Der Kreuzberger Kultclub braucht endlich bessere Trainingsbedingungen – Wir Grüne setzen das Thema auf die Tagesordnung, aber (fast) nichts geht ohne die Unterstützung des Senats.

„Das gibt es nirgendwo in Deutschland, dass ein so hochklassiges Team keine eigene Anlage hat“, sagt Trainer Uwe Erkenbrecher. Die Herrenmannschaft von Türkiyemspor spielt inzwischen in der Regionalliga Nord-Ost und ist die „Nummer drei“ im Berliner Fußball, aber zum Training muss sie nach wie vor kreuz und quer durch Berlin reisen.

Improvisation statt eigenen Trainingsplatz

Die sechs Trainingseinheiten einer Woche sind auf drei verschiedene Sportplätze verteilt: die Willi-Sänger-Anlage in Treptow-Köpenick, den Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg und das Sportforum in Hohenschönhausen. Im letzten Jahr kam sogar noch das Kreuzberger Katzbachstadion hinzu. Die Vergabe von Trainingsplätzen wurde manchmal im Monatsrhythmus neu zusammen gebastelt, denn bei der Ausstattung mit Sportflächen ist der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ohnehin das Berliner Schlusslicht. Immer wieder war die Kunst der Improvisation angesagt, etwa wenn ein Naturrasenplatz sich kurzfristig als nicht bespielbar herausstellte und die benachbarte Kunstrasenfläche bereits vergeben war. Dann zählte nur noch eine sportliche Disziplin der ungewöhnlichen Art: in möglichst wenigen Minuten eine Alternative finden und sofort sämtliche Spieler per Handy zu einer anderen Anlage dirigieren. Und schnellstens sämtliches Trainingsmaterial wieder in den Vereinsbus packen und zum nächsten Platz chauffieren. Allein – der Bus war eigentlich für den Transport für den Transport der Mädchenteams und der Jugendmannschaften zu ihren Spielen gedacht! Ihn hatte der Verein als Anerkennung bekommen, als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Türkiyemspor mit dem erstmals vergebenen Integrationspreis auszeichnete.

Flickenteppich an Übungsterminen

Schlimm ist auch Türkiyemspors A-Jugend dran, die ebenfalls sehr erfolgreich spielt. Sie trainiert in der Kreuzberger Blücherstraße, im Katzbachstadion und auf einem halben Platz in der Willi-Sänger-Anlage. Die Trainings der A-Jugend können nur auf Kosten der Trainingszeiten der B-Jugend stattfinden. Sie finden allesamt auf Kunstrasen statt, während die Spiele auf Naturrasen ausgetragen werden. Flickenteppich an Übungsterminen Unter solchen Bedingungen steht Türkiyemspor im Wettbewerb mit den anderen Mannschaften der Regionalliga, die allesamt über eine ‚eigene Trainingsadresse‘ verfügen und nicht über einen Flickenteppich aus Übungsterminen. Beim Verein ist nun der Geduldsfaden gerissen: Jahrelang habe man sich zuviel gefallen lassen und daher im letzten Herbst begonnen, mit öffentlichen Aktionen auf die Missstände aufmerksam zu machen. Wir Grüne haben zwei Anträge in die BVV eingebracht, die endlich Abhilfe auf den Weg bringen sollen: Zum einen geht es akut um eine Trainingsbeleuchtungsanlage, zum anderen um ein „Gipfeltreffen“ zwischen Senat und Bezirk, auf dem Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer nachhaltigen Verbesserung der Spielbedingungen von Türkiyemspor besprochen werden sollen. Beide Anträge haben nach leidenschaftlichen Debatten die Unterstützung durch die Mehrheit der Bezirksverordneten erhalten.

Türkiyemspor – das ist der sportlich erfolgreichste und überregional bekannteste Sportverein, der in der Bundesrepublik von MigrantInnen aufgebaut wurde. Im Jahre 1978 in Kreuzberg gegründet, ist er heute weit mehr als ein Sportclub, der über 300 Jugendlichen eine sportliche Ausbildung anbietet. Er hat sich vielmehr zu einem echten „sozialen Allrounder“ entwickelt. Und zu einem sichtbaren Symbol für die Vielfalt in unserer Stadt.

Vier Mädchenteams hat Türkiyemspor seit 2004 aufgebaut, sich an den respect gaymes des LSVD und am Mädchensportfest „Leyla rennt“ beteiligt, sowie das interreligiöse Turnier „Avitall-Cup“ mitveranstaltet. Türkiyemspor beteiligt sich an der Initiative „Stopp Tokat“, am MyFest und der Kampagne „Keine Gewalt gegen Frauen“. Dazu kommen Benefizspiele für die Krebshilfe, für die Leukämiehilfe sowie das Engagement gegen Gewalt in der Familie und selbstverständlich die Zusammenarbeit mit Initiativen gegen Rechtsextremismus. Seine „Sterne des Sports“ verlieh der Deutsche Sport Bund an Türkiyemspor für die Durchführung eines multiethnischen Kinderturniers während der letzten Fußball-EM.

