Antwort auf die Schriftliche Anfrage
Eingereicht durch: Wolf, Tobias Weitergabe, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Antwort von: Erledigt: Abt. Arbeit, Bürgerdienste, Gesundheit und Soziales

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:
1. Wie sieht der (vorläufige) Jahresabschluss des Sozialamts für das Haushaltsjahr 2019 aus (Bitte ggf. mit Schätzung von Überschuss oder Defizit)?
Im Haushaltsjahr 2019 stand dem Amt für Soziales ein Budget in Höhe von 349.770.400 Euro zur Verfügung. Über die Fortschreibung der Globalsummen 2019 gab es einen Abzug in Höhe von 1.121.253 Euro. Die Ausgaben haben 312.645.718 Euro betragen. Somit errechnet sich zunächst ein Überschuss vor Basiskorrektur in Höhe von 36.003.429 Euro. Nach der voraussichtlich zu erwartenden Basiskorrektur in Höhe von -37.657.407 Euro wird sich ein Defizit in Höhe von 1.653.979 Euro einstellen. Das Defizit verringert sich durch Mehreinnahmen in Höhe von 25.264 Euro und die Bereinigung um Beträge aus einnahmeabhängigen Buchungsstellen in Höhe von 120.630 Euro auf einen Betrag von 1.508.085 Euro. Das Amt für Soziales wird damit nach derzeitigem Stand das Haushaltsjahr 2019 voraussichtlich
mit einem Defizit in Höhe von 1.508.085 Euro abschließen. Das hohe Defizit wird in der Hauptsache durch die Hilfe zur Pflege verursacht. Hier gab es einen
Jahresansatz von 27.723.000 Euro, der sich durch die Fortschreibung der Globalsummen 2019 um 4.086.348 Euro verringert. Dem stehen Ausgaben in Höhe von 26.874.326 Euro gegenüber, so dass sich nach voraussichtlicher Basiskorrektur in Höhe von 6.278 Euro hier ein Defizit in Höhe von 3.231.396 Euro errechnet. Dieser Betrag wird etwas abgemildert durch bessere Abschlüsse in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Eingliederungshilfe oder durch geringere Personalausgaben (s. beigefügten Bericht über die Einnahmen und Ausgaben des Einzelplans 39 Haushaltsjahr 2019).

2. Welche haushälterischen Risiken bestehen hinsichtlich der Basiskorrektur durch die Senatsverwaltung für Finanzen?

(1) Es gibt große Unsicherheiten, wie die Basiskorrektur durch die Senatsverwaltung für Finanzen vor allem im Bereich der Hilfe zur Pflege ausfallen wird. Für die Produkte der stationären und teilstationären Hilfe zur Pflege erfolgt eine Basiskorrektur nach Istkosten analog zur Basiskorrektur 2018. Alte Produkte der ambulanten Hilfen werden auf Basis der aktuellen Mediane analog der Basiskorrektur 2018 basiskorrigiert. Bei den Produkten der ambulanten Hilfe zur
Pflege sind zum Teil deutliche Mediansteigungen im Vergleich zu 2017 zu beobachten.
(2) Unsicher ist ebenso die Basiskorrektur für die Kältehilfe. Der derzeit von der Senatsverwaltung für Finanzen festgelegte Tagessatz von 17,10 Euro ist nicht ausreichend. Für die Wärmehalle „Halleluja“ der Stadtmission war in 2019 ein Tagessatz von 28,00 Euro erforderlich, für die übrigen Kältehilfe-Angebote ohne die Wärmehalle ergibt sich ein bewilligter Tagessatz von durchschnittlich 17,85 Euro. Für alle Angebote zusammen lag der Tagessatz für 2019 bei durchschnittlich 21,52 Euro. Dabei ist zu beachten, dass die Anbieter höhere Anträge gestellt hatten und insbesondere das Angebot in der ehemaligen Gerhart Hauptmann Schule mit 17 Euro je Platz nur deshalb realisiert werden konnte, weil der Bezirk das Objekt mietfrei überlassen hat.

Ist 2019 Mengen Tagessatz
Stadtmission Wärmehalle Halleluja 608.160,00 21.720 28,00
Kältehilfe ohne Stadtmission Wärmehalle 684.258,27 38.342 17,85
Halleluja
Gesamt 1.292.418,27 60.062 21,52

Voraussichtlich werden Mehrmengen zum Preis von 17,10 Euro basiskorrigiert und es gibt eine sichere Zusage der Senatsverwaltung für Finanzen, dass der Wachschutz in Höhe von 81.000 Euro für die Wärmehalle der Stadtmission basiskorrigiert wird. Alle anderen Sondersachverhalte werden noch von der Senatsverwaltung geprüft. Für den Bezirk ist hier nicht vorhersehbar, wie hoch die Basiskorrektur ausfallen wird. Nach unseren Berechnungen lässt sich die Basiskorrektur wie folgt prognostizieren:- siehe Tabelle im pdf –

Die Basiskorrekturzahlen sind für Ende März angekündigt.

