Schluss mit dem Einheitslook: Immer öfter heben sich Wahlplakate mit Aquarell, Acryl und Comics von der Konkurrenz ab. Ein Artikel aus dem Tagesspiegel von LARS VON THÖRNE.
Heinz Buschkowsky hat die Bodenhaftung verloren. Im Stil des vom Bölkstoff beseelten Blödel-Rockers Werner auf seinem „Red-Porsche-Killer“ fliegt der Neuköllner Bürgermeister auf einem blauen Motorrad über den Asphalt, darüber steht der Spruch: „Wo Neukölln ist, ist vorne.“ New York, Paris und London lässt er in einer Staubwolke hinter sich, sein Ziel: „Neukölln, Hauptstadt Berlins“. Seit kurzem wirbt dieses ungewöhnliche Plakat, gezeichnet von Designer Heimo Brandt, quer durch Neukölln für Buschkowsky, der am 18. September als Bürgermeister wiedergewählt werden will. Statt auf Fotos wie fast alle anderen Kandidaten setzt Buschkowsky auf den visuellen Überraschungseffekt.
Damit ist er nicht alleine. Eine Handvoll Plakate ragen im Wahlkampf aus der Masse der Fotoposter hervor, weil sie gezeichnet oder gemalt sind. Vor allem bei Bündnis 90 / Die Grünen. Die werben in Pankow mit aquarellierten Alltagsszenen von jungen Radfahrerinnen oder einer Seniorin mit einem spielenden Kind, die stilistisch zwischen naiver Malerei und Retro-Look im Stil der 1920er Jahre schwanken. „Wir wollten auffallen – und wir wollten das leichte, vielfältige Lebensgefühl in Prenzlauer Berg wiedergeben, dieses Laissez-Faire“, sagt der Grünen-Bürgermeisterkandidat Jens-Holger Kirchner. Also griff seine künstlerisch begabte Wahlkampfmanagerin Skadi Zastrow zum Pinsel und illustrierte einige der Grünen-Themen wie die umweltfreundliche Mobilität oder die Barrierefreiheit für Menschen aller Generationen.
Die Grünen-Kandidatin in Kreuzberg, Heidi Kosche, setzt im Wahlkampf schon zum zweiten Mal auf Acryl: Sie hat sich erneut von der Künstlerin Ziska Riemann malen lassen. Die ist derzeit vor allem als Regisseurin bekannt, derzeit läuft ihr Film „Lollipop Monster“ im Kino. Riemann hat Kosche als strahlende Kämpferin in Poseidon-Pose verewigt, die vor der Kulisse des Kreuzberger Wasserfalls sitzt und auf einem Dreizack die Verträge zur Privatisierung der Wasserbetriebe aufspießt – Anspielung auf Kosches erfolgreichen Kampf zur Offenlegung dieser Verträge.
„Ich wollte eine Geschichte erzählen“, sagt Kosche. 2006 wurde sie mit einem gemalten Plakat ins Abgeordnetenhaus gewählt, dass sie als Kämpferin gegen die Privatisierung der Wasserversorgung zeigte. Das neue Plakat soll zeigen: „Ich habe die erste Etappe geschafft.“ Dass ihr Plakat ankommt, sieht sie auch daran, dass immer wieder welche gestohlen werden – während die Foto-Poster, mit denen sie ebenfalls wirbt, unangetastet bleiben. Ähnlich ging es in den vergangenen Bundestagswahlkämpfen ihrem Parteifreund Christian Ströbele, dessen Kampagne Kosche organisierte und über den sie die Idee zum Kunst-Wahlkampf bekam: Der hatte sich von Gerhard Seyfried als Comicfigur zeichnen lassen, die Poster wurden zu Sammlerobjekten.
Auch die Bergpartei, die mit dadaistischen Nonsens-Parolen den Wahlkampf persifliert, nutzt selbst gebastelte Bilder und Collagen, um Sprüche wie „Wunder ohne Wirtschaft“ zu illustrieren – wobei im Falle dieser Partei wohl nicht nur die Poster, sondern ihr Auftreten primär als Inszenierung zu verstehen sind. Plakate wie die der Grünen und von Buschkowsky heben sich vom immergleichen Einheitslook ab, dürften aber manchem Wähler auch zu unkonventionell erscheinen. Ob sie den Kandidaten wirklich helfen? Das hängt vom Image des Politikers und von seinem Wahlkreis ab, sagt Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder, der sich an der Freien Universität mit Wahlkämpfen beschäftigt. „Bei Klaus Wowereit, der sehr auf sein Image als Elder Statesman setzt, würde ein Comic-Bild nicht passen – aber bei Heinz Buschkowsky, der das Image des netten Rabauken hat und Herz mit Schnauze verbindet, kann das zusätzliche positive Aufmerksamkeit erzeugen.“ Und wenn Grünen-Kandidaten wie Kosche oder Kirchner auf unkonventionelle Ästhetik setzen, passe das ebenfalls. „So etwas kann bei einem Grünen-Kandidaten in einem Bezirk wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg hip und jung wirken – während es für einen CDU-Kandidaten in Steglitz-Zehlendorf ein Fiasko wäre“, sagt Koschmieder.
Buschkowsky selbst sagt, er wollte vor allem „mal etwas anderes als die langweiligen Wahlplakate machen, die man sonst so sieht“. Sein Comic-Poster, so findet er, „hat Witz und trifft ins Schwarze“. Und zu dem Slogan, mit dem er schon länger für seinen Bezirk wirbt, sagt er: „Wo Neukölln ist, ist vorne – und sollten wir doch mal hinten sein, ist eben hinten vorne.“