DFB–ausgezeichnete Integrationsarbeit

Vor allem durch den Aufbau von Mädchensport „bezieht Türkiyemspor auch innerhalb der türkischen Gemeinde in Berlin eine starke und selbstbewußte Position. Das ist ganz außergewöhnlich“, sagte die Integrationsbeauftragte des DFB, Gül Keskinler bei der Verleihung des Integrationspreises. Die Jury, der unter anderem Oliver Bierhoff und der DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger angehörten, würdigten das breite Spektrum des sozialen Engagements von Türkiyemspor sowie die „multiethnische Mitgliederstruktur“ des Clubs. Die öffentliche Anerkennung, die Türkiyemspor für seine erfolgreiche soziale Arbeit erhält, hat ironischerweise zunächst dazu beigetragen, dass in manchen Medien der Eindruck entstehen konnte, es handele sich eher um ein Projekt von street workern als um einen ambitionierten Sportverein. Dabei greift beides auf vielfälte Weise ineinander. Ein zentraler Punkt ist dabei äußerst unsportlich: der Rassismus im Fußball. So berichten die Spieler der ersten Mannschaft von der unglaublichen Selbstverständlichkeit, mit der sie in den Fußballstadien immer wieder diskriminiert und ausgegrenzt werden. „Man hat schon Angst, was vor dem Spiel, was nach dem Spiel noch passieren könnte“, sagt der Spieler Hakan Cankaja vor einem Spiel in Chemnitz. „Bei Auswärtsspielen werden wir häufig beschimpft, mit Gegenständen beworfen oder direkt attackiert. Es ist beschämend, dass so etwas noch immer passiert“, stellt der Vereinsvorsitzende Celal Bingöl fest.

Günter Piening hat als Migrationsbeauftragter des Senats Türkiyemspor seit 2007 bei mehreren Auswärtsspielen begleitet: „Es hat in den letzten Saisons, als Türkiyemspor noch in der Oberliga gespielt hat, immer wieder Konflikte mit Fans gegeben. Der DFB hat einige Spiele als Risikospiele eingestuft.“ Deutlich benennnt Piening in Gesprächen mit dem DFB das Verhalten von gewalttätigen oder beleidigenden Fans und fordert die Verantwortung der Vereine klar ein.

Türkiyemspor selbst hat als Antwort auf die langen Erfahrungen von rassistischer Diskriminierung – durch die Fans anderer Mannschaften, durch das Verhalten gegnerischer Spieler hinter den Kulissen, sogar durch einen Sportarzt – die Zusammenarbeit mit antirassistischen NGOs und Fans gesucht. Auch andere Sportvereine haben in den letzten Jahren damit begonnen, alternative Jugendarbeit neben dem Fußballplatz anzubieten. Türkiyemspor hat die negativen und verletzenden Erfahrungen in seiner Geschichte offensiv gewendet und ist zu einem Vorreiter in der Entwicklung von sozialen Konzepten im Jugend- und Amateurfußball geworden.

Dringend geboten ist eine taugliche Übungsstätte

Aktuell geht es darum, nach einem Trainingsplatz Ausschau zu halten, den Türkiyemspor fest nutzen kann, und für eine Trainingsbeleuchtungsanlage zu sorgen. Zugleich aber wird es darauf ankommen, mit dem Senat über die Finanzierung einer neue Sportfläche für den Bezirk zu verhandeln – vielleicht am Rande des Tempelhofer Feldes? Cetin Özaydin vom Förderverein Türkiyemspor läßt sich seinen Traum nicht nehmen: Ein regionalligataugliches Stadion in der Nähe Kreuzbergs, das die ersehnten Trainingsbedingungen bietet und den Verein insgesamt besser in die Stadt integriert. Gute Spiele, mehr Publikum, mehr Sponsoren und weiterer Ausbau der sozialen Aktivitäten. Sein Traum ist gar nicht unrealistisch.

Die sozialen Konzepte von Türkiyemspor sind heute für viele Sportvereine zu einem inspirierenden Modell geworden. Insbesondere die von Einwanderer-Communities geprägten Sportclubs schauen bundesweit auf den Kreuzberger Kultverein. Und jetzt, wo der Verein die dritte Kraft im Berliner Fußball ist, muss es unbedingt gelingen, die sportliche Infrastruktur bereitzustellen, die der Verein braucht. Dafür setzen wir uns als Grüne konsequent ein. Wolfgang Lenk