station to station II

I

Sein eingetragener, vermeldeter Name lautet Günter Schumacher, aber außerhalb der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, wo sich ja alles formal korrekt zu ereignen hat, kennt den kaum einer. Auch nicht in seiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen, für die er seit 2006 als Bezirksverordneter im Rathaus sitzt. Alle Welt ruft ihn Shooccy, mit Doppel-O und Doppel-C, was wiederum nur die wenigsten richtig schreiben. Den Spitznamen verdankt er einer Abwehrreaktion. Als ihn, lange vor der Ära des deutschen Formel I-Königs, jemand Schumi rief, lehnte er brüsk ab, das war ihm zu schmalzig. Man einigte sich irgendwie auf Shooccy.

Als Shooccy in dieser Welt erschien, und das war 1939, herrschte Krieg. Zuerst weit weg, außer Landes, am Ende dann hautnah: im Luftschutzkeller traf ihn ein Bombensplitter.

War die Kindheit vom Krieg geprägt, so galt für die Jugend und das Heranwachsen „Ärmel aufkrempeln“, Augen zu und hinein ins Wirtschaftswunder. Eine Verdrängungsmentalität, die auf ihrem verbissenen Weg zum neuen Wohlstand nichts mehr fürchtete als den klärenden Blick zurück. Der kompensatorische Mief, der das alles durchwirkte, war nötig, um etwaige Abweichungen bereits im Keim zu ersticken, es war ja schließlich auch genug passiert. So kam es denn, dass nicht nur eine Generation unter gesellschaftlichen Bedingungen heranwuchs, welche die Konsequenzen von etwas waren, woran sie nicht mitgewirkt hatte. Doch erst der nachfolgenden, jetzt gemeinhin als 68-er bekannt, gelang der kollektive Durchbruch in Richtung Vergangenheitsbewältigung.

II

Es passierte, wie so vieles, zuerst in den USA, dem Land mit den am höchsten entwickelten Widersprüchen. Analog zu der „Lost Generation“ nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich zu Beginn der 50er Jahre aus dem Überdruss an der sinnentleerten menschlichen Zivilisation eine radikale literarische Strömung: die „Beat Generation“. Ihre Protagonisten wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs und der erst viel später zu Ruhm gekommene Times-Square-Hustler Herbert Huncke, um nur die herausragenden zu nennen, fühlten sich als eingeschworene Gruppe, trafen sich in New York, San Franzisco oder auch in Tanger und propagierten einen zunächst literarischen Gegenentwurf zur offiziellen Welt und ihrer Konventionen. Sie rückten den subjektiven Blickwinkel des Individuums mit den Möglichkeiten zur Freiheit in den Mittelpunkt. Es sollten allerdings nahezu 10 Jahre vergehen, bis sich am Ende der 50er Jahre eine gesellschaftliche Bewegung entwickelte, welche sich anschickte, diese, in der Literatur vorangegangenen und längst vom Mainstream aufgegriffenen Essentials in die Praxis umzusetzen, also ein anderes Leben zu führen.Sie nannten sich Beatniks und waren sich einig in ihrer Ablehnung von Konsumterror und dem Zwang zur Konformität, ihre Freiheit lag „on the road“, wie im Hauptwerk von Jack Kerouac beschrieben. Die Bewegung schwappte herüber nach Europa und konzentrierte sich auf die großen Städte. Ihre Musik war der (improvisierte) Jazz, ihre Philosophie der Existenzialismus (Sartre, Camus) und ihre Droge war Speed. Allerorten fanden sich nun Aussteiger, die schon seit langem Gleiches dachten, lasen und nun auch Gleiches leben wollten.

III

Und auch bei Shooccy wurde ein Nerv getroffen. Er hatte zwar seine Lehrjahre zum Industriekaufmann absolviert, jedoch eine ereignislose, gradlinige Perspektive in dieser durchweg langweiligen, uniformierten Gesellschaft entbehrte jeglicher Attraktion. Er interessierte sich für Jazz, hatte Bill Haley im Sportpalast erlebt und war stinksauer darüber, wie das alles verteufelt wurde.

Er war unzufrieden mit diesen gesellschaftlichen Gegebenheiten, und als nun die Bewegung der Beatniks, die man aus bis heute unerfindlichen Gründen in Deutschland „Gammler“ nannte, sich zu einer durchaus praktikablen alternativen Lebensform mauserte, stieg er 1959 ein. Mit Schwerpunkt zunächst in Düsseldorf, später dann in Berlin, lebte er nun, wie es ihm gefiel und klagte sein Recht auf Faulheit ein. Er bemalte das Pflaster mit Kreide, zog mit Straßenmusikanten umher, ging abends in die Jazz-Klubs und las viel, er wühlte sich sogar durch das dickleibige Hauptwerk des Existenzialismus: „Das Sein und das Nichts“ von Jean Paul Sartre.

Seine Aufmerksamkeit galt der Fluxus-Bewegung, die eine sozial ausgerichtete, experimentelle Kunstform, später Happenings genannt, propagierte. Ziel war die Aufhebung der Grenzen zwischen Künstlern und Publikum – in bester DADA-Tradition eine Kamfansage an die kommerzialisierten „Schönen Künste“.

Er reiste nach Tanger, dem damaligen Mekka der Beat Generation und hielt sich lange am Mittelmeer in Spanien und Südfrankreich auf. Ab und an verdingte er sich als Tellerwäscher, nicht um Millionär zu werden, sondern um das auch für einen gestandenen Beatnik notwendige Existenzminimum zu sichern.

Shooccy hat die Schwabinger Krawalle miterlebt, ein Ereignis, welches bis heute einer endgültigen soziologischen Erklärung harrt, zunehmend gedeutet als vorweggenommener, semi-militanter Protest dessen, was sich dann später in der Studentenbewegung artikulierte.

Aufgrund von Beschwerden der Anwohner beendete die Polizei am 21. Juni 1962 gegen 22.30h einen Auftritt von Straßenmusikanten im Münchner Boheme-Bezirk, was explosionsartig zu heftigen Unruhen führte, die fünf Nächte andauerten. Erst ein Unwetter beendete alles, danach klebten Zettel an den Bäumen: „Das Polizeisportfest fällt heute aus wegen schlechter Witterung.“

Da saß Shooccy bereits im Knast, denn die Ordnungsmacht hatte ihn beim Verlassen eines Schwabinger Kinos ohne sein Zutun einfach abgegriffen und ließ ihn nun schmoren, da er keine Münchener Meldeadresse besaß.

„Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören.“(Ludwig Erhard, Bundeskanzler von 1963-66) Wurden die Gammler in Deutschland anfangs als Bedrohung angesehen, so änderte sich dies, als zunehmend klar wurde, dass sie die Revolution nicht auf ihre Fahnen geschrieben hatten, wie das wenig später andere taten. Die Gammler wollten nicht Macht erobern, sondern sich von deren Einfluss befreien, eben Freiräume nutzen. Statt weitestgehender Ausgrenzung häuften sich nunmehr die Versuche der Vereinnahmung.

Shooccy hat sich vom Lifestyle der Beat Generation verabschiedet, als der Pfarrer der Gedächtniskirche anfing, verständnisvolles tätiges Christentum zu praktizieren und den ungesicherten Müßiggängern mit Tee und Decken zu Leibe rückte. Als dann auch noch Der Spiegel mit einer Story über „Gammler in Deutschland“ aufmachte, brach er die Brücken endgültig ab.

Auch hatte ihn Überdruss ergriffen, seine Freundin war schwanger, er übernahm Verantwortung – er heiratete (1966).

axel w. urban