SA/071/IV

Schriftliche Anfrage

Hiermit beantworte ich Ihre Anfrage wie folgt:

1) Wie viele Menschen ohne Krankenversicherung wurden in den Jahren 2010 und 2011 im Vivantes Klinikum im Friedrichshain und im Vivantes Klinikum am Urban behandelt (bitte nach Geschlecht getrennt auflisten)?

2) Wie viele Menschen waren davon

a) Deutsche ohne Krankenversicherung

b) ohne gesicherten Aufenthaltsstatus

c) EU-BürgerInnen (bitte nach Ländern aufschlüsseln)

3) Welche Behandlungen wurden an den einzelnen Gruppen hauptsächlich durchgeführt?

4) Wie hoch waren in den betreffenden Jahren die Kosten, die durch die Behandlung von Menschen ohne Krankenversicherung verursacht worden sind (bitte sowohl die Gesamtzahl angeben als auch nach Kostenträger und Gruppen aus Frage 2 aufschlüsseln)?

5) Wie ist genau geregelt, wer die Kosten für die Behandlung übernimmt?

Zu 1.-5.

Die Fragen 1. bis 5. betreffen ausschließlich die im Bezirk befindlichen Klinika Am Urban und im Friedrichshain der Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH. Dem Gesundheitsamt liegen keine diesbezüglichen Daten vor. Das Gesundheitsamt hat eine entsprechende Bitte um Beantwortung der interessierenden Fragestellungen an die zuständigen Stellen von Vivantes gerichtet.

Eine Antwort liegt in Anbetracht der Kurzfristigkeit der schriftlichen Anfrage noch nicht vor. Erfolgt diese zu gg. Zeit, werden die Daten nachgereicht. Im Ergebnis ähnlicher Anfragen ist festzustellen, dass seitens Vivantes nur in begrenztem Umfang differenzierte Aussagen zu einzelnen Klinika, insbesondere differenziert nach Wohnort der Patientinnen und Patienten möglich sind.

6) Wie viele Anträge zur Kostenübernahme wurden dem Sozialamt Friedrichshain- Kreuzberg 2010 und 2011 gestellt?

Es wurden 35 Anträge auf Übernahme von Krankenhauskosten von Menschen mit Meldung im Bezirk gestellt. Ohne Meldung im Bezirk bzw. in Berlin stellen monatlich 5-10 Menschen Anträge auf Übernahme von Krankenhauskosten. Eine Statistik ist nicht geführt worden. Hinzu kommen zusätzlich mtl. ca. 10 Anträge auf Übernahme von Krankentransportkosten.

7) Wie viele wurden abgelehnt (bitte den Ablehnungsgrund angeben und nach Gruppen aus Frage 2 aufschlüsseln)?

Alle Anträge wurden abgelehnt. Die Begründung war entweder die Zuständigkeit des Jobcenters aufgrund der Erwerbsfähigkeit bzw. die im Rahmen der Gesundheitsreform stattgefundene Änderung ab dem 01.04.2007:

Seit der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zum 1.4.2007 (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung) dürfte niemand mehr ohne eine Absicherung im Krankheitsfall sein.

Die Versicherung besteht kraft Gesetzes und muss nicht beantragt, sondern lediglich angezeigt werden. (Anmerkung: Bei Privatversicherungen muss ein Antrag gestellt werden, es besteht jedoch Abschlusszwang). Wenn der Eindruck entsteht, dass BürgerInnen `ohne Krankenversicherung´ sind, dann kann das daran liegen, dass sich in Einzelfällen Betroffene aus Unkenntnis noch nicht an ihren früheren Krankenversicherer gewandt bzw. ihr Wahlrecht genutzt haben. In manchen Fällen ist ein Beitragsrückstand entstanden und die Krankenkassen vermitteln mitunter, dass die Versicherung nicht besteht, solange der Rückstand nicht ausgeglichen ist. Die Betroffenen können jedoch einen Antrag auf Stundung oder Erlass stellen.

Es gibt aber einen Personenkreis, der tatsächlich über keine Absicherung im Krankheitsfall verfügt. Dies sind EU-BürgerInnen, die einreisen und die sich hier aufhalten, ohne einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und SGB XII zu haben und die nicht selbst Beiträge für eine Krankenversicherung zahlen (können). Sie halten sich in der Regel ohne landeseinwohneramtliche Meldung hier auf. In diesen Fällen entstehen Krankenhauskosten nur, wenn jemand unabweisbar und unaufschiebbar (Gefahr für Gesundheit und Leben) in einem Krankenhaus behandelt werden muss.

In der Regel werden die Patienten entlassen oder verlassen selbst das Krankenhaus, ohne dass die genauen Lebensumstände einschließlich der finanziellen Verhältnisse ausreichend aufgeklärt werden konnten. Auch im Nachhinein ist dies aufgrund der fehlenden Anschrift nicht möglich. 2010 und 2011 war dies in allen Fällen so, alle Anträge wurden abgelehnt. Die Kosten waren für die Krankenhäuser `uneinbringbare Forderungen´ und beeinflussten das Betriebsergebnis negativ.

Grundsätzlich gilt Folgendes: Falls eine vorrangige Krankenversicherung nicht besteht, werden die Kosten einer Behandlung übernommen, wenn das Krankenhaus als sog. `Nothelfer´ i.S. des § 25 SGB XII eine Leistung erbracht hat, die ein zuständiger Leistungsträger bei rechtzeitiger Kenntnis hätte erbringen müssen (als Krankenhilfe gem. § 48 SGB XII). Das bedeutet, es müssen die persönlichen und finanziellen Verhältnisse offen gelegt werden und es muss eine mögliche Hilfebedürftigkeit überprüft werden können. Sollte dies nicht möglich sein, was bei Personen ohne Meldung in der Regel der Fall ist, geht dies zu Lasten des Nothelfers.

Grundsätzlich ergibt sich die weitere Schwierigkeit daraus, dass diese EU-BügerInnen die im Freizügigkeitsgesetz genannten Voraussetzungen nicht erfüllen (eigenständige Sicherstellung des Lebensunterhalts einschließlich des Krankenversicherungsschutzes) und sich daher nicht rechtmäßig im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes hier aufhalten.

Sie können oder wollen in der Regel Einkünfte nicht nachweisen und es kann nicht überprüft oder nicht glaubhaft gemacht werden, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Zuständigkeit für Personen ohne Meldung ergibt sich aus der AV-Zuständigkeit, Friedrichshain-Kreuzberg ist für alle im Februar Geborenen zuständig (vor dem 1.5.2012 für vom 5.3. – 5.4. Geborene, seit dem 01.05.2012 der Buchstabe B für den Geburtsmonat Februar).

Dies bedeutet, dass nicht für alle in den Vivantes Krankenhäusern Friedrichshain und Urban behandelte Personen auch unser Bezirk zuständig war. Seitdem mit den Krankenhäusern vereinbart wurde, dass dort soweit wie möglich formelle Sozialhilfeanträge aufgenommen werden und die zur Prüfung der Anträge durch die Sozialämter Kleine Anfrage Antwort vom 06.09.2012 erforderlichen Fragen gestellt werden, kann es in wenigen Fällen auch zu Bewilligungen einer Krankenhilfe kommen.

Soweit Aufzeichnungen geführt worden sind, wurden die Ablehnungen für folgenden Personenkreis ausgesprochen:

a) Deutsche ohne Krankenversicherung: 9

b) Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus: 0

c) EU-Bürgerinnen:

England: 1

Spanien: 1

Polen: 4

Rumänien: 1

d) Sonstige:

Jugoslawien: 1

Vietnam: 1

Libanon: 3

Russland: 3

Türkei: 9

Irak: 2

Bei den Menschen ohne Meldung in Berlin sind überwiegend Personen aus Polen, Rumänen und Bulgaren betroffen.

8) Inwieweit bietet das Bezirksamt selber oder durch Finanzierung Dritter ein Beratungsangebot für BewohnerInnen des Bezirkes die keine Krankenversicherung haben und unterstützt sie bei der Erlangung einer Krankenversicherung?

