Hans-Christian Ströbele zum G8-Treffen in Heiligendamm
Vom 6.-8. Juni 2007 wird in Heiligendamm der Gipfel der acht mächtigsten Industriestaaten (USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada, Japan und Russland) stattfinden. Verschanzt hinter einer Mauer und von einem immensen Polizeiaufgebot geschützt.

Stärkung der UN statt G 8

Die G8 stellt ein undemokratisches, nicht legitimiertes, ausschließendes und untransparentes Gremium dar. Vertreter von nur 13,5 % der Weltbevölkerung aber über 50 % des Welthandels und 65 % des Weltbruttonationaleinkommens maßen sich an, die Weltwirtschaft zu lenken und zu koordinieren. Andere Länder werden nicht als gleichberechtigte Partner anerkannt. Bevölkerungsreiche Staaten wie China, Indien, Brasilien, Indonesien, Iran etc. sind gleichfalls wirtschaftlich gewachsen. Deshalb dürfen die wichtigen Fragen des Globalisierungsprozesses nicht allein von den G8 entschieden werden. Eine Erweiterung der G8 ist keine Alternative. An ihrer Stelle braucht es vielmehr eine Stärkung und Reformierung demokratisch legitimierter internationaler Organisationen, insbesondere der Vereinten Nationen. Forderungen und Kritik sind gleichwohl an die Mitglieder der G8 zu richten. Als Hauptverursacher von globalen Problemen wie z.B. Klimaerwärmung, ungleicher Reichtumsverteilung, Ressourcenhunger der Industrie- und Schwellenländer, Verschuldung armer Länder und ungerechter Strukturen im Welthandelssystem. Diese Themen sind endlich auf die Agenda zu setzen.

Der Klimawandel verschärft die sozialen Ungerechtigkeiten

Die G8-Staaten tragen einen unverhältnismäßig großen Teil zum weltweiten CO²-Ausstoß bei. Daher wiegt ihre Verantwortung für den Klimawandel besonders schwer. Vor allem die südlichen Länder und Inselstaaten haben heute und zukünftig an den Folgen zu leiden. Die herrschenden sozialen Ungerechtigkeiten werden weiter verschärft. Die Bundesregierung muss sich für ein den Flug- und Straßenverkehr umfassendes Emissionshandelssystem einsetzen sowie ein radikales, alle Staaten einschließendes Klimaschutzabkommen. Potenziale zur Energieeffizienz, zum Energiesparen und zum Ausbau erneuerbarer Energien müssen konsequenter genutzt werden. Eine globale Kerosinsteuer wäre ein erster konkreter Schritt. Ökologische Kosten, etwa für Warentransport, müssen in den Preis integriert werden. Die Entwicklungs- und Schwellenländer müssen Zugang zu neuen, CO²-armen Technologien und nachhaltigen Entwicklungskonzepten erhalten.

Entwicklung und Frieden lassen sich nicht trennen

2005 wurden 956 Milliarden US $ für Rüstung, dagegen nur 78 Milliarden für Entwicklungszusammenarbeit aufgebracht. Das Rüstungsgeschäft ist ökonomisch absurd: die westliche Welt liefert den Entwicklungsländern heute Waffen für Kriege, und stellt ihnen morgen Gelder zum Wiederaufbau bereit. Gleichzeitig werden durch steigende, auch atomare Rüstung die übrigen Staaten stärker latent bedroht. Die Grundlage des Atomwaffensperrvertrages wird durch die Aufrüstung, vor allem der USA, untergraben. Maßnahmen wie Global-Strike-Plan, Mini-Nukes, Drohnen, Präventivkriegs-Option werden durch die amerikanischen Raketenabwehrsysteme BMD (Ballistic Missile Defense) bzw. NMD (National Missile Defense) weiter ausgebaut. Mit den Begriffen „Achse des Bösen“ und dem „War on Terror“-Paradigma wird versucht, neue Globalisierungskonflikte mit Krieg zu beantworten. Entwicklung und Frieden aber lassen sich nicht trennen! Wir brauchen eine drastische Abrüstung und ein Umlenken der Forschungsgelder. Nur so können mehr Staaten zum Beitritt bzw. Ratifizierung von Atomwaffensperrvertrag und dem Kernwaffenteststopp-Vertrag veranlasst werden.

