Soziale Stadtentwicklung braucht Steuerungsinstrumente! Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) hat dazu einen offenen Brief an Regierenden Bürgermeister und Senat verfasst.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrte Mitglieder des Berliner Senats,
anlässlich der Debatte in unserer Stadt über die Entwicklung des Berliner Wohnungsmarkts, steigende Mieten und die Angst vor sozialer Verdrängung, wende ich mich heute in Form eines offenen Briefes an Sie.
Viele Berlinerinnen und Berliner treibt die Sorge vor steigenden Wohnkosten um. Etliche befürchten, weitere Mietsteigerungen nicht mehr tragen zu können und das angestammte Wohnumfeld verlassen zu müssen. Entsprechende Ängste sind berechtigt. Auch wenn das Berliner Mietniveau dem nationalen und internationalen Vergleich hinterherhinkt, stellen anziehende Nettomieten und explodierende Mietnebenkosten viele Bewohner unserer Stadt vor existenzielle Probleme.
Exemplarisch dafür ist die Situation im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Hier ist die Bevölkerungsdichte eine der höchsten in ganz Europa. Gleichzeitig gehört das Durchschnittseinkommen zum niedrigsten im gesamten Bundesgebiet. Studien zeigen, dass bereits heute ein erheblicher Anteil des Einkommens für Wohnen verausgabt werden muss, Tendenz steigend. Der aktuelle Mietspiegel zeugt von einer teilweise dramatisch Entwicklung der ortsüblichen Mieten. Dem Berliner Mieterverein zufolge kommt es zu Mietsprüngen von 50 Prozent und mehr bei einem Mieterwechsel. Schätzungen privater Immobilienunternehmer gehen davon aus, dass sich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahre die Mieten in Kreuzberg verdoppeln könnten. Untersuchungen, die der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Auftrag gegeben hat, bestätigen: In einzelnen Quartieren wird bezahlbarer Wohnraum für Geringverdienende knapp. Der Zuzug finanzstarker Einwohner korrespondiert mancherorts mit der Verdrängung von Alteingesessenen, deren Einkommen im Schnitt ein Drittel unterhalb dem der Neumieter liegt.
Angesichts dieser Entwicklung muss meines Erachtens eine sehr grundsätzliche Frage sozialer Stadtentwicklung neu beantwortet werden: Wie bewahren wir gesellschaftlichen Zusammenhalt und verhindern zunehmende soziale Segregation?
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen, eine soziale Stadtentwicklung zu befördern und die anhaltende Steigerung von Wohnkosten zu begrenzen. Der Milieuschutz aber auch die Sanierungsgebiete dienten und dienen dem Ziel, die Modernisierung von Wohnungen in den Stadtteilen sozial verträglich zu gestalten. Doch damit sind die Mittel und Möglichkeiten der Berliner Bezirke, Veränderungsprozesse zu verhindern, weitgehend erschöpft. Das bundesdeutsche Mietrecht und die aktuelle Rechtssprechung, die z.B. Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten für unzulässig erklärt hat, lassen wenig politischen Spielraum. Soziale Stadtentwicklung braucht aber Steuerungsinstrumente, wenn sie sozialer Verdrängung und Segregation entgegenwirken will.
Konkret geht es mir um Veränderungen in folgenden Bereichen:
1. Neuvermietungen
Die aktuellen Mieterhebungen für Berlin, aber auch unsere Untersuchungen bestätigen, dass der größte Beitrag zu ungebremsten Mietsteigerungen bei Neuvermietungen zustande kommt. Aus meiner Sicht wäre dringend geboten, Mieterhöhungen bei Neuvermietung generell nur bis zum Mittelwert des jeweiligen Mietspiegels zuzulassen.
2. Mietsteigerungen ohne Wohnverbesserungswert
Die letzte Mietrechtsreform hat für diesen Fall die Möglichkeit einer Mieterhöhung auf 20 % innerhalb von 3 Jahren begrenzt. Im Ergebnis zeigt auch diese Regelung, dass sie für einkommensschwache Haushalte zu unverträglichen Mieten führt. Aus meiner Sicht wäre sinnvoll, diese Mieterhöhung an die durchschnittliche Inflationsrate zu koppeln. Das würde bedeuten, innerhalb von 3 Jahren eine zulässige Mieterhöhung von ca. 6 % bis 9 %.
3. Mietsteigerungen durch Modernisierung
Nach gegenwärtigem Mietrecht ist eine Umlage von 11 % der Modernisierungskosten zulässig. Die Umlegung dieser Kosten führt zu erheblichen Mietsteigerungen, die dauerhaft vom Mieter zu tragen sind. Aus meiner Sicht wäre es notwendig, diese paradoxe Situation für den Mieter zu ändern, in dem der Zeitraum für die Umlage der Modernisierungskosten auf den Abschreibungszeitraum der Modernisierung begrenzt wird.
4. Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten
Nach aktueller Rechtssprechung dürfen zur Sicherung sozialer Sanierungsziele, insbesondere zum Schutz vor Verdrängung, in den Sanierungsgebieten keine Mietobergrenzen verlangt werden. Im Wesentlichen wurde dies damit begründet, dass die gegenwärtige Fassung des Baugesetzbuches dies nicht zulasse. Aus meiner Sicht wäre es erforderlich und relativ einfach möglich, durch eine entsprechende Ergänzung des Baugesetzbuches wieder Mietobergrenzen rechtlich möglich zu machen.
5. Milieuschutzsatzungen
Diese auf dem Baugesetzbuch basierenden Satzungen sollen dazu dienen, die Zusammensetzung der Bevölkerung zu schützen, insbesondere vor den Auswirkungen von Modernisierungen. In der Vergangenheit wurden die Möglichkeiten dieses Instrumentes durch Rechtssprechung, aber auch durch „Liberalisierungsentscheidungen“ des Gesetzgebers erheblich zuungunsten der (einkommensschwachen) Mieter eingeschränkt. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, das Baugesetzbuch zu ändern und klar zu stellen, dass in Milieuschutzgebieten eine Mietobergrenze festgesetzt werden kann, die von einer maximalen durchschnittlichen Mietbelastung von 25 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausgeht.
Ich appelliere deshalb an Sie als Vertreter des Berliner Senats, eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Franz Schulz