DS/1992/IV Ursprung: Antrag
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Das Bezirksamt wird beauftragt, die Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg nach Gilberto Bosques zu benennen.
Begründung:
Gilberto Boques (*20. Juli 1892 in Chiautla – + 4. Juli 1995 in Mexiko-Stadt), mexikanischer Diplomat, der während des zweiten Weltkrieges zahlreichen deutschen (darunter auch vielen Berliner*innen) und österreichischen Flüchtlingen Hilfe und Asyl gewährte.
Gilberto Bosques war als mexikanischer Generalkonsul ab 1939 zunächst in Paris und dann, nach der Besetzung großer Teile Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht, in Marseille, dem Sitz der mit den Deutschen kollaborierenden Vichy-Regierung, tätig. In dieser Funktion stellte er zahlreichen Flüchtlingen – nach Südfrankreich geflohenen Kämpfern aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Juden, Antifaschisten, Sozialisten, Künstler*innen und weiteren vom Nazi-Regime bedrohten Menschen, – Ausreisepapiere und Visa für Mexiko aus, verschaffte ihnen auch die Schiffspassagen nach Mexiko. Er ermöglichte auf diese Weise unter anderem auch Anna Seghers, Hanns Eisler,
Walter Janka, Marie Pappenheim, Egon Erwin Kisch und Bruno Frei die Flucht nach Mexiko.
Einigen Quellen zufolge hat er so 40.000 Menschen das Leben retten können. Im englischsprachigen Raum wird Bosques oft als der „mexikanische Schindler“ bezeichnet. Denn obwohl er dazu nicht ermächtigt war, erteilte er auch Einreiseerlaubnisse an Personen, die in den Internierungslagern des Vichy-Regimes interniert waren. Bei Marseille mietete er zwei Schlösser, in denen tausende Flüchtlinge Schutz, Essen und medizinische Versorgung erhielten, bevor sie sich auf die Schiffsreise machen konnten.
Für viele der Menschen, die so Zuflucht und Sicherheit in Mexiko bekamen, war dies ein „Visa al Paradiso“, ein Visum fürs Paradies. Das Parlament Mexikos und Präsident
Lazaro Cardenas, wie auch sein Nachfolger Präsident Avila Camacho, verkörperten mit ihrer gegen den Faschismus in Italien, Spanien und Deutschland gerichteten Politik das freie, hochherzige Mexiko dieser Zeit.
Anna Seghers hat Gilberto Bosques und dem mexikanischen Generalkonsulat in ihrem Roman Transit ein literarisches Denkmal gesetzt.
Als Mexiko im Mai 1942 an der Seite der Alliierten in den Krieg gegen Hitler-Deutschland eintrat, wurden Gilberto Bosques und alle Mitarbeiter*innen des Konsulats von der Gestapo verhaftet, nach Deutschland verschleppt und bis Februar 1944 in Bad Godesberg interniert, bis sie nach über einem Jahr Hausarrest dann gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht wurden und in ihre Heimat zurückkehren konnten. Als Bosques im März 1944 mit dem Zug in Mexiko-Stadt eintraf, bereiteten ihm tausende Menschen, die ihm ihr Leben verdankten, einen triumphalen Empfang.
Als Botschafter Mexikos in Portugal (1944-46) rettete Bosques dann abermals vielen Flüchtlingen aus Spanien und anderen Verfolgten das Leben. Ebenso als Botschafter Mexikos in Kuba, wo er auf eigenen Wunsch nach zwischenzeitlichen Aufenthalten in Finnland und Schweden von 1953 bis 1964 tätig war. Auch hier erteilte er hundertfach Visa für Verfolgte der Batista-Diktatur, versorgte die in die Botschaft Geflüchteten bis zu ihrer Ausreise nach Mexiko. In seine Dienstzeit fiel dann auch die Kubanische Revolution. 1964 nach Mexiko zurückgekehrt, trat er aus dem diplomatischen Dienst aus, wohl auch aus Protest gegen die sich verändernde Politik in seiner Heimat.
Damit wurde es dann bis zu seinem Tod im Juli 1995 still um ihn. Er und die von ihm verantworteten großen Rettungsaktionen Mexikos gerieten in Vergessenheit. Das sollte sich erst etwa 5 Jahre nach seinem Tod ändern. Zunächst in Mexiko selbst, dann aber auch in Österreich, wo eine Straße in unmittelbarer Nähe des Wiener Sitzes der Vereinten Nationen nach dem Retter vieler vom NS-Regime verfolgter Österreicher in „Gilberto-Bosques-Promenade“ benannt wurde. Vom Memorial für die Helden und Märtyrer des Holocaust in Israel Yad Vashem wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Und auch in Berlin wurde im Rahmen einer Ausstellung „Letzte Zuflucht Mexiko:
Gilberto Bosques und das deutschsprachige Exil““ in der Akademie der Künste 2012/2013
seiner erstmals auch wieder in Deutschland gedacht. Insbesondere die Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft bemüht sich seitdem darum, Gilberto-Bosques in Berlin eine dauerhafte Ehrung zuteil werden zu lassen und an seine Taten zu erinnern.
Die Beschäftigten der Volkshochschule-Friedrichshain haben sich nun dieses Anliegen zu eigen gemacht und angeregt, die Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg nach Gilberto Bosques zu benennen. Denn hier und heute sind zahlreiche Menschen auf der Flucht und vielleicht mehr denn je angewiesen auf mutige, humanistisch denkende und handelnde Menschen, die bereit sind, ihnen ein „Visa al Paradiso“ auszustellen, sie bei sich aufzunehmen, wie dies Gilberto Bosques für viele verfolgte Deutsche und Berliner*innen getan hat. Einigen von ihnen verdanken wir künstlerische Werke, die ein bedeutender Teil unseres kulturellen Erbes heute sind. Weshalb gerade eine Institution wie die Volkshochschule geeignet und stolz darauf wäre, diesen Namen tragen zu dürfen.
Friedrichshain-Kreuzberg, den 08.12.2015
Bündnis 90 Die Grünen/DIE LINKE
Antragsteller: Werner Heck, Reza Amiri