SA/261/III
Schriftliche Anfrage Antwort
Sehr geehrte Frau Jaath,
Ihre schriftliche Anfrage beantworte ich wie folgt:
1. Wie viele so genannte „Seveso-II-Betriebe“, die der Richtlinie 96/82/EG und ihrer Änderung durch Richtlinie 2003/105/EG unterliegen (sog. Seveso-II-Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen), gibt es in Friedrichshain- Kreuzberg und um welche handelt es sich? (Bitte sowohl für die untere als auch die obere Gefahrenklasse (Spalte 3-Betriebe) anführen.)?
Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gibt es aktuell 3 Betriebe, die der „Seveso-II-Richtlinie“ (96/82/EG) und der Störfall-Verordnung (12.BImSchV) unterliegen:
3 Galvanikbetriebe im Ortsteil Kreuzberg
(Köpenicker Str., Oranienstr., Boppstr.)
Davon ist 1 Betrieb eine genehmigungsbedürftige Anlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), für die die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz die zuständige immissionsschutzrechtliche Genehmigungs- und Überwachungsbehörde ist.
2 Betriebe sind nicht nach dem BImSchG genehmigungsbedürftig. Für diese Betriebe ist der Fachbereich Umwelt die zuständige immissionsschutzrechtliche Überwachungsbehörde. Die Störfall-Verordnung kommt für diese Betriebe auf Grund des Vorhandenseins von giftigen und sehr giftigen Stoffen in den in Anhang I der Störfall-Verordnung genannten Mengen zur Anwendung.
Für alle 3 Betriebe gelten lediglich die Grundpflichten. Betriebe, die die erweiterten Sicherheitspflichten der Störfall-Verordnung (obere Gefahrenklasse) zu erfüllen haben, sind im Bezirk nicht vorhanden.
2. Welche dieser „Seveso-II-Betriebe“ wären zum heutigen Zeitpunkt am vorhandenen Ort nicht genehmigungsfähig?
Keiner der drei Betriebe wäre zum heutigen Zeitpunkt genehmigungsfähig. Kleine Anfrage Antwort vom 10.02.2010
3. Welche dieser „Seveso-II-Betriebe“ genießen Bestandsschutz ohne einen – gemäß der Richtlinie – angemessenen Sicherheitsabstand zu Wohngebieten oder Naturschutzgebieten einzuhalten?
Im unmittelbaren Umfeld der 3 Betriebe ist ein Naturschutzgebiet nicht gegeben. Alle 3 Betriebe genießen nach bisheriger Rechtsauffassung Bestandschutz, auch wenn noch nicht alle angemessenen Abstände ermittelt wurden.
4. Welche dieser „Seveso-II-Betriebe“ sind mit öffentlichen sensiblen Einrichtungen benachbart, die innerhalb der „Schutzzone“ liegen und um welche Betriebe und öffentlichen Einrichtungen handelt es sich dabei?
Der Standort des Seveso-II-Betriebes in der Köpenicker Str. ist im Umfeld geprägt von angrenzenden öffentlichen Schulen des Bezirks und der Metall- u. Kunststoffinnung, der kirchlichen Kindertagesstätte, dem kirchlichen Archiv, der evangelischen Kirche am Mariannenplatz, der Zentrale der Gewerkschaft Verdi und Gewerbebetrieben, die mit Publikumsverkehr in Verbindung stehen sowie von Wohnnutzungen.
Innerhalb des angemessenen Abstandes liegen folgende öffentliche Einrichtungen
– Nürtingen Grundschule – E.-O.-Plauen-Grundschule – St. Thomas-Kirche – Kindertagesstätte des evangelischen Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte – Archiv der evangelischen Kirche – Dr.-Louis-Schnur-Schule der Metall- u. Kunststoffinnung sowie zahlreiche Gewerbebetriebe.
Weiterhin sind auch Wohnungen, ein privater Kinderhort sowie die Zentrale der Verdi von der „Schutzzone“ betroffen.
Der Standort des Betriebes in der Oranienstr. ist im Umfeld geprägt von angrenzenden Wohnungen und privaten Versammlungsstätten, Supermärkten sowie Gewerbebetrieben, die mit Publikumsverkehr in Verbindung stehen.
