Rede von Elvira Pichler, Kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg, Vorsitzende des BVV-Ausschusses für Kultur und Bildung, anläßlich des Festaktes zur Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer am 27. Februar 2010.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich sehr, dass wir uns heute zu diesem Festakt versammeln können. Der parlamentarische Weg, der zurückgelegt werden musste, war lang. Es hat fast 2 Jahre gedauert, bis die Bezirksverordnetenversammlung dem Antrag der Grünen zugestimmt hat, das Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umzubenennen. Doch am Ende wurde die Umbenennung mit einer großen Mehrheit der Stimmen der Grünen, der Fraktion die Linke und der SPD gefasst. Eine Straßenumbenennung ist keine leichte Sache. Sie liegt zwar in der Zuständigkeit des Bezirkes. Kann vom Bezirksamt aber nicht einfach willkürlich vollzogen werden. Sie muss zum einen gesetzlich definierte Voraussetzungen erfüllen. Zum anderen muss ein bestimmtes parlamentarisches Verfahren eingehalten werden, im Zuge dessen eine politische Willensbildung erfolgt. Und da die Zusammensetzung des Bezirksparlamentes die unterschiedlichen Meinungen abbildet, die in der Bevölkerung vorhanden sind, gestaltete sich die Debatte entsprechend kontrovers. Insofern läßt sich an der Auseinandersetzung im Bezirksparlament ganz gut der Stand des Umgangs mit dem Thema „Kolonialismus“ ablesen. Wir hatten in einem langen Diskussionsprozeß viele Fragen zu klären und Hindernisse, die einer Umbenennung im Wege standen, auszuräumen:

1. Anfänglich ging es um die Frage, ob der Straßenname „Gröbenufer“ überhaupt ersetzt werden soll, oder ob es nicht genügt, ein Schild anzubringen, das erläutert, wer der Namensgeber der Straße ist. Einige Verordnete betrachten Straßenschilder als „historische Dokumente“, die so was wie Denkmalcharakter haben und deshalb nicht verändert werden dürfen. Dagegen hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass Straßennamen aber auch die Funktion haben, historische Personen und Ereignisse zu ehren, deren man sich erinnern will. Dass sie nicht nur der Orientierung im Stadtraum, sondern auch der geistigen Orientierung dienen.

2. Dann wurde aufgrund widersprüchlicher Angaben in den historischen Straßenverzeichnissen Berlins in Zweifel gezogen, ob das Ufer überhaupt nach Otto Friedrich und nicht vielleicht doch nach Karl von der Gröben benannt ist. Hier konnte ein von der Grünen BVV-Fraktion beauftragtes historisches Gutachten erstmals definitiv Klarheit schaffen: Im Zuge einer aufwendige Recherche konnten erstmals Originaldokumente im Geheimen Staatsarchiv aufgespürt werden, die zweifelsfrei belegen, dass 1885 Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich die Uferstraße zu Ehren des „Ersten Colonial-Gouverneurs und Erbauers der Feste Groß-Friedrichsburg in Guinea“ im heutigen Ghana nach Otto Friedrich von der Gröben benannt hat. Damit war die Frage des Namensgebers ein für allemal geklärt.

3. Dann ging es um die zentrale Frage, ob die Ehrung des Namensgebers Otto Friedrich von der Gröben unserem heutigen Demokratieverständnis widerspricht. Die Mehrheit der Verordneten kamen zu dem Schluss, dass heute in Kreuzberg keiner mit einer Straßenbenennung geehrt werden sollte, der im Kaiserreich und noch bis in die NS-Zeit hinein als Kolonialpionier geehrt und als Symbol der Anfänge kolonialer Bestrebungen diente. Dass keiner ehrenswert ist, der mit der Erbauung Großfriedrichsburg zumindest die materiellen Voraussetzungen für den Sklavenhandel der Kurbrandenburger legte. Otto Friedrich von der Gröben ist kein Sklavenhändler im herkömmlichen Sinne. Er ist vielmehr der Prototyp des Profiteurs: Er erbaut für den Kurfürsten wissentlich den Handelsstützpunkt an der afrikanischen Küste, der den Kurbrandenburgern erst den Handel mit Sklaven ermöglicht. Dann segelt er zurück und wird für die Ausführung seines Auftrages fürstlich belohnt. Unter anderem mit dem Landgut Marienwerder. Während der folgenden 30 Jahre, in denen die Kurbrandenburger tausende Menschen in die Sklaverei verschleppen und verkaufen, sitzt er auf seinem Landgut Marienwerder, zeugt 18 Kinder und schreibt seine Memoiren. Diese historische Figur finden wir heute nicht mehr ehrenswert.

