Die Wahlergebnisse zum EU-Parlament von Sonntag haben uns vor Augen geführt, dass unsere Partei bundesweit deutlich an Zustimmung verloren hat, während rechtsextreme Parteien erheblich an Stimmen gewonnen haben. Diese Entwicklung kann nicht unbeantwortet bleiben, da sie eine klare Botschaft an unsere Bundespartei sendet. Die Erwartungen vieler Menschen an uns waren hoch: Sie erhofften sich einen konsequenten Klimaschutz, eine humane Asyl- und Migrationspolitik sowie einen sozial verträglichen Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Unsere Partei hat diese Erwartungen nicht erfüllt und wir müssen die Gründe dafür ernsthaft beleuchten.

 

Unsere Partei braucht wieder mehr Profil

In Zeiten der Unsicherheit suchen Menschen nach Sicherheit und Zuverlässigkeit. Doch der politische Stil und die Zusammenarbeit in der Ampelregierung haben oft genau das Gegenteil bewirkt. Durch  Ankündigungen und anschließendes Zurückrudern haben wir Vertrauen verspielt und Verunsicherung  erzeugt. Sicherheit braucht Vertrauen und Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Als Grüne in der Regierung haben wir zu oft Kompromisse gemacht und sie als Erfolge verkauft, statt transparent zu machen, dass wir gerne mehr erreicht hätten, aber in dieser Koalition nicht konnten.

Wir müssen klare konstruktive Gegenentwürfe zu den Erzählungen der Rechten bieten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir Wähler*innen verloren haben, weil wir nicht mutig und entschlossen genug für unsere Werte eingetreten sind. Unser Wahlkampf war teils zu abstrakt. Das war ein Fehler. Die Menschen wollen konkret sehen, wofür wir stehen und dass wir für die Umsetzung unserer Ziele der Klimaneutralität, Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und sozialen Sicherheit kämpfen. Es ist unerlässlich, kompromisslos gegen rechtsextreme Ideologien aufzutreten. Unsere Reaktion auf das Erstarken rechter Kräfte in Kommunen, Ländern und Europa war keine klare inhaltliche Kante und auch kein sozialer Gegenentwurf, sondern aus Teilen unserer Partei ein Nachgeben und Übernehmen rechter Erzählungen.

 

Junge Wähler*innen ansprechen

Der massive Verlust junger Wähler*innen verdeutlicht, dass sich diese von den etablierten politischen Kräften nicht ausreichend angesprochen, gehört und ernstgenommen fühlen. Die Verantwortung hierfür liegt nicht allein bei den Jugendorganisationen der Parteien, sondern vor allem bei uns. Wir haben es nicht geschafft, jungen Menschen in Krisenzeiten und bei sinkenden Reallöhnen eine positive Vision der Zukunft mit gesicherten Einkommen zu geben.Wir müssen stärker in den Dialog gehen, wir müssen mit jungen Menschen gemeinsam über unsere Zukunftsperspektive und politische Durchsetzungsmöglichkeiten sprechen.

 

Fehlende Antworten auf wichtige Fragen

Viele Menschen haben Angst vor einer finanziellen Notlage, und wir haben darauf keine zufriedenstellenden Antworten gegeben. Es gibt bis heute kein Klimageld, mit dem die Kosten für den Klimaschutz sozial abgefedert würden. Die Kindergrundsicherung als Mittel, um Kinder endlich aus der Armutsfalle zu holen, ist weiter unsicher. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) hat mehr Angst als Hoffnung gemacht und das Klimaschutzgesetz wurde mit unseren Stimmen abgeschwächt, sodass die Erreichung der Klimaziele wieder einmal wackelt. Die Kampagne, wir Grünen hätten die Wirtschaftskrise zu verantworten und würden den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, konnte bei weiten Teilen der Bevölkerung verfangen und hat zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen, weil wir nicht in der Lage waren, dem etwas rechtzeitig entgegenzusetzen. Themen wie das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) und unsere Unterstützung für das Aus von Lützerath waren Fehler, die uns geschadet haben. Es wird Zeit, dass wir uns besonders auf der Bundesebene wieder auf Schwerpunktthemen wie soziale Sicherheit, die Stärkung der Mieter*innen, den Schutz vor Altersarmut sowie faire und sichere Arbeitsplätze konzentrieren. Nicht die Abkehr von fossilen Energiequellen, sondern das Festhalten an der Schuldenbremse stellt eine Gefahr für Deutschland dar, da überfällige Investitionen in Klimaschutz, Sicherheit und Infrastruktur nicht getätigt werden. Das müssen wir weiterhin klar benennen und dem Verhinderungsdenken der Koalitionspartner aktiv entgegentreten.

 

Klare Haltung gegen rechte Kräfte – AfD-Verbot

Die hohe Wahlbeteiligung ist erfreulich, aber der Erfolg der AfD ist beängstigend. Wir müssen uns als demokratische Parteien stärker gegen rechte Ideologien stellen. Die Bundesregierung lässt die AfD weiter gewähren, obwohl klar ist, dass sie verfassungsfeindlich ist. Ein Verbot der AfD muss jetzt eingeleitet werden, denn Faschismus sollte nicht auch noch staatlich finanziert werden.

Es ist offenkundig, dass selbst die Aufdeckungen von correctiv, die Skandale um die AfD-Spitzenkandidaten Krah und Bystrom, die Nähe der AfD zu Putin und China sowie die erwiesen rechtsradikale Gesinnung in weiten Teilen der Partei Wähler*innen nicht abschreckt, sondern sogar zum Erfolg der AfD beiträgt. Die konventionellen demokratischen Mittel der Kommunikation, Aufklärung und inhaltlichen Stellung der AfD-Vertreter*innen sind gescheitert und jeder weitere Machtgewinn der AfD birgt große Gefahr für unser demokratisches System. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns ein verfassungsrechtliches Werkzeug als Bollwerk gegen den Faschismus an die Hand gegeben. Diese Wahl macht überdeutlich, dass es an der Zeit ist, dieses Werkzeug jetzt zu nutzen.

 

Neue Richtung für die Zukunft

Für uns Bündnisgrüne ist es Zeit, unsere Strategien und Kommunikation zu überdenken. Wir müssen transparenter, zielgerichteter und entschlossener auftreten, statt nur zu versuchen, möglichst wenig anzuecken. Die Wahlergebnisse sind ein Weckruf. Wir müssen jetzt die notwendigen Schritte gehen, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und eine starke, glaubwürdige politische Kraft zu bleiben. Es geht um nicht weniger, als die Zukunft unserer Demokratie.

 

Kontakt:

Bündnis 90/Die Grünen – Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg

Alena Dietl für den Geschäftsführenden Ausschuss

alena.dietl@gruene-xhain.de