Der Standort des Betriebes in der Boppstr. ist im Umfeld geprägt von angrenzenden Wohnungen, einer Schule eines privaten Trägers, privaten Kindertagesstätten, Versammlungsstätte (Kino), Verkaufsstätten sowie Gewerbebetrieben, die mit Publikumsverkehr in Verbindung stehen. Aufgrund der noch zu bestimmenden Abstände für die Standorte Oranienstr. und Boppstr. kann derzeit noch nicht benannt werden, ob und welche öffentliche Einrichtungen sowie Betriebe innerhalb des angemessenen Abstandes liegen.
5. Wie schätzt das Bezirksamt die diesbezügliche Gefahrenlage ein? Aus Sicht des Störfallrechts ist bei Einhaltung der erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, die den hohen Anforderungen des Standes der Sicherheitstechnik entsprechen, davon auszugehen, dass durch die Betriebe keine massive Gefährdung gegeben ist.
Die Senatsverwaltung GUV und das Bezirksamt bemühen sich für ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche, eine Gefahrenlage nicht entstehen zu lassen. Hierzu erfolgten mit den Betreibern umfangreiche Abstimmungen über technische und organisatorische Maßnahmen.
Weiterhin erfolgt ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den Betreibern und den Behörden. Ein Überwachungssystem mittels regelmäßigen Besichtigungen unter Beteiligung der zuständigen Behörden ist eingerichtet. Bei Maßnahmen der Betreiber, die über den Stand der Sicherheitstechnik hinausgehen, ist die Senatsverwaltung GUV und das Bezirksamt grundsätzlich auf die Freiwilligkeit der Betreiber angewiesen.
6. Welche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung müssen von einem Seveso-II-Betrieb getroffen werden, und durch welche Behörde(n) werden diese Betriebe und ihre Maßnahmen in welchen zeitlichen Abständen kontrolliert?
Wie zu Frage 2 ausgeführt, haben die Betriebe die ordnungsrechtlichen Maßnahmen nach dem Stand der Sicherheitstechnik einzuhalten. Dazu gehört z.B. der Schutz der sicherheitsrelevanten Einrichtungen vor dem Zugriff Unbefugter, die Ermittlung und Bewertung der Gefahren von Störfällen, die Überwachung des Betriebes, die regelmäßige Schulung des Personals und die Planung für Notfälle.
Als grundlegende Maßnahme haben alle Betriebe ein Sicherheitsmanagementsystem einzurichten und ein Konzept zur Verhinderung von Störfällen zu erstellen, das der zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen ist. Darüber hinaus sind in Abstimmung mit der zuständigen Behörde ggf. weitere betriebsspezifische Maßnahmen zu treffen.
Die Einhaltung der Maßnahmen wird von den zuständigen Ordnungsbehörden im Rahmen von Inspektionen nach § 16 der Störfall-Verordnung überwacht. Für Betriebe mit Grundpflichten sind solche Inspektionen in einem Abstand von 3-5 Jahren vorgesehen.
Die Inspektionen werden als Kommissionsbegehung unter Federführung der zuständigen Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde und unter Teilnahme weiterer Behörden durchgeführt.
Dazu gehören in der Regel folgende Behörden:
– Fachbereich Umwelt des Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg (sofern nicht bereits federführende Immissionsschutzbehörde)- Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit – Berliner Feuerwehr – Störfallprävention – Der Polizeipräsident von Berlin – Stab – Bauaufsicht
Unabhängig von der Inspektion nach Störfall-Verordnung erfolgen regelmäßige, mindestens jährliche Betriebsüberwachungen nach BImSchG durch den Fachbereich Umwelt bzw. die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.
7. Welche Aufgaben in Bezug auf die Seveso-II-Richtlinie fallen in die Zuständigkeit der Bezirksämter, und welche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung müssen ggf. von Seiten eines Bezirksamts getroffen werden?
Für die beiden nach BImSchG nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (Oranienstr., Boppstr.) obliegt der Vollzug der Störfall-Verordnung dem Bezirksamt (Fachbereich Umwelt). Bei zukünftigen raumbezogenen Planungen und Maßnahmen sind durch das Bezirksamt die für eine bestimmte Nutzung vorgesehene Fläche zu den Betrieben einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen und schwere Unfälle im Sinne der Richtlinie 96/82/EG in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten oder sonstigen schutzbedürftige Gebiete und öffentlich genutzte Gebäude soweit wie möglich vermieden werden (§ 50 BImSchG)
8. Welche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bzgl. Seveso-II-Betrieben müssen von welchen Landesbehörden getroffen werden?
