Gleich drei sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen kraftvolle Frauen erobern nun in unserem Bezirk ein weiteres Stück des öffentlichen Raums: Zwei Straßen und ein Platz werden zukünftig an Inge Meysel, Anita Berber und Audre Lorde erinnern.

Zunächst wird Inge Meysel nach Friedrichshain zurückkehren und der „Straße ohne Namen“ zwischen Rüdersdorfer Straße, Franz-Mehring-Platz, Straße der Pariser Kommune, Lange Straße und Koppenstraße ihren Namen geben. Was nur wenigen Menschen bekannt ist: Die als „Mutter der Nation“ bekannte und vor allem mit Hamburg assoziierte Volksschauspielerin, wurde 1910 in Rixdorf (heute Neukölln) geboren, zog aber schon 1914 mit ihrer Familie in die Kadiner Straße 2 nach Friedrichshain, wo sie bis 1925 ihre Jugend verbrachte. Hier war ihre Schule (heute die Ludwig-Hoffmann-Grundschule in der Lasdehner Straße 21-23). Hier wurde der Grundstein ihrer späteren großen Schauspielkarriere gelegt: mit Vorstellungen im Rose-Theater und Ballettunterricht am Strausberger Platz. Im Arbeiterbezirk Friedrichshain wurde Inge Meysel auch politisiert. So beendete sie 1925 die Beziehung zu ihrer ersten Liebe „aus politischen Gründen“, weil der Zahnarztsohn deutschnational eingestellt war und das Banner der Republikfeinde trug. Als „Halbjüdin“ von den Nazis mit Auftrittsverboten belegt, ließ sich Inge Meysel 1936 in der Friedrichshainer Lazaruskirche taufen, um sich und ihren Vater zu schützen. Sie engagierte sich zeitlebens für die Frauenbewegung, insbesondere für die Abschaffung des §218, die Rechte von Homosexuellen, den Kampf gegen AIDS und für ein humanes Sterben. Anfang der 80er Jahre war Inge Meysel Teil einer Initiative prominenter Personen, die sich gegen die Räumung besetzter Häuser stellte und die Patenschaft für ein solches in Kreuzberg übernahm. Im Jahr 2019, 15 Jahre nach ihrem Tod 2004, hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen, Inge Meysel durch die Benennung einer Straße zu ehren. Dies wird nun umgesetzt.

Die Idee, eine Straße oder einen Platz in Xhain nach Anita Berber zu benennen gab es schon länger. Was bislang fehlte, war die Idee, welche Straße oder welcher Platz denn passend wäre. Naheliegend wäre ein Ort in der Nähe des Kreuzberger Teils der Friedrichstraße gewesen, in deren Umgebung Anita Berber etwa im Apollo-Theater oder in Kabaretts wie der Weißen Maus mit ihren „Tänzen des Lasters“ für Furore sorgte. Oder in der Nähe des Bethaniens, damals noch nicht Kunstquartier sondern Krankenhaus, wo sie am 10. November 1828 im Alter von nur 29 Jahren verstarb. Doch nun wird es ein von privaten Investor*innen neu geschaffener Platz in Friedrichshain werden, und zwar im von der Max und Moritz Quartier Friedrichshain GmbH geplanten Quartier rund um die beiden „Max und Moritz“ genannten und im Bau befindlichen Hochhäuser an der Marianne-von Rantzau-Straße. Die Investor*innen folgen damit einem Beschluss der BVV aus dem Jahr 2017, auch Privatstraßen und Plätze nach queeren, transgender, intersexuellen Persönlichkeiten oder insbesondere lesbischen oder bisexuellen Frauen zu benennen, nachdem die bezirkliche Gedenktafelkommission einstimmig für den Vorschlag Anita Berber gestimmt hatte.

Am 4. Mai wird dann im Rahmen einer digitalen Beteiligungsveranstaltung auch endlich die (Vor-) Entscheidung fallen, welche Straße nach Audre Lorde benannt werden wird. Die BVV hatte im Februar 2019 beschlossen, eine Straße nach der afro-amerikanischen Dichterin und Bürgerrechtlerin Audre Lorde zu benennen. Die preisgekrönte Schwarze, lesbische US-amerikanische Dichterin Audre Lorde (1934-1992) hielt sich bis 1992 oft in Kreuzberg auf, wo sie sich für afro-deutsche Frauen und deren Sichtbarkeit engagierte und sich mit der feministischen Bewegung auseinandersetzte. Sie hatte somit einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland. Gleichzeitig forderte sie weiße Frauen immer wieder dazu auf, Differenzen zu akzeptieren und ihre Privilegien konstruktiv zu nutzen. Damit hinterließ sie auch einen nachhaltigen Einfluss auf akademische Diskussionen. Ihr Werk inspiriert bis heute feministische, queere, lesbische, Schwarze und Women-of-Color-Bewegungen in ihrer Arbeit gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie. Mit der Benennung einer Straße nach Audre Lorde will der Bezirk zur Repräsentanz und Sichtbarkeit von LSBTTIQ*, Schwarzen Menschen und People of Color im öffentlichen Raum beitragen.

In einem Beteiligungsprozess soll nun die Straße ausgewählt werden, die in „Audre-Lorde-Straße“ umbenannt werden wird. Dazu gab es 2019 zwei Informationsveranstaltungen, bei denen Orte aus dem Leben und Wirken Lordes und Straßen in Kreuzberg für eine Umbenennung gesammelt wurden. Leider musste dieser Beteiligungsprozess aufgrund der COVID-19-Pandemie unterbrochen werden. Nun erfolgt eine öffentliche Abstimmung mit einer schriftlichen Befragung der Anwohner*innen und einer digitalen Veranstaltung. Die Ergebnisse werden der BVV als Meinungsbild vorgelegt und diese entscheidet dann auch  final über die Straßenumbenennung. Zur Abstimmung stehen: ein Teil der Manteuffelstraße (nördlicher Teil, mit Bushaltestelle), ein Teil der Wrangelstraße (Abschnitt Skalitzer Straße bis Mariannenplatz, mit Bushaltestelle), die Adalbertstraße oder die Admiralstraße. Die digitale Veranstaltung „Welche Straße für Audre Lorde“ findet am 4. Mai ab 18 Uhr statt.
Alle Infos dazu findet ihr hier.

 

Werner Heck, Bezirksverordneter

Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.