Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) vom 19. Februar 2007 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Februar 2007) und Antwort (Drucksache 16/10395)

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. Wie steht der Senat zu den Plänen des Bundesmi-nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Zuge des Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremden-feindlichkeit und Antisemitismus“ sogenannte mobile Kriseninterventionsteams zu bilden, insbesondere unter dem Aspekt, dass das Fünf-Millionen-Programm vom Bundestag zur Erhaltung von bewährten Beratungsstruk-turen gegen Rechtsextremismus gedacht war?

2. Teilt der Senat die kritische Position vieler, dass die Einführung der mobilen Kriseninterventionsteams, die auf kurze Dauer angelegt sind, die permanente Präventiv-arbeit (von Opferberatungsstellen etc.) gefährden könnte?

Zu 1. und 2.: Das auslaufende Aktionsprogramm der Bundesregierung „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ (2002 bis 2006, verlängert bis 30. Juni 2007) wird durch zwei Bundesprogramme weitergeführt und zwar erstens durch das Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ und zweitens durch das Programm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“.

Die Förderung der langfristig angelegten, sogenannten „Strukturprojekte“ (z. B. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, Opferberatung) ist nicht im Rahmen des ersten Programms „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ vorgesehen, sondern im Rahmen des Programms „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“. Für dieses Programm beabsichtigt die Bundesregierung 5 Mio. Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen.

Da die Fragen der Kleinen Anfrage sich auf „mobile Krisenintervention“ und „Erhaltung von bewährten Beratungsstrukturen gegen Rechtsextremismus“ beziehen, wird in der Beantwortung ausschließlich auf das zweite Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“ („Fünf-Millionen-Programm“) eingegangen.

Im Rahmen des bisherigen, Ende Juni 07 auslaufenden Bundesprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ Teilprogramm „CIVITAS“ sind in Berlin insbesondere sogenannte Strukturprojekte durch Bundesmittel initiiert und über einen Zeitraum von 2001 bis zunächst Mitte 2007 finanziell gefördert worden. Zu diesen Strukturprojekten gehören insbesondere

  • Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in der Trägerschaft des „Verein für demokratische Kultur in Berlin e. V. (VDK)“,
  • Mobiles Beratungsteam Ostkreuz für menschen-rechtsorientierte Demokratie und Integration in der Trägerschaft des „Sozialpädagogische Institut (SPI)“,
  • ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in der Trägerschaft des „Ariba e. V.“,
  • „Netzwerkstelle [moskito] gegen Fremdenfeindlich-keit“ in der Trägerschaft der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH.

Die o. g. Mobilen Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus bzw. für menschenrechtsorientierte Demokratie und Integration, ReachOut – Opferberatung und die Netzwerkstelle haben in den vergangenen Jahren zu einer Verstetigung und Professionalisierung der Arbeit gegen Rechtsextremismus geführt. Sie haben erfolgreiche Arbeitsformen und Kooperationsbeziehungen sowie kontinuierliche und verlässliche Strukturen aufgebaut, an denen andere Initiativen und Maßnahmen anknüpfen können. Die mobilen Beratungsteams beraten und begleiten kommunale Akteure, wie z. B. Vereine, Verbände, Initiativen und Bündnisse aber auch Bezirksämter und bezirkliche Einrichtungen. Durch die bisherige Finanzieche Einrichtungen. Durch die bisherige Finanzierung der Mobilen Beratungsteams und der Opferberatungsstelle ist ein hoch effizientes, an die Berliner Situation angepasstes, Beratungssystem entstanden.

Der Berliner Senat bewertet die Arbeit der genannten Projekte positiv und hat diese im Jahr 2006 mit insgesamt 349.000 € aus Landesmitteln Kap. 0903, Titel 68569 (Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus) im Rahmen einer notwendigen Ko-Finanzierung finanziell unterstützt. Der Senat hält die Fortsetzung der bewährten, auf Nachhaltigkeit angelegten Arbeit der o. g. Projekte für notwendig. Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus ist eine langfristige Aufgabe des Gemeinwesens und erfordert handlungsfähi-ge Demokraten vor Ort.

Der Senat teilt daher die in der Fachöffentlichkeit diskutierte, kritische Position gegenüber einer ersten Programmkonzeption („Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“), die nahelegte, dass allein auf die Finanzierung mobiler, auf kurze Dauer von 2 – 3 Monaten angelegte Kriseninterventionsteams gesetzt und die Fortführung der auf Langfristigkeit angelegten Beratungsstrukturen ver-nachlässigt werden könnte. Ein solches ausschließlich auf kurzfristige und kurzzeitige Krisenintervention angelegtes Förderprogramm entspräche in der Tat nicht den Anforde-rungen, die an eine auf Stärkung und Entwicklung nach-haltiger, zivilgesellschaftlicher und demokratischer Struk-turen im Gemeinwesen gerichteten Arbeit gegen Rechts-extremismus zu stellen sind.