Wie sähe ein Störfall-Szenario aus, welche Schritte zur Rettung der Bevölkerung würden eingeleitet werden, und welche Behörde( n) würde(n) sie koordinieren?
Die Maßnahmen zum Schutz vor Störfällen und zur Verhinderung der Auswirkungen müssen von den Betreibern getroffen werden. Wie zu Frage 6 ausgeführt, überwachen die zuständigen Ordnungsbehörden die Umsetzung dieser Maßnahmen, ordnen ggf. bestimmte Maßnahmen an, während in Ergänzung hierzu die Überwachung der Ansiedlung in der Umgebung bestehender Seveso-II-Betriebe Aufgabe der Stadtplanungsämter ist.
Die Erarbeitung von detaillierten Störfallablaufszenarien ist vorrangig im Rahmen eines Sicherheitsberichtes vorzunehmen, der nur für Betriebe mit erweiterten Sicherheitspflichten anzufertigen und für die Betriebe im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht vorgesehen ist.
Behördliche Notfallpläne sind nur für Betriebe mit erweiterten Sicherheitspflichten erforderlich. Speziell auf die Betriebe in Friedrichshain-Kreuzberg abgestimmte Notfallpläne liegen daher nicht vor. Es gelten die allgemeinen Vorkehrungen der Einsatzkräfte für Schadensereignisse.
Im Regelfall werden durch den Betreiber oder die Anwohner zunächst die Feuerwehr und die Polizei alarmiert. Die zu treffenden Maßnahmen richten sich dann nach der konkreten Gefahrenlage und beinhalten z. B. Personenrettung, Abdichtungsmaßnahmen, Absperrmaßnahmen und die Information der Anwohner über das richtige Verhalten im Gefahrenfall. Bei größeren Schadensereignissen bildet die Feuerwehr eine Gemeinsame Einsatzleitung, in der die Vertreter der Ordnungsbehörden des Landes Berlin in eigener Zuständigkeit mitwirken (z.B. Fachbereich Umwelt, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin u. a.). Mit der Bildung der Gemeinsamen Einsatzleitung übernimmt der Einsatzleiter der Berliner Feuerwehr zusätzlich den Vorsitz in der Gemeinsamen Einsatzleitung und hat dort eine koordinierende Funktion.
Im Rahmen der Gemeinsamen Einsatzleitung- werden die Behördenvertreter über das Lagebild informiert – informieren sich die Behördenvertreter gegenseitig über bereits veranlasste Maßnahmen – werden die zu treffenden Entscheidungen abgestimmt – werden die erforderlichen Maßnahmen koordiniert – verständigen sich die Mitglieder über Maßnahmen zur Information und Warnung der Bevölkerung sowie über eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit.
Die Gemeinsame Einsatzleitung wird je nach Schadensausmaß in einer mobilen Befehlsstelle der Berliner Feuerwehr am Schadensort untergebracht oder in geeigneten Räumen in der Nähe der Einsatzstelle.
9. Welche konkreten Versuche hat das Bezirksamt in den letzten zehn Jahren unternommen, Friedrichshain-Kreuzberger „Seveso-II-Betriebe“ umzusiedeln? In welchen konkreten Fällen und aus welchen Gründen waren die Umsiedlungsversuche erfolgreich bzw. ohne Erfolg? (Bitte eine möglichst detaillierte Chronologie der Vorgänge und Ereignisse bis zum heutigen Tag.)?
Die Klärung einer Umsiedlung bzw. technischen Nachrüstung bezog sich bislang auf den Betrieb in der Köpenicker Straße. Chronologisch ergaben sich dabei folgende Aktivitäten:
07.01.2008
Stellungnahmeersuchen Bezirksamt an SenGUV wegen „Achtungsabstand“ (Antwort SenGUV am 14.01.2008)
21.01.2008
Mit Bezirksamt abgestimmtes Schreiben Berggruen Holdings an Frau Junge-Reyer, Frau Lompscher und Herr Wolf wegen „Wirtschaftliche Einschränkungen durch die Nähe zu Seveso- II-Betrieb“
24.01.2008
Schreiben Bzbm an Frau Junge-Reyer und Frau Lompscher unter Bezug auf Schreiben von SenGUV vom 14.01.2008 mit Hinweis auf dringenden Handlungsbedarf. Gespräch zwischen Frau Junge-Reyer und Bzbm mit der gemeinsamen Einschätzung, dass Betriebsverlagerung notwendig ist.
