Informationsfahrt nach Brüssel ans Herz (Wussten Sie, dass die meisten Europaabgeordneten dies ebenfalls anbieten?). Europas Herz schlägt, sehr lebendig, bunt, vielfältig, weltoffen und zukunftsgerichtet. Ja, es steht viel auf dem Spiel und auch die Ausgangslage vor der kommenden Europawahl mag nicht überall reine Zuversicht erkennen lassen. Aber genau deshalb müssen wir umso mehr zeigen, dass Europa mehr ist als ein Eliten-Projekt oder ein Wirtschaftsraum. Die EU geht uns alle an – und ja, auch wir Grüne wollen ein demokratischeres, sozialeres und gerechteres Europa. Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber einen, den es sich lohnt zu gehen.

Deshalb heißt es nicht nur für die proeuropäischen Parteien alles zu geben, sondern für jede*n von uns. Informieren, ins Gespräch kommen, mit Freund*innen Europa zum Thema machen, Europa im Alltag wahrnehmen und bewusst werden: Europa ist unsere Zukunft – und wir haben es in der Hand. Reclaim Europe!

Vasili Franco, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss

Anna Cavazzinni, Co-Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa der Grünen

Für den Stachel August 2018