Das Bezirksamt bietet weder durch Eigenfinanzierung noch durch Finanzierung Dritter ein besonderes Beratungsangebot an. Die Unterstützung der Erlangung einer Krankenversicherung ist nicht Aufgabe des Bezirksamtes, dafür gibt es weder personelle noch finanzielle Ressourcen.

Menschen, die sich an das Sozialamt wenden, werden von den MitarbeiterInnen u.a. auch zu Fragen des Krankenversicherungsschutzes beraten. Das Sozialamt unterstützt darüber hinaus durch Zuwendungen freie Träger, die auch Sozialberatungen anbieten. Diese Beratungen stehen allen Menschen offen. Zum Teil gibt es dort auch Kooperationen mit AnwältInnnen. Beispielhaft kann das `Bayouma- Haus´(Interkulturelle Begegnungsstätte in Friedrichshain- Kreuzberg) genannt werden, dass in seinen Sachberichten regelmäßig auch die Beratungen im Hinblick auf einen Krankenversicherungsschutz für EU-Bürger benennt.

Hier wird vorrangig folgender Personenkreis beraten:

? EU-Bürger – meist aus Spanien und Italien ? Selbständige Deutsche, die ihre Beiträge nicht eingezahlt haben

? Zugezogene Menschen, die die Krankenversicherungspflicht nicht kannten

? Menschen, die weder Ansprüche auf SGB II – noch SGB XII-Leistungen haben und die Beiträge daher nicht bezahlen können – hier vorrangig Menschen aus Bulgarien bzw. manchmal aus Rumänien. Meist betrifft es ältere Menschen.

Aufgrund seiner subsidiären und sozialkompensatorischen Ausrichtung wird auch das Gesundheitsamt verstärkt von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz aufgesucht. Das betrifft vorrangig das überregional zuständige Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung. Neben nicht krankenversicherten Deutschen handelt es sich dabei um Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten sowie um EU-Bürgerinnen/-Bürger ohne Krankenversicherungsschutz.

Leistungen für diese Klientel werden dabei primär im Rahmen von

? Beratungen, Untersuchungen und ggfs. Behandlung zur sexuellen Gesundheit / HIV (einschließlich der aufsuchenden Sozialarbeit in Bordellen und Orten der Prostitution),

? medizinisch-gynäkologischen Beratungen und Untersuchungen zur Familienplanung sowie Schwangerschaftsvorsorgen entsprechend der Mutterschaftsrichtlinien,

? sozialpädagogischen Beratungen und der Betreuung von nicht krankenversicherten Schwangeren und ihren Partnern,

? Schwangerschaftskonfliktberatungen nach §218 ff StGB,

? psychologischen Beratungen in Krisensituationen und bei Partnerschaftskonflikten angeboten.

EU-Bürgerinnen und -Bürger, hier insbesondere aus den Ländern Rumänien und Bulgarien, bilden die zahlenmäßig größte Gruppe der nicht krankenversicherten Klientinnen und Klienten des Gesundheitsamts. Sie werden durch die Sozialarbeiterinnen des Zentrums regelmäßig hinsichtlich der Möglichkeiten aufgrund einer bestehenden Krankenversicherung im Herkunftsland bzw. des Zugangs in eine hiesige Krankenversicherung beraten und ggfs. bei ihren Aktivitäten unterstützt.

Die Sozialarbeiterinnen des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes treffen im Rahmen ihrer Erst-Hausbesuche bei Familien mit Neugeborenen oder aufgrund von Zuzugsmeldungen immer wieder auf Menschen ohne Krankenversicherung. Diese Familien werden von den Sozialarbeiterinnen beraten, manchmal auch über einen längeren Zeitraum betreut und, wenn erforderlich, an andere Stellen vermittelt. Allerdings besteht nur in ganz wenigen Fällen die Möglichkeit, zu einer Krankenversicherung zu verhelfen. Zumeist kommen nicht versicherte Familien aus Bulgarien und Rumänien und haben in der Regel keinen Anspruch, von einer gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Monika Herrmann

Fragesteller: Jonas Schemmel

Bündnis 90/Die Grünen