Auch die Auffassung, man müsse den Sklavenhandel „aus dem Geist der damaligen Zeit heraus“ verstehen, konnte die Mehrheit der BVV-Verordneten nicht überzeugen. Denn damit ließe sich auch jedes NS-Verbrechen nachträglich relativieren und legitimieren. Die große Mehrheit teilt hingegen die Auffassung der Antirassismuskonferenz von Durban im Jahr 2001, wonach Kolonialismus zu Rassismus führt und der transatlantische Sklavenhandel ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ war, das „immer als solches hätte gelten sollen“.

4. Viele Verordnete konnten sich nun mit einer Umbenennung des Gröbenufers anfreunden. Doch es gab etliche Stimmen, die sagten, Umbenennung ja. Aber dann soll das Ufer nach einem der Kinder benannt werden, die am Gröbenufer zu Tode kamen als die Spree noch DDR-Grenze war. Zu May Ayim als neuer Namensgeberin konnten einige erst zustimmen, als klar war, dass an all die Menschen, die am Gröbenufer zu Tode gekommen sind, in Form eines eigenen Gedenksteines erinnert wird. Damit war die letzte Hürde genommen und der Weg frei für eine neue Erinnerungskultur. Wir wollen mit der Umbenennung eine Auseinandersetzung mit deutscher Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen in der heutigen Zeit befördern. Deshalb ist es wichtig, dass im neuen Straßennamen der der koloniale Bezug erhalten bleibt, dabei aber die Blickrichtung umgekehrt wird. Mit May Ayim ehren wir eine Frau als neuer Namensgeberin, die uns in ihrem wissenschafttlichen, literarischen und politischem Werk, viele Ansatzpunkte für solch eine kritische Beschäftigung mit Kolonialismus und Rassismus bietet. Wir halten diese Erinnerungsarbeit für dringend notwendig. Denn zum einen sind in Deutschland noch immer besonders Menschen mit schwarzer Hautfarbe gewalttätigen Übergriffen und Diskriminierung ausgesetzt. Wenn man der Frage nachgeht, woher die Vorstellungen von einer vermeintlichen Überlegenheit der „weißen Kultur“, der weißen „Rasse“ kommen, stößt man schnell auf die Kolonialzeit, in der solche Klischees und Ressentiments ausgeprägt wurden. Während wir uns in Deutschland mit der NS-Zeit relativ ausführlich beschäftigt haben, ist die kritische Auseinandersetzung mit unserer kolonialen Vergangenheit und ihren Auswirkungen bis in unsere heutige Zeit längst überfällig. Zum anderen ist es höchste Zeit, in Kreuzberg Erinnerungsräume zu schaffen, indenen auch Menschen mit transnationalen Biographien sich wiederfinden können. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen, dass die BVV auf eine grüne Initiative hin beschlossen hat, am Ufer eine Informationstafel aufzustellen, welche die Gründe und Hintergründe der Straßenumbenennung erläutert. Das Muster dieser Informationstafel sehen Sie hier. Den Text auf dieser Tafel haben wir in enger Abstimmung mit Joshua Kwesi Aikins und Christian Kopp erarbeitet. Beiden danke ich dafür sehr herzlich. Mit der Informationstafel wollen wir einen Ort im öffentlichen Raum schaffen, den z.B. geschichtskritische Lehrer mit ihren Schulklassen oder historische Stadtführer als Ansatzpunkt für eine vertiefende Beschäftigung nutzen können. Da sich der Bezirk jedoch in einer dramatischen Haushaltsnotlage befindet, kann er diese Tafel nicht finanzieren. Dankenswerter Weise haben sich bislang auf Antrag des BER

– die Stiftung Umverteilen,

– die Amadeo-Antonio-Stiftung und

– das Gunda Werner Institut der Heinrich Böll

Stiftung bereit erklärt, Geld dafür zu geben.

Doch leider reicht das alles noch nicht aus. Deshalb haben wir hier eine Spendenbox aufgestellt. Vielleicht kann der eine oder die andere einen kleinen Obulus beisteuern. Vielen Dank.