Schwerpunktthema: Integration Halbherzige Schul-Reformen reichen nicht mehr aus, wir müssen in Berlin sehr eindeutig den Schwerpunkt auf die Unterstützung und Förderung von Familien und Kindern legen. Hier ist der Anfang der Kette, die sich weiter verfolgen lässt, bis hin zur Wirtschaft und in eine positive Zukunft dieser Stadt.
Wenn wir nicht so frühzeitig wie möglich die Potentiale unserer Kinder erkennen und fördern, dann sind alle später folgenden Hilfen und Maßnahme in erster Linie nur teuer! Jeder Euro, den wir anfangs dort nicht ausgeben, kostet diese Stadt im Späteren ein Vielfaches mehr! Daher ist es volkswirtschaftlicher Unsinn in der Frühförderung, Familienförderung und Bildung nicht den politischen und fi nanziellen Schwerpunkt zu setzen. Es geht aber auch um das beim Wort nehmen! Schauen wir uns die Absichtserklärungen von Rot-Rot an. Großartig wird mit der UN-Konvention zur Inklusion von Kindern mit Behinderung herum gewedelt. Worte! Die Taten sprechen eine andere Sprache! Viele Schulen haben gar kein Konzept für die Arbeit mit behinderten Kindern, ich habe Fälle erlebt, wo Kinder in Oberschulen einfach in fensterlosen Räumen einzeln beschult werden.
Ich habe völlig verzweifelte Eltern bei mir, die nicht die erforderlichen Schulhelferstunden für ihr Kind bekommen, weil nicht der Bedarf entscheidet, sondern die Kassenlage – es fehlen knapp zwei Millionen Euro!!! Ich bekomme unsere Ausgaben für die Behindertentransporte nicht basiskorrigiert, weil es keine Pfl ichtaufgabe ist und die Eltern es eben auch anders organisieren könnten! Aber wir müssen auch unseren Slogan: Bildung ist Integration überdenken. Wenn Kinder aus eingewanderten Familien trotz herausragender Bildungsabschlüsse keine adäquaten Jobs bekommen, weil sie eben „nur“ Migranten sind, dann haben wir ein zunehmendes Problem. Da ist es dann auch kein Wunder, dass insbesondere jüngere MigrantInnen darüber nachdenken, wieder in die Heimatländer ihrer Großeltern bzw. Eltern zurückzukehren. Obwohl wir seit über 40 Jahren ein faktisches Einwanderungsland sind, fühlen sich Migranten hier als unerwünscht! Daher erweitere ich unseren Slogan und sage, Integration ist Bildung! Wir haben nachweisbar die Erkenntnisse, dass Kinder und Eltern, die sich willkommen fühlen, die tatsächlich angenommen und respektiert werden, es wesentlich leichter haben zu lernen. Wenn ich von Politikern und Pädagogen Sätze über bildungsferne Schichten höre – meist sind Migranten gemeint – oder, dass Eltern sich endlich mal um ihre Kinder kümmern sollen, dann frage ich mich, wie viel Kenntnis über die Lebenssituation von Migranten ist da eigentlich vorhanden?!
Austausch mit türkischen Eltern
Ich bin mit vielen türkischen und arabischen Eltern in einem regelmäßigen Austausch über ihr Elternsein in Berlin. Und ich lerne sie kennen als Eltern, die wollen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen soll. Ich kenne kaum eine andere Bevölkerungsgruppe, die soviel Geld in die Hausaufgabenhilfe ihrer Kinder steckt, wie türkische Eltern. Ich erlebe Eltern, die an den PädagogInnen in Kitas und Schulen verzweifeln, weil sie nicht gesehen und respektiert werden. Die Diskriminierung in unseren Bildungseinrichtungen ist nach wie vor stark ausgeprägt.
Ich spreche mit Eltern, die mich fragen, warum man sie beschimpft, weil ihre Kind dies oder das noch immer nicht kann, wo doch das Kind von 8:00 bis 16:00 Uhr in den Händen von Fachleuten ist, warum kommen die Kinder – trotz Ganztagsschule – ohne Hausaufgaben nach Hause?!? Ich erlebe eine unglaubliche Ignoranz gegenüber Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund. Sie werden nicht off en aufgenommen, sie sind DAS Problem für eine Schule. In den Schulen sind kaum bis gar nicht die erforderliche Kompetenz und die notwendigen Ressourcen vorhanden, um mit Vielfalt umgehen zu können.
Die Institutionen scheitern an der Realität!
Die Lösung sind nicht „Deutschklassen“ oder Privatschulen für jene, die sich absetzen wollen. Dies ist lediglich – wenn auch verständlich – eine Individuallösung. Für die gesellschaftliche Entwicklung ist dies mehr als fatal! Weil es Parallelgesellschaften stärkt, weil die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern immer weiter aufgeht und wir zu viel Potential und zu viel Kompetenz, die wir dringend in Berlin brauchen nicht erkennen und uns damit verloren geht. Wir müssen alle Kinder und Familien mitnehmen, sonst wird es Berlin nicht in die von uns angestrebte Zukunft schaffen.
Daher ist es richtig, einen Masterplan Bildung zu entwickeln. Hier müssen wir unsere Antworten und Konzepte verknüpfen, die die Familienförderung und die frühkindliche Bildung bis hin zum Schulabschluss zu einem Weg in die Chancengleichheit weist. Auch wir müssen noch viel stärker begreifen, dass die Kinder mit Migrationshintergrund in den Kitas und Schulen KEINE Ausländer sind, sie haben in der Regel die deutsche Staatsbürgerschaft, sie sind wie ich in Berlin geboren, sie sind Berliner genau wie ich. Es sind unsere Kinder Integration ist keine Einbahnstraße. Die Familien und Kinder könnten sich wohl fühlen und hier ihre Heimat fühlen, wenn WIR dies auch endlich mal wollten, wenn es tatsächlich unser Wunsch wäre und wir sie willkommen heißen würden.
Integration ist das GEMEINSAME Gestalten unserer gesellschaftlichen Schnittmenge.
Monika Herrmann, Schulstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg