Zum Beginn der Berliner Schulstrukturreform

Das neue Schuljahr begann wieder mit dem Märchen, dass es genügend LehrerInnen in den Schulen gibt. Laut Bildungssenator Zöllner steht den Schulen zum Schuljahresbeginn eine hundertprozentige Personalausstattung zur Verfügung. Nach den zahlreichen Desastern in den vergangenen Jahren zunächst eine gute Nachricht, möchte man meinen. Rechnerisch haben wir laut Schulverwaltung genug Fachlehrer, rechnerisch müssten keine Stunden ausfallen, rechnerisch gibt es genügend Vertretungskräfte, rechnerisch bekommen alle Schülerinnen und Schüler an allen Berliner Schulen den ihnen zustehenden Unterricht in angemessener Qualität.

Tatsächlich aber ist das alles leider nicht wahr. Seit Jahren schon nicht. Die Realität vor Ort in den Schulen ist nämlich eine andere. Zahlreiche Schulen haben das neue Schuljahr mit weniger als 100 Prozent beginnen müssen. Eine durchschnittliche Lehrerausstattung von 100 Prozent in ganz Berlin bedeutet eben nicht, dass jede Schule tatsächlich die Anzahl an LehrerInnen bekommt, die ihr nach ihrer SchülerInnenzahl zusteht. Damit ist der Unterrichtsausfall bereits jetzt vorprogrammiert.

Besonders dramatisch wird sich diese Unterversorgung auf die fl exible Schuleingangsphase sowie auf das jahrgangsübergreifende Lernen auswirken: Ohne qualifi ziertes Personal und eine zuverlässige Personalplanung kann diese Reform nicht gelingen. Gleiches gilt für die Schulstrukturreform, die mit dem neuen Schuljahr begonnen hat. Ohne ein ausreichend gut qualifi ziertes Personal, wie LehrerInnen, SozialpädagogInnen, ErzieherInnen etc., wird auch diese Reform gleich zu Beginn gefährdet. Wie viele der Reformen im Übrigen, die Rot-Rot durch eine unzureichende personelle und materielle Ausstattung in Gefahr gebracht hat. Leidtragende sind immer die SchülerInnen.

Schulstrukturreform – Vertrauen ist wichtig!

Die Schulstrukturreform war notwendig. Seit Jahren streiten wir für bessere Bildung, für längeres gemeinsames Lernen und für mehr Chancengleichheit in der Bildung. So haben wir aus der Opposition heraus zahlreiche Debatten angestoßen und die Schulstrukturreform initiiert: Ein neues Schulsystem mit zwei gleichwertigen Schultypen (Sekundarschule und Gymnasium) und mehr individuelle Förderung der SchülerInnen. Im Mittelpunkt der Schulstrukturreform stand die Abschaffung der Hauptschulen und die Reform der Gymnasien, kein Sitzen bleiben, kein Probejahr und kein Abschulen mehr. Mit der Möglichkeit des Sitzenbleibens und dem Probejahr werden die Gymnasien weiter privilegiert. SchülerInnen, die nicht am Gymnasium verbleiben dürfen, müssen nach der 7. Klasse vom Gymnasium in die 8. Klasse der Sekundarschule wechseln. Damit werden die Sekundarschulen zu „Auffangbecken“ von Gymnasien degradiert.

Aufgrund des Probejahrs und dem Sitzenbleiben am Gymnasium, kann nicht mehr von der Gleichwertigkeit beider Schultypen gesprochen werden. Dabei war gerade das ein Kernanliegen der Reform. Wir halten das Probejahr und das Sitzenbleiben am Gymnasium weiterhin für falsch. Reformen auf dem Papier reichen auch nicht aus. Wichtig und notwendig sind vertrauensbildende Maßnahmen. Eine derart umfangreiche Reform kann nur nachhaltig und erfolgreich sein, wenn sie von den Eltern und den LehrerInnen getragen wird. So gesehen ist die Verwirrung, die im Zuge der Errichtung der integrierten Sekundarschule Skalitzer Straße entstanden ist, alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme. Eltern, die im Glauben, dass die Sekundarschule Skalitzer Straße in Zukunft eine gymnasiale Oberstufe anbieten wird, ihre Kinder an der Schule angemeldet haben, besitzen Vertrauensschutz. Wenn der Senat nun aber meint, dieser Standort soll keine gymnasiale Oberstufe bekommen, macht er seine Rechnung ohne die Eltern Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Kreuzberg-36 braucht eine gymnasiale Oberstufe, damit sich diese Bildungsregion zu einer blühenden Bildungslandschaft entwickelt, statt eine Bildungsbrache zu werden!

Özcan Mutlu, Mitglied des Abgeordnetenhauses, Bildungspolitischer Sprecher