31.01.2008
Auf Nachfragen bei SenGUV wegen ausstehender Beantwortung des Schreiben Bzbm vom 24.01.2008 wird mitgeteilt, dass Frau Lompscher erst die fachliche Stellungnahme ihrer Verwaltung abwarten will.
02.02.2008
Antwort von Herr Wolf an Berggruen Holdings, dass „Gespräche noch nicht abgeschlossen sind“.
21.02.2008
Einladung zu einer Abstimmungsrunde durch BzBm (Teilnehmer: SenStadt/ SenGUV/ SenWTF (ZAK)/ BA Fhain-Krzbg/ BA Mitte). Als günstigste Problemlösung wird die mittel- und langfristige Verlagerung angesehen. SenStadt und SenWTF prüfen Einsatz von Förder-mittel für eine Verlagerung. SenGUV beauftragt Gutachten zur Feststellung Schutzflächen.
30.04.2008
Vorstellung des Gutachtens (TÜV Nord) durch SenGUV (Teilnehmer: SenGUV/ SenStadt/ SenWTF und BA Fhain-Krzbg). Das Gutachten enthält Vorschläge für zusätzliche technische Maßnahmen um den Schutzabstand von 260 m auf 70-110 m zu verringern. Die mittelfristige Option einer Verlagerung des Betriebs wird erneut erörtert.
18.06.2008
Treffen mit SenWTF (StS), BzBm: SenWTF erklärt sich bereit, die zusätzlichen technischen Maßnahmen aus Gutachten zu finanzieren. Bei Grundstückssuche wird SenWTF den Lifo Berlin einschalten. Frau Junge-Reyer wird durch Bzbm vom Ergebnis informiert.
09.07.2008
Treffen mit Geschäftsführer des Betriebs, BzBm, SenWTF (StS): Der Geschäftsführer signalisiert grundsätzliche Bereitschaft für Betriebsverlagerung. SenWTF bittet um Grundstücksanforderungen um Abfrage beim Lifo Berlin zu machen.
17.08.2009
Auf Nachfrage von BzBm informiert SenWTF, dass die Suche nach einem Alternativstandort erfolglos war, da der Betrieb angebotene Grundstücke ausgeschlagen hat.
20.08.2009
Gespräch Bzbm mit SenWTF: keine offene Genehmigungsverfahren bei SenGUV bzgl. dem Betrieb.
12.01.2010
Einladung zu einem 1. Infogespräch durch BzBm (Teilnehmer: SenGUV, Nürtingen- und E.O. Plauen Schule, Kita/ St. Thomas-Gemeinde, DezJugFamSch).
18.01.2010
Schreiben an Geschäftsführer des Betriebs durch BzBm
12.03.2010
Treffen BzBm mit dem vom Betrieb beauftragten Anwalt
22.03.2010
Einladung zu einem 2.Infogespräch durch BzBm (gleicher Teilnehmerkreis wie am 12.01.2010)
13.04.2010
Einladung zu einer Abstimmungsrunde durch BzBm (Teilnehmer: SenGUV/ SenStadt/ SenWTF (ZAK)/ BzBm/ Anwalt des Betriebs). Die Bedingungen einer Verlagerung werden erörtert. SenWTF wird über Lifo Berlin versuchen, die Grundstücksfrage zu klären.
10. Wann, in welchem Fall, in welchem Umfang und durch wen besteht eine Informationspflicht der Bevölkerung im Umkreis eines „Seveso-II-Betriebs“? Welche Informationen über entsprechende Sachverhalte wurden den betroffenen Einrichtungen bisher zugänglich gemacht?
Nur „Seveso-II-Betriebe“, die die erweiterten Sicherheitspflichten zu erfüllen haben, sind nach § 11 (1) der Störfall-Verordnung verpflichtet, alle Personen sowie Einrichtungen mit Publikumsverkehr, die von einem Störfall betroffen sein können, über das bestehende Gefahrenpotenzial und das richtige Verhalten im Störfall zu informieren.
Da die im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindlichen „Seveso-II-Betriebe“ nur den Grundpflichten nach § 1 (1) Satz 1 Störfall-Verordnung unterliegen, besteht keine Informationspflicht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Franz Schulz
Fragestellerin: Frau Jaath, Kristine