BVV beschließt auf Antrag der Grünen die Umbenennung des Gröbenufer in May-Ayim-Ufer

Nach langen Debatten im Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg (BVV) hat das Bezirksparlament am 27. Mai 2009 dem grünen Antrag auf Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufer in May-Ayim-Ufer zugestimmt.

Gröben – Förderer der Sklaverei

Dank einer von der grünen Fraktion beauftragten Expertise steht zweifelsfrei fest, dass das Gröbenufer nach dem ostpreußischen Major und Söldner Otto Friedrich von der Gröben (1657-1728) benannt ist. Er galt im 19. Jh. und bis ins 20. Jh. hinein als Pionier des deutschen Kolonialismus. Im Jahre 1895, einer Zeit also, in der Kaiser Wilhelm II. – und mit ihm viele Menschen und politische Parteien – vom deutschen Reich als großer Kolonialmacht träumte, ehrte eben jener Kaiser von der Gröben mit der Uferbenennung. Mit der Ehrung von der Gröbens als erstem Kommandanten und Gründer der Festung Groß-Friedrichsburg an der Küste von Guinea (im heutigen Ghana), sollte an jene „erhebende Epoche“ Ende des 17. Jh. erinnert und angeknüpft werden, als Brandenburg schon einmal erfolgreich koloniale Handelsstützpunkte in Afrika errichtet hatte. So haben sich die Brandenburger von 1683 bis 1717 u.a. lebhaft am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt. Nach Schätzungen von HistorikerInnen sollen von den Brandenburgern bis zu 30.000 afrikanische Männer, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft worden sein. Jede 10. Person soll noch nicht einmal den Transport an den Bestimmungsort überlebt haben.

May Ayim – Dichterin und Aktivistin

May Ayim, die afrodeutsche Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der Schwarzen Bewegung in Deutschland und der Frauenbewegung wurde als neue Namensgeberin für die Uferstraße vorgeschlagen, weil sie in ihren literarischen, wissenschaftlichen und politischen Arbeiten deutlich gemacht hat, dass Kolonialismus und Rassismus keine Themen der Vergangenheit sind, sonder zu den wirkmächtigsten und folgeschwersten historischen Hypotheken gehören, mit denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben.

Rassistische Stereotypen und Klischees, wie die vermeintliche Höherwertigkeit „deutscher“ Zivilisation und Kultur und damit einhergehend die Abwertung von Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, wurden maßgeblich in der Zeit des Kolonialismus geprägt. Sie erfuhren eine Verfestigung in der Zeit des Nationalsozialismus und wirken bis in unsere heutige Zeit fort. Während sich die deutsche Gesellschaft mit der NS-Zeit intensiv auseinandergesetzt hat, sind die kolonialen Unternehmungen Deutschlands und ihre Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft kaum bekannt. Im Geschichtsunterricht und in den Geschichtsbüchern erfahren wir bislang wenig bis nichts über diese Zusammenhänge. Mit der Umbenennung des Gröbenufer in May-Ayim-Ufer will die grüne Fraktion nun einen Ansatzpunkt im öffentlichen Raum bieten, der solch eine Auseinandersetzung mit deutscher Kolonialgeschichte ermöglicht. Die grüne Fraktion plädiert dafür, auf einer dauerhaft öffentlich zugänglichen Informationstafel in der Uferstraße die Gründe und Hintergründe der Umbenennung zu dokumentieren und zu erläutern.

Das Besondere bei der Umbenennung ist, dass der koloniale Bezug im Straßennamen erhalten bleibt, aber die Erinnerungsperspektive umgekehrt wird: nicht der Kolonialpionier soll geehrt werden, sondern mit May Ayim eine Frau, die sich mit den Folgen von Kolonialismus in der heutigen Zeit auseinandergesetzt hat. Denn vor dem Hintergrund, dass in Deutschland noch immer primär schwarze Menschen Opfer von rassistisch motivierten Gewalttaten werden, halten wir es für notwendig, unsere Gesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren.

Elvira Pichler, Bezirksverordnete, Kulturpolitische Sprecherin