Lange war unklar, ob das MyFest rund um die Oranienstraße in diesem Jahr überhaupt stattfinden wird. Der Stachel hat sich nun mit unserer Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann vier Wochen vor dem 1. Mai 2016 getroffen um nachzufragen, wie sie als Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg die Situation im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai und des MyFestes einschätzt.

Stachel: Monika, wenn dieses Interview erscheinen wird, wird das diesjährige MyFest laufen bzw. gelaufen sein oder eben auch nicht. Was war in diesem Jahr anders als in den letzten 13 Jahren?

 

Monika: Anders ist im Grunde die Gesamtkonstruktion. Das MyFest ist entstanden als Gegenbewegung der Anwohner*innen zu den bis dahin jährlich stattfindenden „Maifestspielen“, wo sich Autonome und Jugendliche mit der Polizei regelmäßige Straßenschlachten geliefert hatten. Was zu Folge hatte, dass Autos brannten, Fensterscheiben eingeschlagen wurden…. Was besonders bei den Anwohner*innen heftigen Unmut auslöste, weil so ihr Kiez regelmäßig verwüstet wurde.

Zur Jahrtausendwende kam Prof. Dr. Dr. Grottian vom Otto-Suhr-Institut auf den Bezirk zu um mit der damaligen Bezirksbürgermeisterin Conny Reinauer eine Strategie zur Repolitisierung des 1. Mai in Kreuzberg zu diskutieren. In der Folge wurde das MyFest erfunden. Gemeinsam mit den Anwohner*innen und Gewerbetreibenden des Kiezes sowie dem damaligen Innensenator Ehrhart Körting und dem damaligen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch wurde das Konzept einer politischen Veranstaltung in einem definierten Festgebiet verabredet. Das besondere war nicht nur, dass es ein von den Anwohner*innen getragenes Fest war, sondern dass im Vorfeld eine Deeskalationsstrategie umgesetzt wurde.

 

Stachel: Wie sah die konkret aus?

 

Monika: In den Jugendeinrichtungen wurde mit den Jugendlichen über die Vermeidung von Gewalt diskutiert. Ebenso in den Schulen. Diese Jugendlichen wurden dann auf dem Fest nach einer kleinen Qualifikation durch einen Sicherheitsdienst als Ordner eingesetzt. Die Polizei selber hielt sich im Festgebiet während des Festes mit ihrer Präsenz deutlich zurück und schickte auf das Fest ausschließlich Präventions- und Deeskalationsteams. Eine kiezsensible Securityfirma unterstützte die Veranstalter. Es wurden im Vorfeld intensive Gespräche mit Autonomen und Antifa bezüglich der 18.00 Uhr-Demo geführt. Auch hier mit dem Ziel einer Deeskalation. Die Anwohner*innen selber hatten die Möglichkeit über Imbissstände die Festbesucher zu versorgen und so selbst Teil des Festes zu sein. Die Bühnen wurden von Leuten, Künstler*innen und Inis aus dem Kiez organisiert. Für die Jugendlichen wurden noch zusätzlich besondere jugendspezifische Angebote entwickelt, beispielsweise die „Jugendstraße“. Das Ergebnis war, ein ganzer Kiez feierte zusammen und setzte damit ein gemeinsames Zeichen gegen Gewalt am ersten Mai in Kreuzberg.

 

Stachel: Und nun?

 

Monika: Dieses Konzept ist durch die Intervention des Innensenators verlassen worden, indem er die bis dahin gut funktionierende Kooperation mit der Polizei einseitig aufgekündigt hat. Was für uns anderen, die bislang das Fest getragen hatten, völlig überraschend kam.

 

Stachel: Monika, aber Du hast Dich doch selbst ich nach dem MyFest 2015 sehr kritisch geäußert und gesagt, so könne das nicht weitergehen.

 

Monika: Stimmt. Habe ich. Einerseits ist das Konzept des MyFestes, als Anwohner*innen den Kiez am 1. Mai für sich zurück zu erobern durchaus aufgegangen. Andererseits mussten wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich dieses Fest zunehmender Beliebtheit auch außerhalb unseres Bezirks erfreute. Unterstützt unter anderem dadurch, dass das MyFest offensiv weltweit als Partyevent beworben wurde. So wurde aus einem kleinen politischen Kiezfest ein Riesenspektakel. So dass spätestens 2015 deutlich geworden ist, dass das Fest in dieser Form nichts mehr mit der ursprünglichen Idee gemein hatte.

 

Stachel: Man könnte also sagen, dass es da schon Befürchtungen gab, das MyFest könne quasi am eigenen Erfolg ersticken?

 

Monika: Ja. Was einerseits bei der Sicherheitsfrage mehr als deutlich wurde. Und andererseits auch die Frage nach dem politischen Charakter wieder verstärkt aufwarf. Das Ziel war eben nicht ein Sauffest zu veranstalten, sondern eine politische Maifestveranstaltung zu organisieren. Und am 2. Mai 2015 war uns allen klar, dass wir wieder zurück zu den Wurzeln müssen. Das wiederum hört sich leichter an als getan. Denn Hunderttausende kamen am 1. Mai 2015 nach SO 36. Ganz SO 36 war eine einzige Party. Selbst die traditionellen Demos erstickten in der Menschenmasse. Und wenn man ehrlich ist, hatten wir 2014 und 2015 wahnsinniges Glück, dass niemanden etwas passiert ist. Und ich musste mir nicht erst die Bilder aus Duisburg vor Augen führen um zu wissen, dass wir dringend umsteuern mussten. Darin waren sich alle Kooperationspartner, die das MyFest in den letzten Jahren organisiert hatten, einig. Als Bezirk haben wir unmittelbar danach angefangen, uns über einen andere Festchoreographie und ein anderes Sicherheitskonzept Gedanken zu machen.

 

Stachel: Doch darum ging es in der Diskussion der letzten Monate dann ja plötzlich gar nicht mehr. Da stand doch nur noch die Frage im Raum, ist das noch eine politische Veranstaltung oder nicht? Und wenn nicht, wer ist dann in Zukunft der verantwortliche Veranstalter der Riesenparty?

 

Monika: Ja. Schon damals irritierte uns eine zunehmende Zurückhaltung der Polizei in dieser Frage. Im Juni 2015 haben wir, wie all die Jahre zuvor, als Bezirk für den 1. Mai 2016 eine politische Veranstaltung bei der Versammlungsbehörde, die dem Innensenator untersteht, angemeldet. Es hat verschiedene Gespräche mit den Fraktionen der BVV gegeben, verschiedene Gespräche mit den Mitveranstaltern über das politische Setting. Was ausblieb war die Mitteilung der Versammlungsbehörde, dass wir das MyFest wie gehabt durchführen können. Auf diese Antwort warten wir bis heute. Denn offiziell haben wir, trotz mehrfacher Nachfragen, keine Antwort auf unsere Anmeldung bekommen. Stattdessen mussten wir im Spätsommer einer Zeitung entnehmen, dass Herr Henkel das MyFest als politische Veranstaltung nicht mehr akzeptiert.

 

Stachel: Und dann ?

 

Monika: Er forderte uns auf, ein „ordinäres“ Straßenfest zu veranstalten. Wohl wissend, dass der Bezirk dies rechtlich und vor allem versicherungstechnisch nicht hätte durchführen können. Was er mir übrigens bei einem gemeinsamen Gespräch lachend selber bestätigt hat. Die Polizei kündigte die bisher funktionierende Zusammenarbeit auf. Der Versuch, einen professionellen Straßenfestveranstalter zu finden, scheiterte und wäre auch weit entfernt gewesen von dem politischen Grundgedanken, ganz abgesehen davon, dass dies im Kiez auch nie akzeptiert worden wäre. Der Innensenator weigerte sich aber weiterhin, unsere Anmeldung als Bezirk zu akzeptieren, was zu Folge hatte, dass der Bezirk als Veranstalter komplett raus ist.

 

Stachel: Das heißt, das Fest stand also noch wenige Wochen vor dem 1. Mai quasi vor dem Aus, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben hätten?

 

Monika: Deswegen erklärten sich nun Teile der MyFest-Crew bereit, eigenständig ein MyFest anzumelden, sollte dieses als politische Versammlung genehmigt werden.

Und siehe da: nun stellte der Innensenator dann plötzlich doch fest, dass es sich bei dem MyFest in Kreuzberg um eine politische Versammlung handelt und akzeptierte die Anmeldung. Allerdings stellte er Bedingungen: Es gibt kein zusammenhängendes Festgebiet wie bisher. Stattdessen gibt es drei Versammlungsinseln. Innerhalb dieser Versammlungsinseln stehen die Bühnen und eine deutlich reduzierte Anzahl von Ständen.

 

Stachel: Und das MyFest mutiert wie durch Zauberhand von einem Massenevent plötzlich zurück zu ein kleines kuscheliges Kiezfest von Anwohner*innen für Anwohner*innen? Gibt es denn ein anderes Sicherheitskonzept als in den vergangenen Jahren?

 

Monika: Die bewährte Zusammenarbeit mit dem kieznahen Sicherheitsdienst kann aus rechtlichen Gründen nicht mehr stattfinden, da bei einer Versammlung nur die Polizei und lediglich Ordner eingesetzt werden dürfen. Durch unsere spezielle rechtliche Konstruktion in den Vorjahren hatten wir die Möglichkeit, die Sicherheit im Festgebiet durch einen von uns beauftragten Sicherheitsdienst zu gewährleisten und die Präsenz der Polizei im Festgebiet selbst auf das erforderliche Minimum zu beschränken. Was ein wichtiges Moment der gemeinsamen Deeskalationstrategie war. Nun ist die Polizei auf dem gesamten Gebiet für die Sicherheit zuständig.

 

Stachel: Das hört sich nicht an, als hätte Henkel seiner Polizei damit einen Gefallen getan?

 

Monika: Das MyFest allein garantiert noch lange nicht einen friedlichen 1. Mai in Friedrichshain-Kreuzberg. Auch das Drumherum muss man im Blick haben. So macht mir die fortwährende Eskalation des Innensenators im Friedrichshainer Nordkiez Sorgen. Auch hier wünschte ich mir deutlich mehr Fingerspitzengefühl von Innensenator und Polizeipräsidenten. Wir jedenfalls in Friedrichshain-Kreuzberg wünschen uns einen friedlichen und zugleich revolutionären 1. Mai für 2016 und 2017 und 2018 und ….

 

Das Interview führten Werner Heck und Christian Könneke