Ein Stachel-Gespräch mit Elisabeth Schroedter und Lisa Paus von Oliver Münchhoff

Wir Grüne sind eine klar proeuropäische Partei – das heißt auch: Ohne falschen Pathos einen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der EU in der aktuellen Lage werfen zu können. Daneben werden wir das weite Feld des Soziale(re)n Europas durchstreifen und eine Stippvisite nach Lissabon unternehmen.

Stachel:

Der Europäische Rat erklärte auf der Frühjahrstagung 2009 angesichts der Wirtschaftskrise: Man setze sich für die Wiederherstellung des Vertrauens ein. Dem wird die Kommission – wie immer – wohl folgen. Muss das Vertrauen in die EU ebenfalls wiederhergestellt werden?

Elisabeth Schroedter: Ich meine nicht, dass die Wirtschaftskrise das Vertrauen in die EU untergraben hat, im Gegenteil: Es wird erwartet, dass die EU die Krise als Union bewältigt. Gerade die starke Integration innerhalb der EU erzeugt Vertrauen in ihr Handeln. Europa ist ein weltweiter Wirtschaftsplayer, und die EU ist diejenige, die ihre Stimme gegenüber den Weltorganisationen einbringen kann, etwa in der Frage der Finanzmarktregulierung gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO). Im Europäischen Parlament stehen die Zeichen für einen Beschluss zur Tobinsteuer besser denn je. Die EU-Mittel wurden aufgestockt. Aber das allein, indem Mittel künftiger Programme bis 2013 jetzt ausgeschüttet werden. Eine weitere Aufstockung des EU-Haushaltes ist allein von den Mitgliedstaaten abhängig und die stehen hier in der Pflicht.

Lisa Paus: Es ist schon die berechtigte Kritik aus der Wirtschaft gekommen. Wo ist denn Brüssel in der Krise? Kein Wunder: Die Mitgliedsstaaten haben einzeln ihre Konjunkturprogramme losgetreten und sind in einen merkwürdigen Wettkampf hineingeraten: Erfindet Frankreich eine Abwrackprämie mit 1.000 Euro, legt Deutschland mit 2.500 einfach eins drauf. Sarkozy kritisiert die Tschechen und umgekehrt und Merkel gefällt sich immer wieder als Madame No. Die Möglichkeiten der EU werden nicht genutzt und die Kommission hat eher gegeneinander agiert als miteinander. Wirtschafts – und Klimakrise zusammendenken!

Stachel: Zur Umsetzung der Konjunkturpakete setzt die EU auf Leitlinien, nach dem Motto, die Wirtschaften sollen sich koordinieren. Reicht das, um Investitionen nachhaltig zu gestalten oder erleben wir nur ein Abwrackprämienstrohfeuer?

Elisabeth: Meine Sorge ist, dass einfach nur Geld in ein veraltetes Wirtschaftssystem gepumpt wird. Die EU hat aber die Möglichkeit, mit konkreten Vorgaben die Finanzinstrumente in die richtige Richtung zu lenken. Die Wirtschaftskrise muss jetzt mit der Klimakrise zusammengedacht werden: Investitionen müssen ganz gezielt zur Transformation in eine ökologische Wirtschaft eingesetzt werden. Wir fordern deshalb einen Klimacheck für alle Investitionsprojekte.

Lisa: Das muss auch für die nationale Ebene gelten. Die Abwrackprämie ist dabei nicht nur ökologisch der falsche Weg. Denn eigentlich verschenkt der Staat nichts: Wollte eine Familie vom Ersparten eine Küche kaufen, kauft sie nun ein Auto – die Küche muss warten. Also eine Umlenkung der Mittel, die nicht produktiv ist. Wichtig ist, dass der massive Investitionsrückstau, den wir in Berlin seit Jahren monieren, aufgehoben wird. Wir brauchen das Geld für Krankenhäuser, Schulen und Kitas.

Elisabeth: Hier ist ein Ansatzpunkt für nachhaltige Investitionen. Wir werden auf EU-Ebene erreichen, die Mittel zur energetischen Sanierung zu verwenden und die Erneuerbare Energien zu forcieren. Im Beschäftigungsausschuss fordern wir, dass alle Beihilfen im Beschäftigungssektor umfassend mit der Vermittlung von know-how für einen ökologischen Mehrwert verbunden werden.

Lisa: In Berlin ist man noch nicht bereit, Wirtschafts- und Klimakrise zusammenzudenken. Zur Verfahrensbeschleunigung werden Vergaben von sozial-ökologischen Kriterien freigestellt, ganz nach dem Motto: Schnell, schnell.

Stachel: Sehr geteilte Aussichten für eine Transformation. Welche Folgen könnte eine fehlende Neuorientierung haben?

Lisa: Die Solarindustrie zum Beispiel erfährt Kapazitätssteigerungen von 50 Prozent auch um die Kosten zu senken. Wenn diese 50 Prozent von Konjunkturprogrammen nicht abgerufen werden, dann geht eine Branche in die Knie, obwohl man genau weiß, dass man die Kapazitäten in Zukunft brauchen wird.

Stachel: Weil der Kapitalmarkt nicht die Mittel zur Verfügung stellt…

Elisabeth: …und genau hier schließt sich der Kreis. Beispielsweise gibt es derzeit in der Chipindustrie Entlassungen, wobei die Solarindustrie die Fachkräfte mit Kusshand nehmen würde. Die konsequente ökologische Transformation als Investitionsbasis bringt die Chance, zwei Problemen auf einmal zu begegnen: der Klimakrise und dem Fortfall von Arbeitsplätzen.

Lisa: Verpassen wir es, zahlen wir letztlich doppelt: Das Geld ist ausgegeben und wir werden wieder Geld ausgeben müssen, ohne dass die Haushalte das leisten werden können. Die Klimakrise wartet aber nicht auf ausgeglichene Haushalte.

Stachel: Und kennt auch keine Stabilitätskriterien der EU. Das Wirtschaftseuropa ist verbindlich vernetzt, kann das auch für ein soziales Europa gelingen?

Elisabeth: Die Leitlinien existieren. Die Sozialklausel sieht vor, dass die soziale Dimension dem Wettbewerb gleichgestellt wird. Verbunden damit sind Vereinbarungen etwa über eine 60-prozentige Beschäftigungsrate von Frauen, die Bereitstellung von mehr Betreuungsplätzen für unter 3-Jährigen oder das Armutsbekämpfungsprogramm. In der Lissabon-Strategie stehen also neben Wirtschaftsfragen die Sozialagenda und die Beschäftigungspolitik. Allerdings sind die Vereinbarungen ohne Sanktion, wenn sie von einem Mitgliedstaat nicht erfüllt werden. Unsere zentrale Forderung lautet deshalb: Wir wollen die Sozialagenda und die Beschäftigungspolitik mit Sanktionen belegen, wie sie für die Stabilitätskriterien des Euro bereits gelten. Vom blauen Brief bis zur Strafzahlung. Daneben braucht das Soziale Europa gemeinsame Mindestnormen, wie wir sie jetzt im Bereich der Leiharbeit bereits erreicht haben und bei der Generalunternehmerhaftung noch erreichen wollen.

Stachel: Der Vertrag von Lissabon ist heiß umstritten. Was bringt er der EU Neues?

Elisabeth: Einen großen demokratischen Zugewinn: Die Mitentscheidung durch das Europäische Parlament ist jetzt die Regel. Verbunden mit der Grundrechtscharta können wir jetzt für das Soziale Europa gesetzlich vieles vorantreiben, was zuvor wegen fehlender Erwähnung in den EU-Verträgen kaum einbringbar war. Und: Eine Million Bürger aus mehreren Staaten können die Gesetzesinitiative ergreifen und der Kommission vorschreiben: Gebt unser Begehren als Gesetzesvorlage in das Europäische Parlament!

Stachel: Bei diesen Aussichten – warum stellt sich die Linke eigentlich ins europäische Abseits?

Elisabeth: Ich verstehe diese Verweigerung nicht. Sie stellen sich gegen die Integration, sprechen von einem Paneuropa wie die CSU und stören mit der europäischen Rechten die Feier der Grundrechtscharta. Das wars, keine Alternativen. Gegen alles sein bedeutet auch, sozialen Fortschritt zu blockieren.

Lisa: Wenn man sich die Kandidaten der Linken anschaut: Europa ist Versorgungsposten, wie bei anderen Parteien vor 30 Jahren.

Stachel: Vielen Dank für das Gespräch.

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