3. Welche Verwaltungsleistungen (Produkte der KLR) sind besonders Defizitwirksam für den Jahresabschluss 2019 des Sozialamtes (Bitte um die Nennung der drei
Produkte mit dem größten Defizit und des jeweiligen Defizitbetrags)? – siehe Tabelle im pdf –

Wie hat sich der jährliche Produktpreis, die jährliche Produktmenge und der Medianpreis für die unter 3.) genannten Produkte seit 2016 entwickelt?
Durch Änderungen in der Produktstruktur (Umstellung von Pflegestufen [1-3] auf Pflegegrade [1-5]) kann die Frage nur für die Zeit ab 2018 beantwortet werden.
– siehe Tabelle im pdf –

5. Welche Ursache(n) gibt es für die unter 4.) dargestellten Entwicklungen?

Eine monokausale Ursache dafür gibt es nicht bzw. konnte in jahrelanger Analysetätigkeit durch das Amt für Soziales nicht herausgearbeitet werden. Die Umstellung von der „Inhouse“- Begutachtung durch den Allgemeinen Sozialdienst auf einen externen Anbieter im Jahr 2010 hat im Ergebnis nicht zu signifikanter Kostensenkung geführt. In den letzten Jahren sind die Ausgaben in der Hilfe zur Pflege im Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg und im Land Berlin gestiegen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und sollen im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit benannt werden:
 bestimmte Erkrankungsbilder mit hohen Bedarfen (LK 32, Assistenzpflegen und Arbeitgebermodelle und trägerübergreifendes Budget),
 Angebotsstruktur von Pflegediensten im Bezirk (Punktwert des jeweiligen Pflegedienstes),
 Tarifsteigerung bei den Pflegediensten mit Umlage der Kosten,
 allgemeine Entgeltsteigerung in den Rahmenverträgen,
 Gesetzänderung (hier insbesondere das Pflegestärkungsgesetz mit Abnahme der Mengen, weil mehr Hilfeempfangende in die Leistungen der Pflegekasse kamen, Berlintrend),
 Spezifische Sozialstruktur im Bezirk mit komorbiden Erkrankungen (sowohl somatische als auch psychische Störungen mit erhöhten Bedarfen),
 wenige Hilfeempfänger (HE) können sich an den Kosten der Hilfe zur Pflege beteiligen (fehlender Eigenanteil),
 Dunkelziffern an Leistungsmissbrauchsfällen,
 unterschiedliche Auslegungspraxis bei den Leistungskomplexen im Bezirk im Vergleich zu den anderen Bezirken von Berlin,
 Verzögerung in der Rechnungsstellung von Pflegediensten (Gefahr des Mengenverlustes),
 Qualität der Hilfebedarfsfeststellungen des externen Dienstleisters (Ermittlungstiefe bei der Eigen- und Fremdanamnese, der Bedarfe auf Grund des Status begrenzt),
 gesellschaftlicher Wandel (Anreiz, die Leistungen durch Pflegedienste erbringen zu lassen, anstatt durch Angehörige, andere soziale Netzwerke oder Nachbarschaft)
 hoher Anteil alleinlebender HE im Bezirk, die auf einen Pflegedienst angewiesen sind,
 Ablehnung von Widerspruchs- und Klagefällen trotz Steuerungsintervention
 Stückkostenunterschiede bei den bewilligten Pflegeleistungen in der Hilfe zur Pflege vs. Eingliederungshilfe
 Leistungen der Hilfe zur Pflege sind zwischen HE und Pflegedienst in einem privatrechtlichen Vertrag fast immer schon vereinbart bzw. festgelegt, was eine nachgehende Steuerung zwar nicht unmöglich macht, aber deutlich erschwert.

Ein gewichtiger Faktor in der Erklärung des Defizites wird jedoch in der Abhängigkeit des Sozialhilfeträgers von der Pflegegrad-Einschätzung des MDK gesehen: die vom Sozialamt bewilligten Leistungen gehen in den besonders kostenintensiven Fällen deutlich über den Umfang der Leistungen hinaus, die den Leistungen des zugrundeliegenden Pflegegrades entsprechen. Mit anderen Worten: in vielen Fällen indizieren die durch unseren Dienstleister ermittelten Pflegebedarfe
einen höheren Pflegegrad, als durch den MDK festgestellt.

6. Welche Maßnahmen zur Qualitätssicherung werden bei den genannten Produkten ergriffen?

Das Team des Pflegefachcontrolling (Soz PFC) übernimmt die Qualitätssicherung der Rückläufe der IAP (Gutachten) vor Bewilligung. Zu den Leistungskomplexen werden einheitliche Anwendungshinweise mit regelmäßiger Überarbeitung und Anpassung durch das PFC erstellt. Durch Einführung eines „Angehörigenkonzeptes“ werden vorwiegend hauswirtschaftliche Verrichtungen auf Angehörige übertragen, wenn das zumutbar ist. Die Schnittstellen zwischen den Sachgebieten Hilfe zur Pflege und Pflegefachcontrolling werden durch gemeinsame Dienstberatungen optimiert. Bei Verdachtsfällen auf Sozialleistungsbetrug werden unangekündigte Hausbesuche durchgeführt. Die besonders auffälligen Produkte der Hilfe zur Pflege werden durch das Pflegefachcontrolling einer Qualitätskontrolle unterzogen.
Die Rechnungen und Leistungsnachweise werden durch die Abrechnungsstelle der Hilfe zur Pflege geprüft. Umgesetzt mit dem Doppelhaushalt 2020/21 wurde die Einrichtung eines eigenen Hilfebedarfsfeststellungsteams zur Feststellung der notwendigen Pflegebedarfe. Drei Stellen wurden dafür geschaffen und zum Dezember 2019 besetzt. Die Kolleginnen werden eingearbeitet, eine der Kolleginnen befindet sich allerdings im Mutterschutz. Aufgrund der tagesaktuellen Entwicklungen
zum Corona-Pandemiegeschehen werden Hausbesuche ab 17.03.2020 bis auf weiteres allerdings bis auf unabdingbare Notfälle ausgesetzt; damit entfällt zunächst eine für das Sozialamt wesentliche Steuerungsoption.

7. Gibt es weitere Hinweise zum Jahresabschluss 2019 im Sozialamt?
Nein

Mit freundlichen Grüßen
Knut Mildner- Spindler

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