Das Sanierungsgebiet Rathausblock Kreuzberg kennen inzwischen wohl viele. Dass es sich dabei um ein Modellprojekt in Sachen Beteiligung und Kooperation handelt, wissen vielleicht nur einige.
Nur was ist unter Gemeinwohlwaben zu verstehen?
Aber der Reihe nach: Bereits vor 10 Jahren haben sich die ersten stadtpolitischen Initiativen dafür eingesetzt, dass das Areal der ehemaligen Dragonerkaserne am Mehringdamm sozial und nachhaltig entwickelt wird und in Gemeinbesitz bleibt. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben BImA sah keine Verwendung mehr dafür und wollte die Liegenschaft meistbietend auf den Markt werfen. In langem Kampf vieler Initiativen und Akteur*innen gelang es tatsächlich, zwei Verkäufe an private Investor*innen abzuwehren. Im Sommer 2019 konnte schließlich Berlin in das Grundbuch eingetragen werden. Fast zeitgleich wurde der Kooperationsvertrag Modellprojekt Rathausblock Kreuzberg unterzeichnet, zwischen vier kommunalen und zwei zivilgesellschaftlichen Akteur*innen: Senat, Bezirk, die beiden städtischen Gesellschaften Berliner Immobilienmanagement und Wohnungsbaugesellschaft Mitte sowie Forum Rathausblock und Vernetzungstreffen Rathausblock der zivilgesellschaftlichen Initiativen [VTR]
Einmaliges innerstädtisches Entwicklungsvorhaben
Die Besonderheit liegt jedoch nicht allein in der Rückgewinnung des Areals für die Stadt, auch nicht nur in dem offenen kollaborativen Prozess, sondern außerdem in der Konstellation der Liegenschaften: Die ehemalige Kaserne liegt zusammenhängend mit den Grundstücken des Finanzamts Kreuzbergs [das Gebäude der ehemaligen Soldatenunterkünfte], des Rathauses an der Yorckstraße und einem kommunalen Grundstück an der Obentrautstraße, das für Geflüchtetenwohnen vorgesehen ist. Damit liegen im gut 9 Hektar großen Block 6,8 Hektar kommunaler Flächen, die nun im Verbund kommunal-zivilgesellschaftlich entwickelt werden.
Dieses einmalige innerstädtische Entwicklungsvorhaben ist also prädestiniert für eine zukunftsweisende Planung. Und hier kommen die Gemeinwohlwaben ins Spiel:
Sie wurden ursprünglich als Kulturwaben, als offene Begegnungsorte vom Künstler Jens Ulrich vorgestellt, der in der Alten Reithalle auf dem Gelände sein Atelier hat. In einem zweiten Schritt wurden sie von einer Arbeitsgruppe aus zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in einer vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg geförderte Konzeptstudie zu den Gemeinwohlwaben weiterentwickelt. Diese wurden schließlich als Projekt in einer Kooperationsvereinbarung gesichert. Darin sind ihnen fünf bis zehn Prozent der gesamtem Bruttogeschossfläche auf dem sogenannten Dragonerareal vorbehalten – ein visionärer und innovativer Ansatz, der die üblichen Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge um gemeinwohlorientierte zivilgesellschaftliche Verantwortung ergänzt.
Wabenträger*in, Wabenrat, Primärwaben, Sekundärwaben…
Das Wabenkonzept beschreibt eine organisatorisch und inhaltlich vernetzte Struktur von Räumen und Flächen mit einer gemeinwohlorientierten Nutzung im und um den Rathausblock. Die selbstverwaltete Struktur der Waben wird durch eine gemeinnützige Wabenträger*in ökonomisch gesichert, um eine dauerhafte gemeinwohlorientierte Nutzung zu garantieren. Sie wird aus dem Kreis der bereits bestehenden Wabennutzungen im Rathausblock gebildet. In Aushandlung mit der Kommune, beispielsweise im Rahmen von besonders günstigen bis zinslosen Erbbaurechten, verwaltet die Wabenträger*in Räume und Flächen, die auf der einen Seite Mieteinnahmen generieren und auf der anderen Seite zu einem geringen Betrag beziehungsweise zu Betriebskosten gemeinwohlorientierten Nutzungen überlassen werden. Im Rahmen der Aushandlung von Vergaben an Dritte wird sie als Partner*in einbezogen um sicherzustellen, dass diese Dritten sich am Wabenkonzept beteiligen.
Die Vergabe und Programmierung der Waben wird durch den Wabenrat koordiniert, der sich aus allen Wabenakteur*innen zusammensetzt. Durch einen permanenten Wechsel der Wabennutzungen und -gruppen wird eine stetige Neuordnung des Wabenrats gesichert. Die Wabenräume und -flächen werden in einem noch zu bestimmenden Anteil zeitlich bzw. projektbezogen vergeben, was eine Vielfalt und einen Wechsel der Nutzungen erlaubt. Die Anteile werden über eine Quote durch Wabenträger*in und Wabenrat festgelegt. Nicht zeitlich befristete Waben werden ausnahmsweise vordefiniert, um bestimmte Nutzungen wie beispielsweise eine offene Werkstatt oder einen Veranstaltungsraum langfristig zu etablieren. Die Überlassung erfolgt auf Grundlage des abgestimmten und in Vereinbarungen festgeschriebenen Konzepts. Wird dieses nicht mehr verfolgt, kommt es zum sogenannten Heimfall: die Wabenräume und -flächen stehen dann einer neuen Nutzer*innengruppe zur Verfügung. Die Einteilung in Primär- und Sekundärwaben ermöglicht eine solidarische Programmierung aller Flächen, also auch privater. Während erstere wie beschrieben ausschließlich einer gemeinwohlorientierten Nutzung vorbehalten sind, öffnen sich letztere als Privatflächen dieser immerhin temporär.
Solidarfonds, Wabenbüro, Ressourcenpool
Sämtliche Mieter*innen auf dem Areal unterstützen die Wabenstruktur, indem sie einen Solidaraufschlag pro gemieteter Fläche zahlen und/oder Expertise/Zeit für ehrenamtliche/ gemeinwohlorientierte Tätigkeiten zur Verfügung stellen. Überschüssige Einnahme durch Miete/ Solidarbeiträge werden in einen revolvierenden Fonds eingespeist, den Solidarfonds für eine sozial gerechte kooperative Stadtentwicklung. Diese Mittel werden für die Weiterentwicklung der Nachbarschaft im Rathausblock und Umgebung eingesetzt: sie fördern gemeinwohlorientierte, soziale und kulturelle Nutzungen, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, gemeinschaftliche Aktivitäten und [Infra-]Strukturen wie beispielsweise eben jene Waben oder fördern vergleichbare quartiersbezogene Projekte [Multiplikation des Modells].
Die Wabennutzungen können auf einen gemeinsamen Pool von Material, Technik und Infrastruktur zugreifen, was Kosten reduziert und Ressourcen einspart. Dieser Ressourcenpool kann auch Nutzungen außerhalb der Wabenstruktur zur Verfügung gestellt werden. Das Wabenbüro koordiniert als Geschäftsstelle und Hausmeisterei die Abläufe vor Ort und besorgt eine nachhaltige Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Räume: Organisation, Infrastruktur, Haustechnik.
Gemeinwohlwaben schaffen selbstverwaltete, demokratische, frei zugängliche und analoge Kultur- und Kommunikationsräume ohne Konsumzwang, die sich der Bodenverwertungslogik dauerhaft entziehen.
Vernetzungstreffen Rathausblock [VTR], rathausblock.org