3. Würde durch die Etablierung der mobilen Krisen-interventionsteams die Arbeit und Finanzierung der Mobi-len Beratungsteams in Berlin gefährdet bzw. beeinträch-tigt werden? Wenn ja, wie will der Senat in diesem Fall die Arbeit sicherstellen?

Zu 3.: Ja; da die programmatischen Überlegungen der Bundes-regierung zu einem neuen Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventions-team gegen Rechtsextremismus“ noch nicht in endgültiger Form vorliegen und sich noch in der Diskussion befinden, können derzeit Aussagen über eventuell notwendig wer-denden Handlungsbedarf für betroffene Projekte noch nicht getroffen werden.

4. Wann hat sich der Senat an der Entwicklung bzw. Umsetzung dieser neuen Struktur, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, eingebracht bzw. wird er sich noch einbringen, und mit welcher Intention und zu welchen konkreten Ergebnissen hat dies bisher geführt?

Zu 4.: Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung war frühzeitig in die Entwicklung des neuen Bundespro-gramms „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ eingebunden und steht seit dem Sommer 2006 in aktiver Diskussion mit dem Bundesministeriumzur Ausgestaltung der inhaltlichen Schwerpunkte des Programms sowie zum Umsetzungsverfahren.

Mit der Verabschiedung der neuen Geschäftsordnung des Senats ist die Zuständigkeit für die Koordinierung ressortübergreifender Programme auf den Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und Migration übertragen worden. Am 28. Februar 2007 wurde den Ländern das Programm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“ erstmals vom zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erläutert. Der Integrationsbeauftragte hat auf dieser Veranstaltung die unter 2. und 3 skizzierten kritischen Positionen hinsichtlich der Programmkonzeption von „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“ zum Ausdruck gebracht.

Von Seiten des zuständigen Ministeriums wurde erklärt, dass auch die bewährten Beratungsstrukturen in den Ländern im Rahmen des Gesamtkonzepts des o. g. Förderungsprogramms finanziert werden können. Eine entspre-chende Klarstellung wurde bis zum 9. März 07 zugesagt. Das Land Berlin wird sich an der Umsetzung des Pro-gramms aktiv beteiligen.

5. Gibt es schon erste Konzepte zur Umsetzung der neuen Struktur in Berlin z.B. der Landeskoordinierungsstelle?

Zu 5.: Die Landeskoordinierung für das Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“ wird zukünftig der Beauftragte für Integration und Migration übernehmen bei dem auch das Berliner Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-mus etatisiert ist.

6. Ist es richtig, dass bei der Umstrukturierung die Netzwerkstellen eine neue koordinierendere Rolle einnehmen sollen? Wenn ja, wie soll diese genau ausgestaltet sein, und wie sind die Netzwerkstellen selbst in den Prozess eingebunden?

Zu 6.: Entsprechende Überlegungen sind nicht bekannt.

7. Wann hat der Senat sein Vorschlagsrecht bei der ersten und zweiten Säule des neuen Bundesprogramms wahrgenommen? Welche Vorschläge, insbesondere der Modellprojekte der zweiten Säule, sind vom Senat gemacht worden, und bis wann ist mit einer Finanzierungs-aussage des Bundes zu rechnen?

Zu 7.: In dem bisher bekannt gewordenen Entwurf zum Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventionsteam gegen Rechtsextremismus“ ist von einem Vorschlagsrecht der Länder nicht die Rede. Vielmehr beabsichtigt das BMFSFJ – gemäß dem genannten Programmentwurf – die Mittel für die Programmsäule 2 (Modellprojekte) „themenbezogen auf der Basis eines beschränkten Interessenbekundungsverfahrens“ zu vergeben.

8. Welche Modellprojektvorschläge in welchen Bezir-ken und mit welchen Partnern sind bisher aus Berlin ein-gereicht worden?

Zu 8.: Das zukünftige Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobiles Kriseninterventions-team gegen Rechtsextremismus“ befindet sich noch im Stadium der Diskussion. Daher kann derzeit noch nichts zu eventuellen Anträgen gesagt werden.

Berlin, den 19. März 2007

In Vertretung

Kerstin Liebich

Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. März 2007)