Aus heutiger Sicht war es für mich ein Glücksfall, bei Tunix  im Januar 1978 dabei gewesen zu sein und den Aufbruch einer neuen alternativen Gründerzeit mitzuerleben. Eine Woche nach dem Treffen, zu dem Tausende nach Berlin gekommen waren, gehörte ich zu denen, die mehr wissen wollten von dem Projekt, das bei Tunix als Traum einer neuen linken Tageszeitung vorgestellt wurde, und ging in das Berliner Lehrerzentrum, einer Fabriketage im Hinterhof der Neuköllner Hermannstraße.

Da saßen nun viele Neugierige im Stuhlkreis und die, die schon länger dabei waren, schauten recht misstrauisch auf diese Leute, die da jetzt gekommen waren, um mitzumachen. Man hatte Sorgen vor Unterwanderung durch versprengte Kader aus den sich auflösenden K-Gruppen. In Berlin wurde gerade der Verein „Freunde der alternativen Tageszeitung“, der als Trägerorganisation für die Aktiven in den Tageszeitungsinitiativen gedacht war, gegründet. Nun galt es, Kriterien zu finden, nach denen diese Initiativen, die sich in vielen Universitäts- und Großstädten bildeten, wachsen konnten, ohne von den Falschen übernommen zu werden.  Solche Sachen wurden an diesem Abend diskutiert und Christian Ströbele schlug vor, den Beitritt neuer Mitglieder zu den Initiativen und in den Verein über ein Bürgschaftsmodell zu lösen, bei dem Vereinsmitglieder beim Eintritt für neue Interessenten bürgen sollten. Christian Ströbeles Agieren bei der Gründung der taz und ihrer Strukturen war strategisch ganz davon geprägt, die Unabhängigkeit der taz gegenüber illegitimen Einflüssen von außen zu bewahren. Ich glaube, das Verfahren mit den Bürgen wurde nie praktiziert, die Dynamik des Projektes ließ das nicht zu.

Hans-Christian Ströbele und Karl-Heinz Ruch (rechts) beim nationalen Plenum der taz 1991 (C)taz

Christian war aber auch der Mann für ganz praktische Schritte. Es war ihm gelungen, einen Raum für die Berliner taz-Initiative zu finden, einen Laden in der Suarezstraße 41 im gediegenen bürgerlichen Charlottenburg nahe dem Lietzensee. Nun ging es um konkrete Schritte. „Das wichtigste ist der Teppich“, wusste Christian. Menschen mit Erfahrung kannten sich damit aus, dass es in solchen Läden immer sehr fußkalt war. Geheizt wurden sie mit Ölöfen und die Schaufensterscheiben bestanden aus einfachem Glas. Die Zeiten waren damals noch nicht so wärmegedämmt wie heute. Zur vorteilhaften Lage gehörte nicht nur der nahe Lietzensee, sondern auch die unmittelbare Nähe zur ersten Geschäftsstelle der Alternativen Liste, wie die Grünen damals in Berlin hießen, gleich um die nächste Straßenecke. Die AL verfügte schon über einen Fotokopierer, so etwas konnte sich die taz nicht leisten. Der Laden in der Suarezstraße wurde für ein Jahr zum Headquarter der Berliner taz-Initiative bis zum Umzug in die ersten Redaktionsräume in der Weddinger Wattstraße im Januar 1979.

Strategie und Praxis hatten in den ersten Jahren der taz einen ganz unterschiedlichen Stellenwert. Es wurde wahnsinnig viel debattiert, Probleme mussten durch lange Diskussionen zu Lösungen  gebracht werden. Es gab ständig Versammlungen, auch überregionale Treffen der taz-Initiativen. Spätestens seit dem regelmäßigen täglichen Erscheinen ab April 1979 zog aber die disziplinierende Wirkung des Redaktionsschlusses in das Kollektiv ein, eine besonders nachhaltige Erfahrung bei diesem learning by doing. Christian Ströbele war in diesen Jahren kein Mitarbeiter der Redaktion, aber ein ständiger Betreuer. Mit seinem Citroën GS und Hütehund Bobo auf dem Beifahrersitz kam er regelmäßig mit belegten Brötchen zu den Versammlungen, stritt mit autonomen Besetzern der Redaktion oder mit den Staatsanwälten der Politischen Abteilung bei den immer wieder stattfindenden Durchsuchungen um die Unabhängigkeit der Presse. Dem Kollektiv war er ein Vermittler und der Redaktion ein juristischer Berater und Anwalt. Übrigens Citroën GS, Christian fuhr sehr gern Auto, niemals Fahrrad, und immer sehr zügig über dem erlaubten Tempo. Ein Vergnügen waren die Kontrollen an den Grenzen, wenn es zu den Treffen nach Westdeutschland ging, unterhaltsam und respektlos das Feixen mit den DDR-Grenzern, wenn wieder das linke Ohr freigemacht werden sollte – warum?

Mitte der 1980er Jahre zeigte sich, dass die taz länger bleiben würde als von den meisten erwartet, anders als „Die Neue“, ein traditionssozialistisches Blatt, das aus dem Berliner Extradienst hervorgegangen war, aber wieder eingestellt wurde. Die taz wurde mit den ökologischen und sozialen Bewegungen der achtziger Jahre groß, parallel zu den Grünen.  1985 ging Christian Ströbele als Bundestagsabgeordneter für die Grünen nach Bonn. Von der taz erhielt er einen gläsernen Koffer mit 100 DM Scheinen, Schokoladengeld.

Richtig zur Sache ging es nach dem Fall der Mauer. Zehn Jahre nach ihrer Entscheidung für West-Berlin als Standort für die Zentralredaktion war die taz nun zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Geschichte spielte sich vor ihrer Haustür ab. Die Freude währte aber nur kurz, 1991 kamen die Depressionen. Die Berlinsubventionen, von denen nicht nur die taz lebte, wurden gekappt und das Leben in Berlin wurde teuer. Die taz musste  sich neu erfinden, wenn sie überleben wollte. Die Mehrheit in der Redaktion, die nach einem Investor oder großen Verlag suchte stand der Mehrheit  im Verlag gegenüber, die die taz irgendwie unabhängig erhalten wollte. Die Redaktion wurde von Horst Mahler beraten, der Verlag von Christian Ströbele. Zweimal wurde in die Schlacht gezogen, zur Mitgliederversammlung des Vereins „Freunde der alternativen Tageszeitung e.V.“,  auf der schließlich die Überführung der taz in eine Genossenschaft beschlossen wurde. Die Idee dazu hatte der heutige SPD-Politiker Olaf Scholz, der damals Justitiar beim Revisionsverband der Konsumgenossenschaften in Hamburg war.

Bei der Gründung der taz Genossenschaft zeigte sich Christian Ströbele als weitsichtiger Stratege. Die Tradition des Kollektivs und der Selbstverwaltung wurde in der Genossenschaftssatzung verankert. Die Mitarbeitenden haben wichtige Sonderrechte. Die taz ist eine Produktionsgenossenschaft der Mitarbeitenden  innerhalb einer Konsumgenossenschaft  der LeserInnen.  Über 17.700 taz-GenossInnen sichern heute mit ihren Anteilen die wirtschaftliche Unabhängigkeit der taz. Auch die Kombattanten von einst wissen, wie sehr sich dieses Modell für die taz bewährt hat, die es längst nicht mehr geben würde, wenn damals andere Entscheidungen gefällt worden wären.

Die Wege der Grünen und der taz sind gleich lang, haben sich aber oft gekreuzt, genähert und entfernt. Christian Ströbele ist auf beiden Wegen gegangen. Die taz Genossenschaft hat ihn in das Kuratorium der taz Panter Stiftung berufen. Diese Stiftung wurde von der taz gegründet, um von der Solidarität, die die taz über viele Jahre erfahren hat, etwas an junge Menschen weiterzugeben und ihnen Wege zu einem kritischen und unabhängigen Journalismus zu zeigen. Die taz Panter Stiftung ist eine aktiv handelnde Stiftung, sie initiiert eigene Projekte und ihr Kuratorium, in dem neben Christian Ströbele andere langjährige UnterstützerInnen,  RedakteurInnen und Gründer der taz arbeiten, ist ihr kreativer Kern.

Karl-Heinz Ruch, taz-Geschäftsführer