Gleichberechtigung und Transparenz im Welthandel

Die Entwicklungsländer müssen gleichberechtigt an den Entscheidungen über die Welthandelsregeln beteiligt werden. Dazu braucht es Partizipationschancen und Transparenz. Umfassende Reformen der WTO (World Trade Organization), des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank-Gruppe müssen vollzogen werden auf Grundlage eines weltweiten Vertragsrechts, das Demokratie, Menschenrechte und Umwelt- und Sozialstandards festschreibt. Konkrete Alternativen für die WTO sind zu entwickeln, wie eine Koalition der Willigen, die für ökologische und soziale Standards eintritt. Die Industriestaaten predigen die Liberalisierung des Handels, praktizieren diese, wie bei der Agrarpolitik, selbst aber nur, wenn es ihnen gefällt: sie verhindern die Ernährungssouveränität sowie faire Wettbewerbsbedingungen der Entwicklungsländer und drängen auf die Öffnung der Märkte für ihre subventionierten Produkte und. Diese Subventionen müssen endlich gestrichen werden. Den einseitigen Privatisierungsbestrebungen von öffentlichen Gütern muss entgegengetreten werden: Zugang zu sauberen Wasser oder zu Bildung für alle Menschen darf nicht aus den öffentlichen Händen gerissen werden!

Entschuldung der Entwicklungsländer

Der 2005 von den G8 groß angekündigte Schuldenerlass war ein Mediengag, da er nicht dort entschuldete, wo es gebraucht wurde. Ein hoher Anteil des Entschuldungsvolumens entfiel auf den Irak, mitnichten ein klassisches Entwicklungsland, sondern erst durch den Krieg zu einem „failing state“ geworden. Im Hinblick auf noch vorhandene Schulden brauchen wir ein faires und transparentes Schiedsverfahren für alle Schuldnerstaaten. So genannte illegitime Schulden, d.h. Schulden, die dadurch entstanden sind, dass die G8-Staaten Diktaturen unterstützt haben, und deren Begleichung von den nachfolgenden demokratischen Regierungen berechtigterweise abgelehnt wird, müssen sämtlich gestrichen werden! Die seit den 70er Jahren bestehende Forderung, 0,7 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) für Entwicklungshilfe einzusetzen, ist noch längst nicht in die Tat umgesetzt worden. Das Erreichen dieses Ziel bis 2015, wie vom Europäischen Rat beschlossen, darf jedoch nicht durch das Gegenrechnen von Schuldenerlassen geschehen. Wir brauchen auch innovative Finanzierungsinstrumente wie Steuern auf Devisentransaktionen (Tobin-Steuer) oder eine Flugticketabgabe.

Abschiebungen stoppen

Der Wohlstand der G8-Staaten basiert auch auf globaler Ungleichheit. Deshalb sehen wir Bündnisgrünen es als moralische Pflicht an, MigrantInnen Schutz und gerechte Lebensvoraussetzungen zu bieten. Das Recht, den eigenen Wohn- und Lebensort selbst zu wählen, ist ein Menschenrecht und sollte politisch umgesetzt werden. Die aktuelle Migrationspolitik der G8-Staaten sowie anderer EU- und Industrieländer kritisieren wir scharf: Abschiebungen sind völlig inakzeptabel.

Wir müssen Kritik und Proteste gegen die G8 nutzen, um breite, öffentliche Debatten über eine friedliche, gerechte und nachhaltige Zukunft unserer Welt anzustoßen. Deshalb appelliere ich an alle, sich aktiv, bunt und friedlich an den Protesten zu beteiligen und in Heiligendamm zu demonstrieren!

Hans-Christian Ströbele, MdB

Siehe auch den Aktionsfahrplan zum G8-Gipfel in dieser Ausgabe