Ein sonntäglicher Besuch in der Kirche des Heiligen Symeon Stylites.

Am Petersburger Platz in Friedrichshain kann man Kirchengeschichte live erleben. Hier wirkt die altkalendarische christlich orthodoxe Gemeinde des Heiligen Symeon Stylites. Seit Jahrzehnten sehen sich die Altkalendarier als die letzten Siegelwahrer des orthodoxen Christentums.

Der kleine, fensterlose Kirchenraum ist mit circa 15 Gläubigen zur Hälfte gefüllt. Familien und Einzelpersonen haben sich zum Gottesdienst nach orthodoxem Ritus eingefunden. Die Frauen tragen Kopftücher. Es werden andächtig Kerzen entzündet und feierliche Gesänge intoniert. Pater Theodor, ein würdevoller Mann mit weißem Bart, führt gemeinsam mit seinem heutigen Gast, Pater Grigori aus Sankt Petersburg, durch den Gottesdienst. Deutsch, Griechisch und Russisch sind die Sprachen des Vormittags und spiegeln somit die Vielfalt der Gemeinde wider, welche enge Kontakte zu Glaubensbrüdern und -schwestern in Ost- und Südosteuropa unterhält. Es herrscht eine harmonische und fast schon familiäre Atmosphäre, welche auch in der Zeit nach dem Gottesdienst erhalten bleibt. Die Anwesenden stellen eine Kaffeetafel zusammen und plaudern noch über mehrere Stunden miteinander.

Die Wahrheit zwischen Himmel und Sternen

Die Gemeinde besteht seit nunmehr 22 Jahren und war vor der Wiedervereinigung in Steglitz beheimatet. Ob dieser Ortswechsel mit der Konkurrenz der in Steglitz ansässigen offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche zu erklären ist? Die Gemeindevertreter halten sich diesbezüglich bedeckt. „Die Griechisch-Orthodoxe Kirche hat in der Vergangenheit eine Politik gegen den Willen der Gläubigen betrieben „, gibt Pater Theodor indes zu bedenken und spielt auf eine modifizierte Übernahme der von Papst Gregor XIII. initiierten Kalenderreform 1924 durch die griechisch-orthodoxe Staatskirche an. Da dieser Schritt mit einer unerwünschten Anlehnung an katholische Vorgaben gleichgesetzt wurde, gründete eine Gruppe geistlicher Würdenträger Griechenlands die Kirche der Reinen Orthodoxen Christen, die Altkalendarier. Ihre Anhänger sahen und sehen sich als Wahrer und Beschützer der christlich-orthodoxen Traditionen und führten demzufolge in entsprechenden Kirchengemeinden den alten Kalender wieder ein. Nach anfänglichen Erfolgen in Griechenland sowie bei der griechischen Diaspora in den USA bedingten interne Querelen eine Stagnation bezüglich der Mitgliederzahlen. Geblieben sind bis zum heutigen Tage die Differenzen dieser Altkalendarier mit der Griechisch-Orthodoxen Kirchenführung. „Wir haben uns nicht von der Griechisch-Orthodoxen Kirche getrennt! Die dortigen Kirchenoberen haben den Pfad der Orthodoxie verlassen – warum sollten wir ihnen folgen?“ fragte ein junges Gemeindemitglied zum Abschied.

Dem Himmel etwas näher

Es sieht tatsächlich danach aus, dass die Gläubigen auch in Zukunft standhaft zu ihren Prinzipien stehen werden, egal wie klein ihre Gemeinschaft auch sein mag. Insofern wählte die Gemeinde am Petersburger Platz mit dem Namenspatron Symeon Stylites eine passende Persönlichkeit. Um Gott nahe zu sein, lebte dieser Asket mit großer Entschlossenheit die letzten dreißig Jahre seines Lebens auf einer schmalen dafür aber neunzehn Meter hohen Säule.

Alexander Jossifidis

Zur Info:

Im Jahre 1582 ließ Papst Gregor XIII. eine Kalenderreform durchführen, mit der der Kalender mit der Astronomie wieder in Einklang gebracht werden sollte. Der nach ihm benannte Gregorianische Kalender bedeutete das Überspringen von zehn Tagen – dem 4. Oktober folgte unmittelbar der 15. Oktober. Aufgrund ihrer Konkurrenz zur katholischen Kirche verweigerte die orthodoxe Kirchenführung jedoch die Übernahme dieses Kalenders. Erst mehrere hundert Jahre später übernahmen orthodox geprägte Staaten den „Katholischen“ Kalender. Russland führte ihn nach der Oktoberrevolution von 1917 ein, weshalb die Revolutionsfeierlichkeiten in der Folgezeit am 7. November zelebriert wurden. Der griechische Staat folgte in den zwanziger Jahren. Parallel hierzu erarbeitete die griechisch-orthodoxe Kirchenführung im Jahre 1924 eine modifizierte Variante des gregorianischen Kalenders. Dies stieß auf internen Widerstand und führte zur Herausbildung einer Gemeinschaft von Altkalendariern.