Auf dem Sonderparteitag der Grünen hat die Basis sich eindeutig für einen Strategiewechsel in Afghanistan ausgesprochen. Der Beschluss folgt damit weitestgehend Ströbeles hier vorgestellten Position.

Der Krieg in Süden Afghanistans beschäftigt die Menschen in Deutschland. In Umfragen haben sich zuletzt 64 Prozent der Bevölkerung für einen raschen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ausgesprochen. Diese große Mehrheit in der Bevölkerung steht damit gegen die großen Mehrheiten im Bundestag und der veröffentlichten Meinung. Zu Recht befassen sich die Grünen so intensiv wie keine andere Partei mit diesem Thema. Sie tragen die notwendige Diskussion und Kontroverse stellvertretend für die Gesellschaft öffentlich

Verschärfte Sicherheitslage, zivile Opfer

Nach Angaben von Acbar (Dachverband der Hilfsorganisationen) sollen bis Anfang Juli 2007 bereits 230 Zivilisten ihr Leben verloren haben. Und so geht es weiter, Woche für Woche, Monat für Monat. Jeder Militärschlag mit zivilen Opfern schürt den Hass gegen ausländische Truppen, die als Besatzer gesehen werden, und treibt den Taliban neue Kämpfer zu. Der Wiederaufbau im Süden wird dadurch behindert und die Sicherheitssituation im ganzen Land dramatisch verschlechtert.

Die Luftangriffe im Süden, mit den häufig verheerenden Folgen für die afghanischen Zivilbevölkerung, finden keineswegs nur im Rahmen der Kriegseinsätze von OEF statt, sondern mehr und mehr auch durch ISAF-Einheiten. So waren etwa die Militäraktionen im Juni, bei denen 90 Zivilisten getötet wurden, ISAF-Einsätze. Die Unterscheidung zwischen OEF-Mandat, das zur Belastung für den Wiederaufbau geworden ist, und dem ISAF-Mandat hilft deshalb nicht mehr weiter. Im Süden ist die Vermischung beider Militärmissionen Alltag. Aus diesem Grund bleibt es so wichtig, dass die Bundeswehr dort nicht eingesetzt wird. Der Einsatz der Tornados der Bundeswehr ist daher ein Sündenfall. Denn die Flugzeuge liefern Daten und Fotos an denselben ISAF-Kommandeur, der gleichzeitig stellvertretender OEF-Chef ist.

Wiederaufbau und Entwicklung – immer eingeschränkter möglich

Ziviler Aufbau und Entwicklungsprojekte sind sicher richtig und wichtig. Die Tätigkeit der internationalen Hilfsorganisationen ist dafür unverzichtbar. Aber sie ist heute bereits stark eingeschränkt und immer weniger möglich, auch im Norden Afghanistans. Humanitäre Organisationen wie die Caritas prüfen, ob sie ihre Arbeit einstellen müssen. Malteser International zieht bis Oktober seine deutschen Mitarbeiter ab und schließt sein Büro in Kabul. Mitarbeiter deutscher Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit werden wegen fehlender Sicherheit zeitweise gebeten, befestigte Sicherheitsbereiche nicht zu verlassen oder Urlaub zu nehmen. Die Aufbaubemühungen und die Unterstützung der Bevölkerung durch ausländische Hilfsorganisationen sind schützenswert, werden aber angesichts der Eskalation des Krieges immer weniger gelingen können.

Jahrzehnte Militärpräsenz, mehr Soldaten – keine Lösung

Zunächst waren es nur die Militärs, die ankündigten, der Einsatz der Bundeswehr werde wohl etwas länger dauern. Sie sprachen von zwei oder gar drei Jahren, als die Angriffe der Taliban wieder zunahmen. Inzwischen sind es nicht nur die Militärs, die sich mit Prognosen für die Dauer des Afghanistan-Einsatzes übertreffen. Beschlossen wurden die Einsätze vor sechs Jahren auf der Grundlage, dass sie sechs Monate, vielleicht ein Jahr dauern. Inzwischen ist von einer zeitlichen Begrenzung keine Rede mehr. Das Einsatzgebiet von ISAF wurde immer weiter ausgedehnt, das Aufgabenspektrum ist faktisch unbegrenzt erweitert worden und die Zahl der Soldaten nimmt zu.

Was aber rechtfertigt die Hoffnung derer, die sich so heftig für die Verlängerung und Verstärkung des Bundeswehreinsatzes stark machen, dass die Lage in Afghanistan in 2, 10 oder 20 Jahren besser, stabiler und vor allem sicherer wird? Die Entwicklung der Sicherheitslage spricht eher dagegen. Nachdem die Taliban noch Ende 2004 von den ISAF-Kommandeuren als „faktisch besiegt“ erklärt wurden, nehmen die militärischen Aktivitäten von Taliban und anderen Rebellengruppen jeden Monat zu. Die Zahl der Opfer steigt ständig. Eine Irakisierung des Krieges droht. Angesichts dieser Perspektiven wäre eine Fortsetzung des Einsatzes wie bisher und seine Ausweitung durch immer mehr Truppen verhängnisvoll.

Militärischer Strategiewechsel – sonst Konsequenzen

Ein Wechsel der militärischen Strategie ist dringend geboten. Diese Forderung ist weder neu noch originell. Die Grünen vertreten sie seit Jahren – ohne Erfolg. Deshalb ist eine Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes nicht mehr verantwortbar, wenn spätestens innerhalb eines halben Jahres kein grundlegender Strategiewechsel vollzogen wird. Dazu gehört, dass der offensive Krieg im Süden beendet wird, Bombardierungen und Raketenangriffe eingestellt werden. Das ISAF-Mandat ist unverzüglich auf seine ursprüngliche Aufgabenstellung zurückzuführen. OEF sowie der Tornado-Einsatz sind zu beenden. Gespräche über einen Waffenstillstand müssen mit allen geführt werden, die am Krieg beteiligt und zu Verhandlungen bereit sind. Und die Finanzmittel, welche derzeit für Hilfe und Militäreinsätze aufgewendet werden, müssen zukünftig für Projekte, Aufbau- und Unterstützungsmaßnamen zu Verfügung stehen.

Christian Ströbele, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender